Arbeit und Psyche – wie hängen sie zusammen?

  23.11.2015 Aktuell, Burgdorf, Gesellschaft, Region

Arbeiten und trotzdem psychisch gesund bleiben, ist heute schwieriger als früher. Aus diesem Grund beteiligen sich die «Berner Aktionstage psychische Gesundheit» dieses Jahr an der Umsetzung der nationalen Sensibilisierungskampagne «Wie geht’s Dir?» zum Thema Arbeitswelt im Kanton Bern und wollen einen Beitrag zum Abbau von Ängsten und Vorurteilen gegenüber Menschen mit einer psychischen Erkrankung leisten. 23 Organisationen und Institutionen aus Fach- und Selbsthilfe aus dem ganzen Kanton bündeln ihre Kräfte und bieten vom 9. Oktober bis 20. November 2015 ein attraktives Programm, bestehend aus Informationsanlässen, Fachveranstaltungen, Besichtigungen, Radiosendungen und kulturellen Angeboten.

«D’REGION»: Arbeit und Psyche sind eng miteinander verbunden. Was meinen Sie dazu?
Kontaktperson: Wer im Berufsleben steht, verbringt viel Zeit am Arbeitsplatz. In der heutigen, leistungsorientierten Gesellschaft untersteht jeder Arbeitnehmer einem gewissen Druck. Wenn die berufliche Belas-tung zunimmt, kommt die Erholung zu kurz, die Balance kann aus dem Gleichgewicht geraten – und die Psyche reagiert. Doch nicht nur der Job kann zu einem Burn-out führen. Man kann auch aufgrund anderer, zum Beispiel privater Umstände – Trennung/Scheidung, Todesfall im Umfeld – in ein Burn-out geraten. Oftmals kommen mehrere Umstände zusammen. Eine Fachperson hat mir mal gesagt: Ein Tisch hat mehrere Beine, zum Beispiel Job, Familie, Hobbys und Gesundheit. Gibt es bei einem Bein Probleme, kann man es vermutlich mit der Kraft der anderen Beine ausgleichen. Doch wird an jedem Bein gesägt, kippt der Tisch um.
Brigitte Gidl: Rund ein Viertel der Erwerbstätigen sind bei uns in der Schweiz ziemlich oder stark erschöpft.

«D’REGION»: Weshalb gibt es Ihrer Meinung nach heutzutage mehr Burn-outs als früher?
Kontaktperson: Die Belastung am Arbeitsplatz ist gestiegen. Die 24-Stunden-Erreichbarkeit per Mail und Handy ist alles andere als förderlich. Es gibt aber auch Unternehmen,
die auf die Erholung der Arbeitnehmer achten und beispielsweise den Zugang zum Mail abends und über Nacht sperren.

«D’REGION»: Waren Sie sich damals bewusst, dass Sie Burn-out-gefährdet sind?
Kontaktperson: Ja, ich hatte selbst festgestellt, dass ich Mühe hatte, etwas in meinem Kopf zu speichern, und schlief auch immer schlecht und unruhig. Ich hatte damals eine 60-Stunden-Woche und habe dies dem Arbeitgeber auch dargelegt. Meine Aufgaben nahmen immer mehr zu, weshalb ich die Anstellung einer zusätzlichen Person mit Teilzeitpensum vorschlug.

«D’REGION»: Was half Ihnen persönlich, «aus dem Strudel» herauszukommen?
Kontaktperson: Auf die Vollbremse zu treten. Bewusst Hilfe von aussen anzunehmen. In einem Kurhaus sechs Wochen durchzuatmen und ein Programm, einen Mix aus Entspannung, Bewegung und psychologischen Gesprächen durchzuziehen. Und danach vieles mitzunehmen in den täglichen Alltag daheim – sei es Bewegung, Malen, Gespräche mit einem Psychologen oder der Austausch in einer Selbsthilfegruppe. Das hilft enorm. Man fühlt sich nicht allein, sondern getragen von den anderen und profitiert von ihren Tipps. Ich hab auch realisiert, dass ich mir selbst die Latte immer viel zu hoch angesetzt hatte, weil ich dieses leistungsorientierte Denken bereits in der Kindheit mitbekommen hatte.

«D’REGION»: Inwiefern hat Ihnen der Beitritt in die Selbsthilfegruppe «Burn-out» geholfen?
Kontaktperson: Es hat mir enorm geholfen. Ich konnte hier von Beginn weg frei von der Leber weg sprechen und mich mit anderen Personen austauschen, die dasselbe durchgemacht hatten. Es war sicher hilfreich, dass ich nach der Diagnose zuerst professionelle Hilfe angenommen hatte und erst nach dieser ersten schlimmen Phase der Selbsthilfegruppe beitrat. Ich hatte so die Kraft, an die Treffen zu gehen, und konnte über das Erlebte und Durchgemachte sprechen.

«D’REGION»: Was empfehlen Sie Menschen, die das Gefühl haben, Sie stünden kurz vor einem Burn-out?
Kontaktperson: Mit einer vertrauten Person sprechen, dann dem Hausarzt – und sich nicht scheuen, einen Psychologen aufzusuchen. Eventuell braucht es auch den Gang zum Psychiater, weil der Psychologe keine Medikamente verschreiben darf. Ganz wichtig war für mich der Austausch mit dem Psychologen und später in der Selbsthilfegruppe. Bei einem ersten Gespräch mit dem Psychologen musste ich alles aufzählen, was mich belastet und mir auf dem Magen liegt. Und für jedes Problem gab er mir ein Kissen, das ich sitzend auf meinen Schoss legen musste. Am Ende meiner Aufzählung sah ich nicht mehr über den Berg von Kopfkissen hinaus und konnte den Turm kaum mehr halten und lachte. «Sehen Sie? Das ist zu viel.» So begann die Arbeit an meinen «Baustellen»…

red / zvg
In der Region Emmental-Oberaargau bestehen 35 Selbsthilfegruppen zu verschiedenen Themen. Weitere Informationen: Selbsthilfe BE, www.selbsthilfe-be.ch, Tel.: 0848 33 99 00, info@selbsthilfe-be.ch, oder direkt beim Beratungszentrum Burgdorf, Lyssachstrasse 91, 3400 Burgdorf. Tel.: 034 422 67 05.


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