Die «stille Epidemie» namens Hepatitis C

  28.04.2015 Aktuell, Burgdorf, Gesellschaft

«Hepatitis C – betrifft mich nicht! Oder etwa doch?» So lautet das Thema des Publikumsvortrages von übermorgen Donnerstag, 30. April, 19.00 bis 20.00 Uhr, im Kurslokal des Spitals Emmental in Burgdorf. Dr. med. Martin Egger, stellvertretender Chefarzt Medizin und leitender Arzt Infektiologie sowie Dr. med. Gabriel Waldegg, leitender Arzt und Facharzt für Allgemeine Innere Medizin, werden allen Interessierten viel Wissenswertes zu der auch als «stille Epidemie» bezeichneten Hepatitis C vermitteln und Fragen aus dem Publikum beantworten.

«D’REGION»: Wie werden Sie den Vortragsabend gestalten, welches werden die Schwerpunkte sein?
Dr. Egger / Dr. Waldegg: Dr. Egger wird den Vortrag einleiten mit einer kurzen Erläuterung, warum es jetzt wichtig ist, mehr zu wissen über die Hepatitis C. Anschliessend wird er das Krankheitsbild, seine Verbreitung, den natürlichen Verlauf, die Verdachtsmomente für die Infektion und ihre Erkennung besprechen. Dr. Waldegg wird in der Folge über die sich derzeit rasch entwickelnden therapeutischen Möglichkeiten, die Erfolgsaussichten in Abhängigkeit vom Virustyp und die Perspektiven für die nächsten Monate und Jahre referieren. Am Schluss soll genug Zeit für Fragen aus dem Publikum zur Verfügung stehen.

«D’REGION»: Hepatitis C ist eine Infektionskrankheit, die oft symptomlos oder symptomarm verläuft. Wann besteht der Verdacht auf Hepatitis C?
Dr. Egger / Dr. Waldegg: Die Verdachtsmomente ergeben sich vor allem aus der Lebensgeschichte: Wer vor 1992 Bluttransfusionen hatte, intravenös Drogen konsumiert hat, mit Personen zusammenlebt mit früherem oder aktuellem Drogenkonsum, sich unter zweifelhaften Hygienebedingungen hat tätowieren lassen oder in Ländern mit geringerem Hygienestandard medizinisch behandelt wurde, könnte infiziert sein. Besonders wichtig ist aber auch, dass Ärzte bei Patienten mit unerklärt erhöhten Leberwerten an eine mögliche Hepatitis C denken, weil bei rund 10 Prozent der Betroffenen keine der oben erwähnten Risikofaktoren vorhanden sind, die Infektionsquelle also unklar bleibt.

«D’REGION»: Aufgrund welcher Kriterien erfolgt die Diagnose?
Dr. Egger / Dr. Waldegg: Die Diagnosestellung erfolgt durch den Nachweis von Antikörpern im Blut gegen das Hepatitis-C-Virus mit Folgetests im positiven Fall. Für eine aktive und damit gesundheitlich relevante Hepatitis C ist letztlich der direkte Virusnachweis im Blut mittels Identifikation von Erbsubstanz des Virus – RNS, Ribonukleinsäure – relevant.

«D’REGION»: Das Virus von Hepatitis C kann nur über Blut übertragen werden. Ist es deshalb – nicht nur der Hygiene wegen – angebracht, Zahnbürsten oder Rasiermesser nicht gemeinsam zu benutzen?
Dr. Egger / Dr. Waldegg: Wahrscheinlich teilen bei uns die wenigsten Leute Zahnbürsten und Rasiermesser. Tatsächlich würde aber diese Gewohnheit ein Übertragungsrisiko – gering bei der Zahnbürste, höher beim Rasiermesser – beinhalten, wenn eine der Personen eine aktive Hepatitis C hat.

«D’REGION»: Das Virus wurde erst 1989 entdeckt. Zuvor haben sich auch in der Schweiz viele Leute durch infizierte Blutkonserven angesteckt. Dieses Risiko bestehe heute kaum noch. Ist dem so?
Dr. Egger / Dr. Waldegg: Man wusste schon etliche Jahre vor 1989, dass es neben den schon länger bekannten A- und B-Hepatitiden eine dritte Hepatitis-Art geben muss, die übers Blut übertragen wird. Man nannte sie Non-A-Non-B-Hepatitis, bis in den 80er-Jahren das Hepatitis C-Virus identifiziert wurde. Grundsätzlich werden wohl weltweit die Blutprodukte auf Hepatitis C getestet – allerdings sind die Kontrollen nicht überall so rigoros wie in Westeuropa und Nordamerika, und eine Verunreinigung kann auch bei der Verabreichung der Transfusionen geschehen. Deshalb sind Transfusionen, aber auch Injektionen in Ländern mit niedrigen Hygienestandards mit einem Ansteckungsrisiko behaftet.

«D’REGION»: Zwei Drittel soll in der Schweiz der Männeranteil bei den von Hepatitis C betroffenen Menschen sein – bei den Frauen entsprechend «nur» ein Drittel. Ihre Erklärung?
Dr. Egger / Dr. Waldegg: Übergewicht und Alkoholkonsum können für das Fortschreiten der Leberschädigung durch die Hepatitis C eine Rolle spielen, nicht aber für das Infektionsrisiko. Tatsächlich dürfte die höhere Risikobereitschaft von Männern – Spritzentausch beim Drogenkonsum – und die Übertragung der Hepatitis C durch Analsex zwischen Männern, die Sex mit Männern haben, zu diesem Geschlechtsunterschied beitragen.

«D’REGION»: In der Schweiz sind rund 33 000 Erkrankungen an Hepatitis C gemeldet. Wegen der Dunkelziffer sollen es rund 80 000 sein. Wie sieht es am Spital Emmental mit Zahlen aus – und welche Dienstleis­tungen, welche Therapien bietet das Spital an?
Dr. Egger / Dr. Waldegg: Auch im Einzugsgebiet des Spitals Emmental dürfte es um die 250 bis 500 Personen mit chronischer Hepatitis C haben – und auch hier weiss wohl höchstens die Hälfte davon. Die Hepatitis C kann bei uns diagnostiziert, abgeklärt und behandelt werden. Für die Feststellung des Ausmasses der Leberschädigung kann am Spital Emmental eine Gewebeprobe der Leber entnommen und untersucht (Biopsie) oder – auf unsere Zuweisung hin –  eine spezielle Ultraschalluntersuchung, der sogenannte FibroScan, am Bauchzentrum des Inselspitals durchgeführt werden.

«D’REGION»: Bisher ist eine Impfung gegen Hepatitis C noch nicht möglich. Ist diesbezüglich etwas im Tun?
Dr. Egger / Dr. Waldegg: Eine Impfung gegen Hepatitis C ist derzeit noch in weiter Ferne – dafür sind bezüglich Therapiemöglichkeiten in letzter Zeit enorme Fortschritte erzielt worden.

«D’REGION»: Ist es so, dass es zwar neue Medikamente gibt, diese aber sehr teuer sind und die Krankenkassen nur für jene Patienten zahlen, die bereits schwere Leberveränderungen aufweisen?
Dr. Egger / Dr. Waldegg: Ja, das ist so. Die Medikamente sind zwar sehr teuer – um 20 000 Franken pro Monat bei einer 3- bis 6-monatigen Behandlung –, aber auch enorm wirksam. Obschon es einleuchtend wäre, Patienten mit noch wenig fortgeschrittener Lebererkrankung zu behandeln, ist es verständlich, dass das Bundesamt für Gesundheit aus Kostengründen vorerst denjenigen Patienten eine Behandlung zukommen lassen möchte, die sie am dringendsten benötigen.

«D’REGION»: Gibt es bei Hepatitis C die ganze Skala zwischen positivem und negativem Verlauf – also Erkrankte, bei denen eine Hepatitis C vollständig ausheilt, ohne überhaupt entdeckt zu werden, und Erkrankte, wo sich eine chronische Infektion zu einer Leberzirrhose oder einem Leberkrebs entwickelt?
Dr. Egger / Dr. Waldegg: Eine Ausheilung der Hepatitis C ohne Behandlung ist bei frisch Infizierten leider relativ selten – um 20 Prozent. Die meisten Infizierten – 4 von 5 – entwickeln eine chronische Infektion. Das Fortschreiten der Leberschädigung bei den chronisch Infizierten ist aber individuell sehr unterschiedlich. Meist braucht es aber bis zu einer Leberzirrhose, einem Leberversagen oder gar zum Leberkrebs mindestens 20 bis 30 Jahre. Alkohol, Nikotin und gewisse andere Faktoren können diese Frist verkürzen.

«D’REGION»: In der Schweiz sollen zwischen 2008 und 2012 jeweils durchschnittlich knapp über 60 Menschen durch Leberzirrhose aufgrund einer chronischen Hepatitis gestorben sein, etwas über 30 Menschen an den Folgen von Leberkrebs durch eine chronische Hepatitis C. Was schliessen Sie daraus?
Dr. Egger / Dr. Waldegg: Man kann abschätzen, dass in den kommenden Jahren die Zahl der Menschen, die an den Folgen einer Hepatitis C sterben, den Höhepunkt erreichen wird. Als Folge der Einführung der Untersuchung von Blutprodukten, der Bereitstellung von sauberen Spritzen und Nadeln für Drogenabhängige und der sich entwickelnden Behandlungsmöglichkeiten wird es in wenigen Jahren zur allmählichen Abnahme der an den Folgen von Hepatitis C versterbenden Menschen kommen.

«D’REGION»: Kommt es bei Infizierten häufig zu einer Gelbsucht – und was bedeutet dies?
Dr. Egger / Dr. Waldegg: Die Hepatitis C verläuft in den meisten Fällen von Anfang an chronisch. Die Zeichen der Neuinfektion sind dann oft sehr unspezifisch oder fehlen ganz. Nur eine Minderheit der Neuinfizierten entwickelt eine sichtbare Gelbsucht, und nur selten ist eine solche schwer bis lebensbedrohlich. Eine Gelbsucht im Rahmen einer Hepatitis C ist in gewissem Sinne fast ein Vorteil, weil es zur Erkennung der Infektion führt, und weil frische Hepatitis-C-Infektionen leichter heilbar sind als chronische.

«D’REGION»: Immerhin ist eine Mutter-Kind-Übertragung sehr selten. Gibt es weitere beruhigende Aspekte, weshalb die Diagnose Hepatitis C die Betroffenen nicht gleich in einen Schockzustand versetzen soll?
Dr. Egger / Dr. Waldegg: Als beruhigend betrachten kann man sicher, dass man meist viel Zeit hat, bis es zur schweren Leberschädigung kommt, dass man durch Meiden von Alkohol und Nikotin den Verlauf günstig beeinflussen kann und – am wichtigsten –, dass die Hepatitis C heute zu einer behandelbaren Infektionskrankheit geworden ist.

Zu den Personen
Dr. med. Martin Egger hat Jahrgang 1963. Er ist seit 2004 Leitender Arzt am Spital Emmental und seit 2009 Chefarzt-Stellvertreter. Das Staatsexamen erfolgte 1988 in Bern. Ausbildung zum Facharzt für Allgemeine Innere Medizin an verschiedenen Berner Spitälern und Kliniken. Ausbildung zum Facharzt für Infektiologie am Inselspital in Bern. Facharzttitel Infektiologie 2003. Weiterbildung zum Master of Public Health mit Abschluss 2011. Ab Dezember 2015 Chefarzt Medizin am Standort Langnau.

Dr. med. Gabriel Waldegg wurde 1971 geboren. Am Spital Emmental ist er seit 2004 Oberarzt, seit 2010 Leitender Arzt. 1997 erfolgte das Staatsexamen in Bern.  Ausbildung zum Facharzt für Allgemeine Innere Medizin an verschiedenen Berner Spitälern und Kliniken – so unter anderem in der Infektiologie am Inselspital in Bern. Mehrere Einsätze in HIV-Projekten in Lesotho.

Interview: Hans Mathys


Image Title

1/10


Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote