Masche für Masche mehr Selbstwertgefühl

  07.02.2016 Aktuell, Burgdorf, Gesellschaft, Region

Bei den an diesem Dienstag in der Cafeteria der Firma Zürcher Stalder AG, Spinnerei-Zwirnerei in Lyssachschachen, anwesenden acht Frauen und einem Mann im Alter zwischen 19 und 25 Jahren herrscht eine gelös­te Stimmung. Gelächter dringt aus dem Raum, am langen Tisch stapeln sich Wollknäuel, dazwischen stehen Getränke und Teller mit Kuchenstücken. Die meisten blicken angespannt auf ihre Nadeln, während die Routinierteren, den Blick erhoben, ganz entspannt stricken.

Stricken gegen die Kälte
Sechs der jungen Mädchen aus Eritrea unterhalten sich in den Landessprache Tigrinya, einige verstehen wenige Worte Englisch, die offizielle Beamtensprache in Eritrea. Daneben ist bei der laut Statistik zu etwa 50 Prozent muslimischen Bevölkerung Eritreas das Arabisch weit verbreitet. Beim Übersetzen kommt dann der einzige Mann am Tisch ins Spiel: Jonas. Auch er strickt fleissig an einer Mütze, denn momentan dürfte auch er unter der herrschenden Kälte im Emmental leiden. Jonas spricht ausgezeichnet deutsch und englisch, er fungiert als Übersetzer für seine Landsfrauen aus Eritrea. Die beiden Schweizer Betreuerinnen Angelika Aebersold und Erna Stoller wechseln zwischendurch ihre Plätze, je nachdem, wo sie Hilfe bei den Strickarbeiten leisten müssen.

Strickprofis und Lernende
Laut Angelika Aebersold, seit Jahrzehnten mit jeder Art Handarbeiten bestens vertraut, ist dieses «Strickkränzli» ein Teil des Beschäftigungsprogrammes für die jungen Menschen, die alle im Asylzentrum Lindenfeld in Burgdorf wohnen: «Es ist auf Anregung von Hansruedi Stoller entstanden, der sich seit einiger Zeit im Durchgangszentrum engagiert und im Herbst 2015 erste Kontakte zu Cornelia Zürcher von der gleichnamigen Firma im Lyssachschachen hergestellt hat.» Einige der Frauen können bereits stricken und sind froh, wenn ihnen die Wolle zur Verfügung gestellt wird. Andere sind dankbar, wenn sie es lernen können und somit eine sinnvolle Beschäftigung finden, von der sie zusätzlich noch profitieren können. Einige der fertiggestellten Arbeiten sind wunderschön.
«Selbstverständlich ist es so, dass die ‹Strickprofis› wie Maryam aus Afghanistan anspruchsvollere Arbeiten fertigen als Anfängerinnen. Sie konnte bereits stricken und hat in einer ersten Runde einen wirklich schönen Schal samt Kappe gemacht. Das wirkt motivierend auf die weniger Routinierten; alle stricken auch privat in der Asylunterkunft Lindenfeld. Die meisten beginnen mit einem Schal und steigern sich dann.»

Ein echter Glücksfall
Angelika Aebersold bezeichnet es «als Glücksfall, dass wir hier bei Zürcher Stalder AG Unterschlupf gefunden haben. Der Raum steht uns kostenlos zur Verfügung, die Erstausstattung für alle Teilnehmer sowie die erste Wolle haben wir gratis erhalten. Weiteres Material können wir zum halben Preis kaufen.» Die finanziellen Möglichkeiten der Kursteilnehmerinnen sind beschränkt; so erfolgt der Transport vom Heim ins Kurslokal mit den privaten Fahrzeugen von Stoller und Aebersold. «Wir müssen darüber hinaus total beweglich sein, denn wir wissen am Dienstagnachmittag nicht, wie viele Teilnehmer jeweils kommen. Mal mehr, mal weniger, je nachdem, ob Termine anstehen, Erkältungen grassieren usw. Aber grundsätzlich ist es so, dass sich immer mehr Personen für den Strickkurs interessieren. Heute mussten wir zweimal fahren.» Da bis jetzt erst einer der zwei langen Tische in der Cafeteria besetzt ist, besteht also kapazitätsmässig noch Luft.
Aebersold hält fest, dass sich die drei Betreuer und die jungen Leute «auf Augenhöhe begegnen. Es ist eine Freude, mit ihnen zusammen zu arbeiten, für alle ist es ein Geben und Nehmen. Es macht Freude festzustellen, wie schnell sie das Stricken lernen, Freude daran haben und etwas Brauchbares kreieren. Wenn sie dann eine Woche später mit dem bereits fertigen Schal kommen und diesen stolz vorweisen, freuen wir uns mit ihnen. An den langen Abenden im Lindenfeld klappern jetzt vermehrt die Stricknadeln. So auch bei Jonas, dessen Kappe fast fertig ist.»

Sinnvolle Hilfe
Cornelia Zürcher führt zusammen mit ihrem Ehemann Theo Stalder den Betrieb im Lyssachschachen. Lächelnd erinnert sie sich, dass «Herr Stoller mich im Herbst 2015 kontaktiert hat, ob man zusammen etwas für die Asylbewerber organisieren könnte. Damals war ja gerade der Höhepunkt mit den enormen Flüchtlingsströmen; also habe ich spontan zugesagt. Mein Ehemann und ich wollten sowieso irgendwie helfen, da kam uns die Anfrage sehr gelegen. Ein Problem waren die Kursleiter, die wir ja bezahlen müssten. Spontan hat sich Angelika Aebersold mit ihrem grossen handwerklichen Können für die Kursleitung zur Verfügung gestellt, unterstützt von Erna Stoller. Auf diese Weise können wir professionelle Kurse durchführen. Die Erstausstattung haben wir gespendet, anschliessend geben wir die Wolle zum halben Preis ab.»
Cornelia Zürcher ist voll des Lobes über Maryam: «Die junge Frau ist sehr fleissig; ihre Arbeiten sind aussergewöhnlich gut.» Wie lang diese Stricknachmittage andauern werden, kann sie noch nicht sagen: «Bisher läuft es prima, alle haben Freude. Wir werden sehen, wie es sich entwickelt.» Sie überlegt, ob die fleissigen Strickerinnen in der wärmeren Jahreszeit «feinere Arbeiten stricken werden; dann geht das Material weniger ins Geld.»

Gerti Binz


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