Was tun bei Gedächtnisproblemen oder Demenzen?

  09.02.2016 Aktuell, Burgdorf, Gesellschaft

«D’REGION»: Was darf das Publikum vom Vortrag erwarten?
Dr. Guzek: Ziel des Vortrages ist es, allgemein verständlich zu erklären, wann von einer Gedächtnisstörung gesprochen wird, welche Ursachen Gedächtnisstörungen haben können und wie bei deren Abklärung vorgegangen wird. Wichtig ist, den Betroffenen und ihren Angehörigen die Unsicherheit zu nehmen, die aufkommt, wenn man nicht weiss, worauf man sich einlässt und weshalb welche Untersuchungen notwendig sind. Das Publikum wird den heutigen Wissensstand erfahren.

«D’REGION»: Sind Gedächtnisprobleme oft auch nur Konzentrationsmängel?
Dr. Guzek: Prinzipiell unterscheiden wir unter dem Oberbegriff der «Kognition» unterschiedliche psychische Funktionen. Aufmerksamkeit und Konzentration gehören dazu. Sie ermöglichen uns, Informationen wahrzunehmen, an die wir uns später erinnern sollen. Das Gedächtnis umfasst aber noch mehrere weitere Funktio­nen. Man muss die Information nicht nur wahrnehmen – man muss sie auch speichern und wenn nötig abrufen. Gedächtnisprobleme können daher  ganz verschiedene Ursachen haben. Deshalb ist eine genaue Abklärung so wichtig.

«D’REGION»: Sollte jemand den Arzt konsultieren, der mal einen Namen vergisst, nicht weiss, wo er seinen Schlüssel hingelegt hat oder was er im Keller holen wollte?
Dr. Guzek: Veränderte Gedächtnisleis­tungen gehören zum Alterungsprozess.  Gedächtnisstörungen sind aber keine Alterserscheinung per se. Entscheidend ist das Ausmass der Vergesslichkeit – und ob die Probleme zunehmen. Wichtig ist, darauf zu achten, ob noch weitere Probleme auftreten – und eine frühe Abklärung, um anderweitige Ursachen auszuschliessen, rechtzeitige Massnahmen zu treffen und eine mögliche demenzielle Entwicklung zu verlangsamen.

«D’REGION»: Welches sind Alarmzeichen für beginnende Demenz – und gehören auch verlorene Fertigkeiten dazu?
Dr. Guzek: Es gibt unterschiedliche Ursachen von Demenzen. Hinter der klinischen Diagnose einer Demenz stehen Erkrankungen des Gehirns – unterschiedliche Erkrankungen. Deshalb sind die Alarmzeichen nicht immer gleich. Gedächtnisprobleme sind recht häufig. In einigen Fällen kann das Gedächtnis über einen längeren Zeitraum hinweg nur wenig gestört sein, während der Umgebung Wesensveränderungen deutlicher auffallen. Seit Langem beherrschte Fertigkeiten bleiben bei einer Demenz tendenziell länger erhalten, weil sie meist gut eingeübt sind. Wenn jemand Schwierigkeiten bekundet, neue Fertigkeiten zu erlernen – etwa bei der Bedienung neuer Haushaltsgeräte –, kann dies auf eine beginnende Demenz hinweisen, aber auch völlig normal sein. Wichtig ist, dies in einer sorgfältigen Abklärung zu unterscheiden.

«D’REGION»: Stimmt es, dass eine Demenz vielfach mit 50 Jahren beginnt?
Dr. Guzek: Wie erwähnt ist nicht jede Form von Vergesslichkeit Ausdruck einer Demenz. Vor allem bei jüngeren Personen nicht. Aber es ist wahr, dass es Demenzen gibt, die sich bereits früh – also deutlich vor dem 60. Lebensjahr – zeigen können. Die meisten Demenzen treten jedoch später auf – auch wenn die zugrunde liegenden Erkrankungen oft Jahre früher beginnen, ohne aufzufallen. Im Altersbereich von 60 bis 90 Jahren gibt es den grössten Anstieg der Häufigkeit. Die Prävalenz – Krankheitshäufigkeit in der entsprechenden Altersgruppe – der Demenzkranken scheint sich alle fünf Jahre zu verdoppeln. Ab 90 Jahren scheint die Prävalenz ein Plateau zu erreichen. Das heisst, dass ein sehr hohes Lebensalter nicht unvermeidlich mit einer Demenzerkrankung einhergehen muss. Diese Zahlen betreffen aber nur die Manifestation der Symptome, der Beginn der demenziellen Entwicklung kann mehrere Jahrzehnte zurückliegen.

«D’REGION»: Oft gelingt es Leuten, im Alltag ihre Demenz zu verstecken. Wie schaffen sie das?
Dr. Guzek: Ich würde in den meis­ten Fällen nicht vom «Verstecken» sprechen. Wir alle können nicht alles gleich gut. Deshalb sind wir es gewohnt, unsere Schwächen durch Stärken auszugleichen – auch im Falle einer demenziellen Entwicklung. Man macht, was man kann, und möchte sich möglichst keine Blösse geben. Oft merken Demenzbetroffene gar nicht, dass sie Schwierigkeiten haben. In diesen Fällen kann es sein, dass offensichtliche Defizite bestritten werden. Meis-tens findet man eine gute Erklärung, weshalb man an etwas nicht gleich gedacht hat. Ein Teil dieses «Versteckens» hat auch mit dem Umfeld zu tun. Wir unterstützen uns nahe stehende Personen, wenn uns Probleme deutlich werden. Da sich eine Demenz oft sehr langsam entwickelt, kann es sein, dass ein gesunder Ehepartner mit der Zeit immer mehr übernimmt und die Auswirkungen der Demenz­erkrankung lange verborgen bleiben. Oft fallen sie erst auf, wenn nur noch wenig geholfen werden kann. Diesem Problem versuchen wir mit Aufklärung entgegenzuwirken.

«D’REGION»: Früher sprach man oft von «Arterienverkalkung». War das normale Altersvergesslichkeit oder eine Demenz?
Dr. Guzek: In gewissem Sinn war die Bezeichnung Arterienverkalkung für einen Teil der Demenzen gar nicht so falsch. Ich habe vorhin erwähnt, dass Demenzen Folgen unterschiedlicher Erkrankungen des Gehirns sein können. Dazu gehören die häufigen vaskulären Demenzen, die oft auf arteriosklerotische Veränderung der Gehirngefässe – also auf übermässige Ablagerungsbildung in den Gefässen – zurückzuführen sind. In diesen Fällen war dies auch früher schon eine Demenz. Die Frage zielt aber wohl eher darauf, ob es früher Demenzen gab, die nicht erkannt wurden, sondern als normaler Alterungsprozess missdeutet wurden. Diese Frage kann man bejahen. Es ist keine normale Vergesslichkeit, wenn ich mich nicht mehr an meine Adresse oder an die Namen meiner engen Freunde erinnern kann. Dies ist in keiner Altersstufe normal.

«D’REGION»: Nehmen Demenz-Diagnosen nur deshalb zu, weil die Leute älter werden?
Dr. Guzek: Nach heutigem Wissensstand werden Demenzen eigentlich nicht häufiger. Sie betreffen aber überwiegend ältere Menschen. Je mehr ältere und ganz alte Menschen es gibt, umso häufiger muss man die Diagnose stellen. Dies auch deshalb, weil Senio­ren eine immer grössere Lebenserwartung haben. Eine frühe Diagnose ist wichtig, um die Lebensqualität dieser Menschen günstig zu beeinflussen.

«D’REGION»: Demenz-Erkrankungen sind nicht heilbar. Medikamente – Antidementiva – können jedoch den schleichenden geistigen Abbau bremsen. Wann verordnen Sie solche?
Dr. Guzek: Demenz ist eine Folge unterschiedlicher Gehirnerkrankungen. Das Vorgehen nach der Diagnosestellung unterscheidet sich je nach Ursache. Deshalb ist eine umfassende Abklärung zentral. In manchen Fällen ist es wichtig, die Durchblutung des Gehirns zu fördern. In anderen Fällen gilt es, weitere Schäden an den Gefässen zu vermeiden, indem beispielsweise der Blutdruck optimiert wird. In vielen Fällen liegt die Ursache der Demenz in einer Alzheimer-Erkrankung. Diese schreitet zwar auch bei einer Behandlung voran, die erwähnten Medikamente können diese verhängnisvolle Entwicklung aber vielfach deutlich verlangsamen.

«D’REGION»: Wirken sich körperliche Bewegung, ausgewogene Ernährung und geistiges Training wie das Lösen von Kreuzworträtseln positiv auf eine drohende Demenz aus?
Dr. Guzek: Ein Teil der Demenzen entsteht durch Erkrankungen der Gehirngefässe. Alles, was gut für die Gefässe ist – also gesunde Ernährung und viel Bewegung –, kann daher einen gewissen Schutz vor dieser Form der Demenz bieten. Für die meisten anderen Erkrankungen, die eine Demenz verursachen können, kennen wir noch keine Schutzfaktoren. Die Einschränkungen der Alltagsfertigkeiten, die durch eine Demenz entstehen, hängen stark davon ab, wie «geübt» und «trainiert» das Gehirn ist. Dieses verhält sich ähnlich wie die Muskulatur. Wer unter Muskelabbau leidet und sehr muskulös war, wird im gleichen Stadium immer noch kräftiger sein als jemand, der nie trainiert hat.

«D’REGION»: Gibt es Demenzkranke, die aus eigenem Antrieb den Arzt aufsuchen, oder sind es Angehörige, die – allein oder mit dem Patienten – zum Hausarzt oder zu Ihnen kommen?
Dr. Guzek: Für die Betroffenen ist es oft schwierig, eine demenzielle Entwicklung an sich selber zu bemerken, weil auch die Fähigkeit der Selbstbeurteilung oft schon sehr früh beeinträchtigt ist. Ausserdem gewöhnen wir uns alle zeitlebens an unsere Schwächen und finden sie oft nicht schlimm. In diesen Fällen kommt die Initiative zur Abklärung oft von der Familie, der Umgebung oder dem Hausarzt, dem die Unterschiede zu früher deutlich auffallen.

«D’REGION»: Der Psychiatrische Dienst des Spitals Emmental betreibt neu im Ambulanten Zentrum Buchmatt in Burgdorf eine Memory Clinic, um Hirnleistungsstörungen abzuklären und Demenzerkrankungen frühzeitig zu erkennen. Wie sind hier die ersten Erfahrungen?
Dr. Guzek: Wir sind noch dabei, Erfahrungen zu sammeln. Die ersten Auswertungen sind aber sehr ermutigend – soweit man dies in diesem traurigen Kontext sagen kann. Wir bieten nicht nur die sehr wichtige differenzierte Diagnostik an, sondern auch eine Begleitung nach der Diagnosestellung, damit sich die Betroffenen auf die neue und zukünftige Situation mit Unterstützung einstellen können. Schwierige Erfahrungen habe wir selten gemacht. Das gibt es aber auch. Letztlich geht es um sehr belastende Schicksale.

Zur Person
Dr. med. Markus Guzek, geboren am 20. Dezember 1973, wohnt in Bolligen. Er ist verheiratet und Vater einer zweieinhalbjährigen Tochter. Seine berufliche Karriere: Facharztausbildung in Zürich, im Thurgau und im Aargau. Im Aargau Schwerpunktausbildung Konsiliar- und Liaisonpsychia­trie. Seit dieser Tätigkeit zunehmende Spezialisierung auf neuropsychia­trische Störungen. Leitung und Aufbau von Spezialsprechstunden für ADHS und Autismusspektrum-Störungen im Erwachsenenalter sowie des konsiliar­psychiatrischen Dienstes am Spital Zofingen. Später zusätzliche Schwerpunktausbildung Alterspsychiatrie und -psychotherapie an der UPD Bern. Seit August 2015 Leitender Arzt Alterspsychiatrie und -psychotherapie am Spital Emmental.

Hans Mathys


Image Title

1/10


Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote