«Die schwarze Spinne» trifft das «Girl from Ipanema»

  19.06.2017 Gesellschaft, Lützelflüh

«Sobre as montanhas alçou-se o sol»… so klingt der Eröffnungssatz von Gotthelfs berühmtester Novelle auf Portugiesisch: Über die Berge hob sich die Sonne. Die Gotte trägt «um imponente ramalhete em seu chapéu», einen «stattlichen Meyen auf dem Hut», die «Kannenbirnenschnitze» werden zu «quartos de peras refogadas» – und «Die schwarze Spinne» zur «A aranha negra».
An der Vernissage vom vergangenen Mittwoch im Gotthelf Zentrum präsentiert der Verfasser dieser melodiö­sen Sätze seine Übersetzung: Professor Marcus Vinicius Mazzari von der Universität São Paulo. Im Wechsel mit der deutschen Zusammenfassung der Handlung und Gotthelfs Originaltext trägt Marcus Mazzari den entsprechenden Abschnitt auf Portugiesisch vor. Aufmerksam folgen vierzig Gäste den ungewohnten Klängen und Satzmelodien, die oft ans Rätoromanische gemahnen. Und doch so ganz unverständlich tönen. Samba- und Bossa- Nova-Stimmung zaubert Jan Trösch mit der akustischen Gitarre in den Saal – und so trifft an diesem grenz­überschreitenden und interkulturellen Anlass Gotthelfs Spinne auf das brasilianische Mädchen vom Strand in Ipanema.

Von Teufel fasziniert, von Gotthelf beeindruckt…
Als Germanistik-Professor befasst sich Marcus Mazzari mit dem Teufelspakt in der Literatur verschiedener Länder. Fausts Deal mit Mephisto ist wohl das bekannteste Beispiel. Aber auch in Gotthelfs «Schwarzer Spinne» kommt das Motiv vor: Damit er für die Bauern die von Hans von Stoffeln verlangten hundert Buchen auf Bärhegen bringt, schliesst Christine mit dem Teufel einen verhängnisvollen Pakt, der Tod und Verderben ins Emmental bringt, verbreitet durch die schwarze Spinne. Und weil es «Die schwarze Spinne» noch nicht auf Portugiesisch gibt, entschliesst sich Marcus Mazzari vor einem Jahr, das halt selbst an die Hand zu nehmen – nicht zuletzt auch, weil ihn Gotthelfs Sprachgewalt fasziniert. Und nun, 175 Jahre nach der Erstpublikation, liegt sie also vor: «A aranha negra».


…und vom Emmental begeistert
Anlässlich seines Besuchs zeigen Heinrich Schütz und Werner Eichenberger vom Leitungsteam des Gotthelf Zentrums ihrem Gast auch die Schönheiten des Emmentals, die «Höger» und «Chrächen», die alten Holzbrücken oder die Kirche von Würzbrunnen. Die kennt Mazzari übrigens fast so gut wie die meisten Schweizer… nämlich aus den Gotthelf-Filmen von Franz Schnyder. Tief beeindruckt ist der Mann aus der lärmigen 12-Millionen-Stadt von der Ruhe und Beschaulichkeit der Region. Alles sei so geordnet, nirgends sehe man Armut, meint er. Und hält die Eindrücke mit seiner Kamera fest. «Das Emmental ist ein Paradies!»
Werner Eichenberger


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