Beeindruckende Premiere «Zur schönen Aussicht»

  03.02.2016 Aktuell, Kultur, Burgdorf, Vereine

Schöne Aussicht(en) hat dieses Hotel wohl schon länger nicht mehr, das Hotel, das Direktor Strasser führt. Gast ist noch ein einziger da – Georgette, Baronesse de Rothschild, die es sich finanziell leisten kann, sich in jeglicher Hinsicht vom ausschliesslich männlichen Personal aushalten zu lassen. Sonst kommt höchstens noch Vertreter Müller vorbei, um die ausstehenden Beträge für bereits bezogenen Sekt einzutreiben. Und die junge Christine, die letztes Jahr während ihres Aufenthalts im Hotel «Zur schönen Aussicht» ein Verhältnis mit Hoteldirektor Strasser hatte, das nicht ohne Folgen blieb. Das Auftauchen der jungen Mutter eint die unter sich nicht auskommenden Männer: Um den Direktor vor Unterhaltszahlungen zu bewahren, denken sie sich einen perfiden Plan aus.

Immer noch aktuell
Mit «Zur schönen Aussicht» von Ödön von Horváth hat die Theatergruppe Burgdorf ein Stück ausgewählt, das von seiner verstörenden Aktualität bis heute nichts verloren hat. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass dieses bereits 1926 entstanden ist. Erschreckend, dass sich seither so wenig geändert hat. Regisseur Stefan Meier hat in seiner Bearbeitung den Text klug gekürzt und angepasst. Dadurch hat er die in der Originalfassung angelegten Längen elegant umgangen, das Stück für den Zuschauer in wohltuender Weise verschlankt (das Publikum hat immer noch genügend zu verdauen) und gleichzeitig die auf die Gesellschaft der Zwischenkriegsjahre angelegte Kritik zu einer ins Jetzt passenden Gesellschaftskritik gewandelt.

Eindrückliche Rollenporträts
Spannend war, wie die verschiedenen Darsteller ihre Figuren füllten – eine nicht leichte Aufgabe. Denn letztlich taucht im Hotel «Zur schönen Aussicht» nur auf, wer in seiner Existenz gescheitert ist und sich hier ein letztes Refugium erhofft – wenigstens so lange, bis dieses Hotel ebenfalls untergehen wird. Diese der Vergangenheit entfliehenden oder nachtrauernden Figuren offenbarten verschiedenste menschliche Abgründe, die in der Burgdorfer Inszenierung auf eindrückliche Weise zum Vorschein kamen. Da war Bruno Böhlen, der dem Kellner Max eine beeindruckende, an und für sich relativ integre, aber letztlich doch durch Geld korrumpierbare Menschlichkeit verlieh. René Schärer, der als machohafter Chauffeur mit krimineller Vergangenheit und Hang zu alkoholischen Ausschweifungen überzeugte. Adrian Schmid, der gekonnt den schmierigen Hoteldirektor Strasser gab – einen Direktor, der sich zum Opfer seiner eigenen Unfähigkeit machte. Hansjürg Brodbeck, der den Sektvertreter und Möchtegern-Generaldirektor Müller absolut glaubhaft spielte. Marie-Louise van Laer, die als herrlich-verrückte, ihren besseren Zeiten nachtrauernde, trotz Alkohol überraschend klar denkende Baronesse überzeugte. Ruedi Schütz, der den Bruder der Baronesse und längst im Fall befindlichen Aristokraten spielte. Und schliesslich Annina Brodbeck, die als Christine die naive Unschuld vom Land, die eigentlich so gar nicht in dieses Hotel passt, gab.

Unbedingt zu erwähnen sind auch das absolut geniale Bühnenbild und die auf die verschiedenen Figuren perfekt passenden Kostüme, die die «schönen Aussichten» des Hotels und seiner Akteure in faszinierend berunruhigender Weise unterstrichen. Chapeau!

Andrea Flückiger

Ödön von Horváth – «Zur schönen Aussicht», Casino Theater Burgdorf: 5., 6. sowie 13. Februar, jeweils 20.00 Uhr, 7. und 14. Februar, jeweils 17.00 Uhr. www.tgburgdorf.ch.


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