Zunehmende Akzeptanz für die Krankheit Depression

| Di, 20. Mai. 2014
PD Dr. med. Stefan Begré

BURGDORF: In der aktuellen Ausgabe unterhält sich «D'REGION» mit PD Dr. med. Stefan Begré, der seit dem 1. Januar 2014 Chefarzt Psychiatrische Dienste am Spital Emmental ist, über die Krankheit Depression und ihre Behandlungsmöglichkeiten. red

Heute Dienstag, 20. Mai, 19.30 bis 21.30 Uhr, führt die Angehörigenberatung des Psychiatrischen Dienstes Spital Emmental den vierten und letzten Teil des Seminars «Gemeinsam statt einsam» durch. Privatdozent Dr. med. Stefan Begré, seit 1. Januar 2014 Chefarzt Psychiatrische Dienste am Spital Emmental, referiert im Mehrzweckraum des Ambulanten Zentrums Buchmatt an der Kirchbergstrasse 97 in Burgdorf zum Thema «Wenn der Körper leidet, hat er etwas zu sagen». Der Anlass richtet sich an Angehörige psychisch kranker Menschen. Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung nicht erforderlich.

«D’REGION»: Wie werden Sie den Abend gestalten?
Dr. Begré: Etwas Geschichte zur Entwicklung des medizinischen Faches «Psychosomatik», Körperreaktionen auf Stress, Zusammenhänge zwischen körperlichem Leid und psychologischen Folgen respektive psychologischem Leid und körperlichen Folgen, Fallbeispiele, Beantwortung von Fragen aus dem Publikum.

«D’REGION»: Wenn die Seele leidet, leidet auch der Körper. Welche Körperteile sind wie betroffen?
Dr. Begré: Wenn die Seele leidet, führt dies zuerst zu innerer Anspannung und damit zu einer veränderten Reaktionsbereitschaft in den verschiedenen individuellen Lebensbereichen. Über eine vermehrte Beanspruchung des vegetativen Nervensystems und durch eine erhöhte Ausschüttung von Stresshormonen bekommt dies zunehmend der Körper zu spüren. Grundsätzlich können die Funktionen aller Organsys-teme durcheinander geraten.

«D’REGION»: «Der Körper ist der Übersetzer der Seele ins Sichtbare», lautet ein Zitat Christian Morgensterns. Wirkt sich jede Depression mit einem körperlichen «Bräschte» aus?
Dr. Begré: Man kann schon davon ausgehen, dass der Körper bei einer Depression immer, wenn auch in unterschiedlichem Mass, mitleidet. Körper und Seele lassen sich nicht trennen.

«D’REGION»: Sind psychische Probleme vererbbar?
Dr. Begré: Ja. Es bleibt jedoch eine erhebliche Diskrepanz zwischen der ermittelten hohen genetischen Erblichkeit bestimmter Genvarianten und dem seltenen Auftreten der mit diesen Genvarianten assoziierten Erkrankungen und Persönlichkeitseigenschaften. Man kann davon ausgehen, dass die Ursache komplexer Erkrankungen auf einer Vielzahl von Fakten beruht. 

«D’REGION»: Sind Trauer, Stress, Angst und Liebeskummer die häufigsten Gründe für Depressionen?
Dr. Begré: Bei der Krankheit Depression handelt es sich streng genommen um ein Syndrom – das heisst eine Ansammlung verschiedener Symptome, die erst die Krankheit definieren. Interne und externe Stressoren können eine Depression auslösen und unterhalten. Zu solchen Stressoren können auch Angst, Liebeskummer oder Trauer gehören. Trauer stellt jedoch eine normale Reaktion auf Verlusterlebnisse dar und muss im Normalfall klar von einer Depression abgegrenzt werden.

«D’REGION»: Welche Angebote bieten Sie und der von Ihnen geleitete psychiatrische Dienst an?
Dr. Begré: Der psychiatrische Dienst am Spital Emmental behandelt Menschen mit psychischen Erkrankungen und fördert in der Region Emmental sowie den angrenzenden Gebieten die Gesundheit der gesamten Bevölkerung dieser Region. Der psychiatrische Dienst steht allen Patienten, Angehörigen, niedergelassenen Ärztinnen, Therapeuten sowie Institutionen offen und unterstützt die Anliegen aus der Region. Dies mit zwei Ambulatorien, zwei Tageskliniken, einer psychiatrischen Bettenstation, der psychiatrischen Notfalltriage mit integriertem psychiatrischem Notfalldienst in enger Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Psychiatern, einem Konsiliar- und Liaisondienst für die beiden Spitäler Langnau und Burgdorf, psychoonkologische Betreuung von Patienten mit Krebserkrankungen, Einzel- und Gruppenpsychotherapie an den verschiedenen Standorten, aufsuchende und ambulante Pflege, Sozialberatung, Testpsychologie, Begutachtungen, Suchtkoordination sowie spezifische Angebote für Angehörige und Unterstützung und Beratung für verschiedene Institutionen bei medizinischen und therapeutischen Einsätzen und in Krisensituationen inklusiv der Behindertenwerkstätte BEWO in Oberburg und dem Wohnheim für Betagte und körperlich sowie geistig Behinderte in der Bärau. Überdies ist der psychiatrische Dienst verantwortlich für die Aus- und Weiterbildung verschiedener Berufsgruppen.

«D’REGION»: Wie gehen Sie mit einem Neupatienten vor?
Dr. Begré: Sehr wichtig sind die Angaben des Hausarztes. Diese werden in die Überlegungen zur Diagnostik und Therapie mit einbezogen. Eine enge gegenseitige Zusammenarbeit und schnelle Berichterstattung des Psychia-trischen Dienstes an die Hausärzte ist uns wichtig.

«D’REGION»: Ist der Unterschied zwischen Gefühlsschwankungen und Depressionen fliessend?
Dr. Begré: Gefühlsschwankungen gehören zum Mensch sein. Übersteigen diese jedoch ein bestimmtes Ausmass, sprechen wir von Depression – sofern bestimmte international anerkannte Kriterien erfüllt sind.

«D’REGION»: Sind Männer oder Frauen häufiger von Depressionen betroffen?
Dr. Begré: Rund ein Viertel der Frauen und ein Fünftel der Männer in der Schweiz erleiden mindestens einmal im Leben eine Depression. Auch Kinder und Jugendliche können an Depression erkranken.

«D’REGION»: Verschwinden Schwangerschaftsdepressionen und Winterdepressionen oft von selbst?
Dr. Begré: Etwa zehn Prozent aller Frauen sind während der Schwangerschaft von einer Depression betroffen. Bei mindestens jeder vierten Mutter treten in den ersten Wochen nach der Geburt Stimmungstiefs auf, die meist innerhalb von Stunden bis Tagen wieder abklingen – «Babyblues». Bei 10 bis 20 Prozent aller Mütter tritt in den ersten zwei Jahren nach der Geburt eine Depression auf. Im Gegensatz zu den Stimmungsschwankungen nach Geburt besteht hier eine dringende Behandlungsbedürftigkeit. Manchmal ist auch eine stationäre Einweisung nötig. Die saisonale Depression oder «Winterdepression» hingegen ist eine depressive Verstimmung, die in den Herbst- und Wintermonaten auftritt.

«D’REGION»: Wie kann man solchen Depressionen entgegenwirken?
Dr. Begré: Soziale Unterstützung ist auch hier ein tragendes Element, das der Entstehung einer Depression entgegenwirkt.

«D’REGION»: Wie impfen Sie Ihren Patienten Optimismus und Zuversicht ein?
Dr. Begré: Gelingt es, den Blickwinkel zu ändern und die Situation in einen günstigeren Kontext zu rücken, wachsen Optimismus und Zuversicht leichter. Hebe den Blick, und der Weg wird weit. Versuchen Sie es!

«D’REGION»: Verschreiben Sie Antidepressiva häufig – und ist gar Hypnose ein Thema?
Dr. Begré: Sofern es die Situation erfordert, sollen wenn immer möglich Antidepressiva mit der psychotherapeutischen Unterstützung kombiniert werden, weil beides zusammen einen besonders günstigen Genesungsprozess einleiten kann. Hypnose im Sinne der fokussierten Aufmerksamkeit kann in besonderen Fällen bei Depression hilfreich sein – beispielsweise bei einer Schmerzerkrankung mit zusätzlicher depressiver Verstimmung.

«D’REGION»: Sie sind Chefarzt der Psychiatrie. Werden Ihre Dienste und jene Ihrer auch in diesem Bereich tätigen Arztkollegen schweizweit immer häufiger in Anspruch genommen?
Dr. Begré: Während in den 1970er-Jahren die Gesellschaft die Vorgehensweisen der Psychiatrie, ihre Medikamente und stationären Zwangsmassnahmen äusserst kritisch aufnahm, zeichnet sich in neuerer Zeit der Psychiatrie und ihren Therapiemethoden gegenüber eine zunehmende Akzeptanz ab. Methoden, Massnahmen und Menschen in der Psychiatrie haben sich differenziert und beziehen den Dialog mit dem kranken Mitmenschen wenn immer möglich mit ein.

«D’REGION»: Gibt es ein Rezept, das sich prophylaktisch positiv auf die Psyche auswirkt?
Dr. Begré: Körperliche Bewegung, massvolles Essen, ein funktionstüchtiges Beziehungsnetz und klare Lebensziele.

Zur Person
PD Dr. med. Stefan Begré ist seit 1. Januar 2014 Chefarzt Psychiatrische Dienste am Spital Emmental und Leiter der gleichnamigen Weiterbildungsstätte für die Ausbildung zum Facharzt FMH in Psychiatrie und Psychotherapie. Die Eckpfeiler seiner beruflichen Tätigkeit: Studium der Humanmedizin an den Universitäten Fribourg und Bern mit Staatsexamen an der Universität Bern, Ausbildung zum Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie mit Schwerpunkttitel Konsiliar- und Liaisonpsychiatrie sowie Facharzt Innere Medizin FMH mit Erwerb der Fähigkeitsausweise für Psychosomatische und Psychosoziale Medizin FA SAPPM sowie für Delegierte Psychotherapie FA FMPP. Ausbildung zum Executive Master of Business Administration EMBA an der privaten Hochschule Wirtschaft PHW in Bern. Verschiedene Assistenz- und Oberarztstellen in Bern am Zieglerspital, der Psychiatrischen Universitätsklinik Waldau und der Sozialpsychiatrischen Universitätsklinik Bern, an der Medizinischen Universitätspoliklinik Bern sowie an der Medizinischen Klinik am Kantonsspital Olten, der Psychiatrischen Universitätsklinik Basel und den Universitären Psychiatrischen Diensten Bern. Danach zehn Jahre stellvertretender Chefarzt und Leitender Arzt an der Psychosomatischen Abteilung am Inselspital und am Kompetenzzentrum für Psychosomatische und Psychosoziale Medizin der Universität Bern. Dissertation und Habilitation an der Medizinischen Fakultät der Universität Bern, Dozent für Psychosoziale und Psychosomatische Medizin an der Universität Bern, verschiedene Forschungsprojekte und Publikationen im Bereich der Stressbiologie und Verhaltensmedizin sowie der psychiatrischen Bildgebung. Präsident der Aus- und Weiterbildungskommission der Schweizerischen Akademie für psychosomatische und psychosoziale Medizin SAPPM sowie Mitglied verschiedener Berufsgesellschaften.

Hans Mathys

 

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