Kirche und Staat trennen - Gewinn oder Verlust?

| Mi, 13. Sep. 2017
Nadaw Penner, Samuel Truttmann, Lydia Schranz, Florian Wüthrich und Martin Aeschlimann

BURGDORF: Die EVP Burgdorf und Umgebung hatte eine Podiumsdiskussion zum Thema organisiert. Anlass dazu gab eine Abstimmung über ein neues Kirchengesetz, welches das traditionell enge Verhältnis zu den Landeskirchen lockern soll. hkb

Vergangene Woche wurde im Grossrat über ein neues Kirchengesetz abgestimmt. Die Berner Kantonsregierung lockert das traditionell enge Verhältnis zu den drei Landeskirchen. Eine vollständige Trennung war jedoch chancenlos, wobei die historische Verflechtung für diesen Entscheid mitverantwortlich war. Seit über 200 Jahren gehören sämtliche Kirchengüter dem Kanton und eine Rückzahlung wäre finanziell nicht verkraftbar. So leistet der Kanton nach dem neuen Finanzierungsmodell einen Sockelbeitrag von 43,2 Millionen Franken jährlich an die Landeskirchen. Zudem werden Leistungen dieser Institutionen in der Kinder- und Jugendarbeit, Erwachsenenbildung, Paarberatung, im Religionsunterricht und in Angebote für sozial Schwache vergütet, was weitere 31,4 Millionen Franken kosten wird.
An der Diskussion zur Frage «Kirche und Staat trennen – Gewinn oder Verlust?» beteiligten sich Lydia Schranz als Mitglied der Synode, EVP-Grossrat Martin Aeschlimann, SP-Mitglied Nadaw Penner als Präsident des Gewerkschaftsbundes Emmental sowie der leitende Pastor der Pfimi Samuel Truttmann. Unter der Moderation von Florian Wüthrich, Redaktionsleiter Livenet, wurde angeregt diskutiert und debattiert.

Nur wenige Änderungen geben wirklich zu reden
Lydia Schranz hatte sich als Synodale der reformierten Kirche bereits seit längerer Zeit mit diesem Thema befasst und meinte, am meisten betroffen seien die Pfarrpersonen, die alle eine neue Anstellung von der Kirche bekämen und darum nicht mehr Kantonsangestellte, also Beamte wären. Sie erwähnte, dass die Berner Kirche offen sei für den Dienst an allen Menschen und dass eine Veränderung der KUW (kirchliche Unterweisung) anstehe. Das Ziel wäre, diesen Unterricht offener zu gestalten, damit auch Kinder anderer christlicher Gemeinschaften daran teilnehmen könnten. Dafür plädierte auch Aeschlimann. Er informierte zudem über die Diskussionen im Grossen Rat, die sich vorwiegend um die Finanzen drehten. Die Räte hätten die Verantwortung für die  hohen Ausgaben der Kirchen, die vorwiegend durch die Löhne der Pfarrpersonen entstanden seien, abgeben wollen. Er ist jedoch überzeugt, dass dieser Entscheid die Landeskirchen stärke, was Truttmann  als Mitglied einer nicht profitierenden Freikirche akzeptieren kann. Truttmann ergänzte, dass auch die Freikirchen ein Recht darauf hätten, für ihre Dienstleistungen bezahlt zu werden. Er betonte, dass jedoch nicht finanzielle Anreize massgebend sein sollten für den Dienst am Mitmenschen, sondern der Glaube. Erstaunt ist er darüber, dass juristische Personen auch weiterhin Kirchensteuern bezahlen müssen. Aeschlimann ergänzte, dass diese Steuern nicht für kultische Zwecke eingesetzt werden dürfen, sondern lediglich für Aufgaben von öffentlichem Interesse.
Penner war überzeugt, dass die Trennung von Kirche und Staat ein Muss sei, die Kirche für ihre Arbeit jedoch entschädigt werden sollte. Ein geeignetes Modell dafür wäre eine Art Public-private-Partnership. Darunter versteht man eine vertraglich geregelte Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Hand und Unternehmen der Privatwirtschaft oder in diesem Fall eben der Kirche. Obwohl er eine atheistische Gesinnung hat, glaubt er an die Solidarität der Menschen, egal welchen Glaubens. «Freiwilligenarbeit ist auch in nicht religiös motivierten Gruppen zu finden», ergänzte er. Er plädierte für die Öffnung der Kirchenräume auch für nichtchristliche Rituale, denn der Mensch hätte ganz allgemein ein Bedürfnis für Rituale.
EVP-Politiker und -Politikerinnen haben nun ein Postulat für eine «kleine» Anerkennung von weiteren Religionsgemeinschaften lanciert. Sie wollen damit auch nicht christlichen Gemeinschaften die Möglichkeit verschaffen, beispielsweise ihre Gefangenen oder Kranken seelsorgerisch zu betreuen.  Diese Möglichkeit müsste jedoch an Bedingungen geknüpft werden, die Transparenz und Akzeptanz demokratischer Grundwerte versprechen.
Aus dem Publikum wurden diesbezüglich Bedenken angemeldet, weil damit unsere Kirche und die christlichen Werte ausgehöhlt und durch andere Werte ersetzt würden. Penner entgegnete, er fürchte sich nicht vor andern Religionen, sondern vor Menschen, die mit ihren Ansichten Minderheiten diskriminieren und ausschliessen wollen: «Was im Nazideutschland geschah, wurde von den grossen Kirchen einfach akzeptiert. Also gibt es keine Garantie, dass bei einer Zusammenarbeit zwischen Kirche und Staat die Menschlichkeit entscheidet», meinte er.
Helen Käse

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