Zwei junge Frauen teilen sich den Sieg

  30.01.2017 Aktuell, Kultur, Burgdorf, Bildung / Schule, Gesellschaft, Jugend

Burgerrätin Edith Müller erläutert dem zahlreich erschienenen Publikum im grossen Saal des Stadthauses Sinn und Zweck der burgerrätlichen Prämierung von Maturaarbeiten, die von allen Sekundarschülerinnen und -schülern primär im Gymnasium eingereicht werden müssen. Wer seine Arbeit zusätzlich bei der Burgergemeinde einreichen will, muss das Thema «regional – diagonal – Emmental» berücksichtigen. «Von den sieben eingereichten Arbeiten – fünf weniger als vergangenes Jahr – hat die Kulturkommission drei als preiswürdig anerkannt.»

Unterschiedliche Blickwinkel
Rektor Christian Joos spricht von seiner Freude, «jedes Jahr zur Prämierung der Maturaarbeiten an diesem Festakt teilzunehmen. Jahr für Jahr ist es immer wieder spannend, sich die Vorträge über die unterschiedlichen Arbeitsthemen anzuhören. Interessant ist auch, nach welchen Massstäben die burgerliche Kulturkommission die Rangierung festlegt. Hier bestehen wesentliche Unterschiede zu den Kriterien, gemäss welchen das Gymasium diese Arbeiten benotet. Das zeigt, dass Bewertungen aus unterschiedlichen Blickrichtungen zu völlig anderen Ergebnissen führen können. Und das ist auch gut so.» Mit wiederholtem Dank für diesen Ansporn, den die Preise für die Schülerschaft darstellen, schliesst Joos seine Dankesrede, die er bereits zum elften Mal halten kann.

Zwar sind die drei Preisträger/innen Tanja Blume aus Burgdorf, Luna Krebs aus Wiler und Philippe Schneiter aus Rüdtligen-Alchenflüh bekannt, aber die Rangierung ist für das Publikum noch offen. Alle drei präsentieren in alphabetischer Reihenfolge ihre Arbeiten, worauf die Anwesenden noch über den Publikumspreis abstimmen können.

Burgdorferinnen als Forschungspersonen
Tanja Blume hat sich mit Burgdorfer Politikerinnen auseinandergesetzt. Mit entsprechender Quellenforschung zum Thema Frauenstimmrecht und Feminismus sowie persönlichen Interviews der Burgdorferinnen Elisabeth Zäch (bis Ende 2016 Burgdorfer Stadtpräsidentin, SP), Christa Markwalder (FDP-Nationalrätin und bis November 2016 Nationalratspräsidentin) sowie Kathrin Fiechter (frühere SVP-Stadt- und Gemeinderätin) hat sie ihr Thema «Burgdorfer Frauen in der Politik – eine Erfolgsgeschichte?» ausführlich aufgearbeitet. Die Idee dazu sei ihr nach eigenen Worten «anlässlich der Feier von Christa Markwalder zu ihrer Wahl zur Nationalratspräsidentin gekommen», als sie diese auf dem Kronenplatz getroffen habe. «Zäch hat ihr herzlich gratuliert und sie umarmt. In diesem Moment hatte ich mein Thema.»

Blume arbeitet Themen wie den mühsamen Weg zum allgemeinen Frauenstimmrecht in der Schweiz auf, frühere und heutige Quoten bei politischen Ämtern, vielfältige Hindernisse bei einem politischen, beruflichen und familiären Engagement, und schliesst mit dem Satz: «Frauen tun der Politik wirklich gut.» Ihr Fazit: «Das Frauennetzwerk ausbauen, gezielt für Frauensolidarität und die allgemeine Gleichstellung der Frauen arbeiten.»

Genau hinsehen
Luna Krebs fährt täglich mit dem Zug von ihrem Wohnort Wiler nach Burgdorf und nutzte diesen Umstand als Grundlage für ihre Arbeit «Burgdorf – Wiler, sechs Geschichten». Die sechs Zugstationen ergeben sechs Kurzgeschichten, in denen sie mit berührenden Fotos von positiv stimmenden morgendlichen Wolkenformationen und heute teils negativ prägenden Einflüssen wie Digitalisierung, Kannabis und Alkohol, Kapitalismus und anderem die verbreitete Tendenz zur Einsamkeit zeigt.

Sie spielt mit dem geschriebenen Wort diverser Autoren, denen es mit unüblicher Wortwahl und ohne grosse Umschweife gelingt, eine Sache präzise auf den teils tiefsinnigen Punkt zu bringen. Dazu verfasst sie selber entsprechende Texte. Krebs fragt das Publikum: «Was braucht es, damit einem ein Mensch nicht egal ist?» Und gibt als Antwort: «den Hamilton-­Effekt. Als die amerikanischen Behörden die alte Zehndollarnote mit dem Hamilton-Portrait ersetzen wollte, entstand ein Hamilton-Musical. Plötzlich verbanden die Menschen Emotionen mit diesem Mann, Verbindungen entstanden, die Note blieb.»

Krebs plädiert für den täglichen Blick auf vielschichtige Charakter in unserer Umwelt, will diesen einen Rahmen geben für genaues Hinsehen.

Wahrnehmung der Flüchtlinge
Philippe Schneiter präsentiert seine englisch verfasste Maturaarbeit auf Deutsch: «Kurzfilm über Flüchtlinge in der Schweiz», wofür er Kontakt zum Burgdorfer Flüchtlingsheim Lindenfeld aufgenommen hat. Es geht ihm darum, die Voreingenommenheit der Bevölkerung durch besseres Kennenlernen dieser Männer und Frauen zum normalen Umgang mit diesen Menschen zu verändern. «Im Alleingang als Autor, Produzent und technischer Laie habe ich sämtliche Arbeiten für den aus zwölf Stunden bestehenden und auf 30 Minuten gekürzten Film selber erledigt, was mit enormem Aufwand und viel Lernen verbunden gewesen ist.»
Über Mittelspersonen hat er Kontakte zu Flüchtlingen aufgebaut und Kenntnis von beklemmenden Lebensschicksalen erhalten.

Eine Auswertung seiner Arbeit hat ergeben, dass befragte Personen nach der Sichtung seines Filmes eine merklich ins Positive geänderte Wahrnehmung inklusive Verständnis für die Flüchtlinge zeigen. Die Bereitschaft zu helfen (14 Prozent) sowie die allgemeine Sympathie (33 Prozent) sind gestiegen, Ängste werden abgebaut (30 Prozent). Zudem begrüssen 30 Prozent der Befragten eine bessere Information rund ums Flüchtlingswesen. Für Schneiter bedeutet die Zusammenarbeit mit Flüchtlingen «eine wertvolle Erfahrung». Zwei seiner Gesprächspartner haben ihn zur Präsentation begleitet (Yirgealem Tewelde, Eritrea, und Hamid Haqyar, Afghanistan). Der Film, aus dem nur kurze Sequenzen gezeigt werden, wird im Verlauf des Sommers in Burgdorf ins Kino kommen.

Die Kulturkommission vergibt keinen ersten Rang, sondern zwei zweite an Tanja Blume und Luna Krebs (Preissumme je 500 Franken) sowie einen dritten Rang an Philippe Schneiter (400 Franken). Den mit 250 Franken dotierten Publikumspreis gewinnt Tanja Blume mit 36 Stimmen.
Beim anschliessenden Apéro bleibt viel Zeit für Gespräche.

Gerti Binz


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