Gotthelfs Feldzug gegen das Pfuschertum

  03.05.2011 Aktuell, Kultur, Bildung / Schule, Gesellschaft, Region, Lützelflüh, Vereine

Die Präsidentin des Vereins Gotthelf-Stube, Verena Hofer, durfte an der Vernissage zur aktuellen Wechselausstellung im Pfarrspeicher in Lützelflüh zahlreiche Besucherinnen und Besucher begrüssen. Die Ausstellung widmet sich dem Thema «Anne Bäbi Jowäger – Aberglaube, Doktern und Quacksalberei» und beleuchtet unter anderem die Entstehungsgeschichte des zweibändigen Anne-Bäbi-Romans sowie dessen Inhalt, geht auf medizingeschichtliche Aspekte aus dem 18. und 19. Jahrhundert ein, auf den in der damaligen Zeit verbreiteten Aberglauben und setzt sich mit Gotthelfs Kritik am Pfuschertum auseinander. Informationen über den berühmten Wunderheiler Schüppach Micheli, über die Pockenkrankheit und den zu Gotthelfs Zeiten beliebten Kurort Gurnigelbad runden die Ausstellung ab. Selbstverständlich erfährt man auch allerlei Wissenswertes und Interessantes zu Leben und Werk des berühmten Schriftstellers und Pfarrers. Zu sehen sind weiter Gütterli, Flaschen, Aufbewahrungsdosen und -gläser für Kräuter, ein Apotheker-Schubladenstock sowie Möbel, Bilder, Objekte zu Gotthelf, seiner Familie und seiner Zeit.
Die Ausstellung, die von Verena Hofer konzipiert wurde, ist wohl die letzte des Vereins Gotthelf-Stube Lützelflüh, der sich der Pflege des Andenkens an Albert Bitzius verschrieben hat. Im Sommer des nächsten Jahres wird dann das neue Gotthelf Zentrum seine Tore öffnen. «Auf kleinstem Raum und mit einfachen Mitteln haben wir all die Jahre versucht, Jeremias Gotthelf den vielen Besucherinnen und Besuchern aus Nah und Fern näherzubringen sowie aufzuzeigen, wie aktuell der Schriftsteller von weltliterarischem Rang immer noch ist», erläuterte die Präsidentin in einer kurzen Ansprache. «Gotthelf hat sich mit Problemen auseinandergesetzt, die uns heute noch beschäftigen – wenn auch teilweise in anderer Form. Über moderne Museumstechnologien verfügten wir nicht, aber viele Gäste haben immer wieder von der besonderen Ambiance unseres kleinen Museums geschwärmt. Wir mögen es Gotthelf gönnen, dass er schon bald wieder ins Pfarrhaus einziehen darf, aber ab und zu werden wir auch wehmütig den Spycher betrachten und an die alten Zeiten denken.» Im Anschluss an Hofers Ausführungen orientierte Heinrich Schütz, Projektleiter Gotthelf Zentrum, über den Stand der Arbeiten.

Feldzug gegen den Unverstand
Angesichts des grassierenden Aberglaubens und des Zulaufs, den Wunderdoktoren und Quacksalber vom Volk erhielten, beschloss die Berner Regierung 1842, das Volk mittels einer kleinen Broschüre über die Gefahren des Pfuschertums aufzuklären. Die Sanitätskommission gelangte mit einer diesbezüglichen Anfrage an Gotthelf, der schon in früheren Werken die Quacksalberei verurteilt hatte. Nach anfänglichen Bedenken und nachdem er sich der Unterstützung durch seinen Jugendfreund Emanuel Eduard Fueter, Professor für innere Medizin an der Berner Universität, versichert hatte, sagte Gotthelf zu. «Gegen den Unverstand, eigenen und fremden, hat der Verfasser sich zu Felde gelegt; so ward ihm aufgetragen, einen Feldzug zu versuchen gegen den Unverstand im medizinischen Doktern», beschreibt Gotthelf seinen Auftrag im Vorwort zum «Anne Bäbi». Aus der kleinen Broschüre, welche die Sanitätskommission im Sinn hatte, entstand ein umfangreicher zweibändiger Roman. Deshalb entband Gotthelf die Sanitätskommission von allen Verpflichtungen. Er schrieb dazu Folgendes an seinen Freund Karl Rudolf Hagenbach, Theologieprofessor in Basel: «Aus dem Büchlein ist aber ein ordentlicher Bengel von Buch geworden und dem ersten wird ein 2tes nachfolgen müssen, denn die Hauptsache habe ich nicht einmal anbringen können. Es ist kurios, aber Goethe hat einmal gesagt, man brauche nur mit der Hand ins Leben zu langen, so kriege man eine Faust voll und das ist wahr; viel schwerer als Stoff zu finden ist die Kunst, denselben zu bewältigen.» Der Roman wurde so umfangreich, weil Gotthelf sich nicht auf die Quacksalberei und ihre Folgen beschränkte, sondern das Doktern in einem allumfassenden Sinn darstellte.Im «Anne Bäbi» zeigt er die Wechselwirkung zwischen Körper und Seele, den Zusammenhang zwischen Glaube und Aberglaube, zwischen Doktern auf medizinischem, psychologischem und geistigem Gebiet, untersucht die tiefe­ren Ursachen von Krankheit und Heilung, von Haushalten, Wirtschaften, Leben und Tod und analysiert, wieso die moderne Medizin mit ihren Medikamenten oft einen schweren Stand hatte gegen die Pfuscher mit ihren traditionellen Heilmitteln. «Körper und Geist», sagt der Pfarrer im «Anne Bäbi Jowäger», «sind gar in einem Zusammenhang, wenn es einem fehlet, so leidet auch das andere, und manchmal scheint es an dem Körper zu fehlen, aber man muss doch die Seele doktern [...].» Aus diesem Zitat wird die Aktualität von Gotthelf ersichtlich. Er plädiert für eine ganzheitliche Medizin, die sich sowohl mit dem Körper als auch mit der seelischen Befindlichkeit auseinandersetzt. \n

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