Abschied von der Drogerie Klöti

Sa, 02. Jun. 2012

OBERBURG: Nach über 33 Jahren zieht sich Hans Klöti Ende Juni aus dem aktiven Geschäftsleben zurück. Damit endet auch die über hundertjährige Geschichte der Oberburger Dorfdrogerie. red

Es war am 2. Oktober 1978, einem schönen Herbstmontag: In Unterseen weihte die Raiffeisenbank ihre neuen Büroräumlichkeiten ein, in Rom ratifizierte Italien das internationale «Übereinkommen über Massnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut», im Kalamazoo-Battle Creek International Airport wurde der Schauspieler Tim Allen wegen des Besitzes von 650 Gramm Kokain verhaftet und in Genf warnten Professoren, Wissenschaftler und Politiker in einem Appell vor den Restrisiken von AKWs.
Während allenthalben also Alltag herrschte, markierte dieser Montag im Oktober 1978 für Oberburg ein besonderes, ein freudiges Ereignis: Käthi und Hans Klöti traten an der Emmentalstrasse 42 als Drogisten die Nachfolge von Hans Berger an. Jetzt, nach 33 Jahren und 9 Monaten engagiert gelebten Dienstes am Kunden, zieht sich Hans Klöti auf Ende Juni aus dem aktiven Geschäftsleben zurück. Damit endet auch die über hundertjährige Geschichte der Oberburger Dorfdrogerie.

Die Kräuter weichen den Stoffen
Es schmerzt Hans Klöti sichtlich, dass es ihm nicht gelungen ist, für die Drogerie nun seinerseits eine Nachfolge zu finden. Vier Jahre lang hat er alles versucht und musste schliesslich resig­nieren: Die wirtschaftliche Situa­tion, die veränderte Einkaufskultur und die Übermacht naher Grossverteiler schreckten mögliche Interessenten von vornherein ab. «Eine selbständige Drogerie in einem zentrumsnahen Dorf bietet langfristig keine gesicherte Existenz mehr», meint Hans Klöti. «Ich bin aber sehr glücklich, dass das Ladenlokal trotzdem weiter genutzt wird.» Schon nach kurzer Umbauzeit nämlich wird im Spätsommer das Laden-Atelier für Näh-Kunst «quiltissima» von Kathrin Gertsch Einzug in die heutige Drogerie halten. «Gesichert ist auch die Fortführung der Zahnarzt-Praxis im 1. Stock», informiert Hans Klöti, dem es vor dreissig Jahren mit dem Verzicht auf seine oberen Ladenräume gelungen war, einen jungen Zahnarzt ins Dorf zu holen und damit ein wichtiges Vakuum zu füllen.
In Muri bei Bern aufgewachsen, absolvierte Hans Klöti von 1964 – 1968 eine Lehre als Drogist und besuchte später die Höhere Fachschule für Drogis­tinnen und Drogisten in Neuenburg  – gemeinsam übrigens mit einer gewissen Käthi, die kurz danach seine Frau werden sollte.

42 Warengruppen
Das junge Ehepaar siedelte sich zunächst in Zürich an, wo Hans die Stelle als Geschäftsführer in einer grösseren Drogerie angetreten hatte. Nach fünf Jahren suchten die beiden Meis­terdrogisten die Selbständigkeit – und fanden sie in Oberburg. «Der Zufall hat nachgeholfen», erzählt Hans Klöti. «Ich wirkte an der Höheren Fachschule von Neuenburg als Prüfungsexperte für Chemie und traf dort Eduard Berger wieder, der in meinem vierten Lehrlingsjahr mein Unterstift gewesen war. Wir kamen ins Gespräch und daher wusste er von unserem Wunsch, ein Geschäft zu übernehmen.» Als der Sohn des Oberburger Drogisten Hans Berger sich für eine andere Berufslaufbahn entschied, musste die Nachfolge für die gut eingeführte Dorfdrogerie neu geregelt werden. «Eduard brachte Käthi und mich mit seinem Vater in Kontakt und nach kurzer Bedenkzeit haben wir unterschrieben.» Der Entscheid sei ihnen nicht schwergefallen, erinnert sich Hans Klöti. «Die seit 1908 bestehende Drogerie Berger galt im Kanton Bern als Vorzeigedrogerie und genoss einen ausgezeichneten Ruf. Für uns war es ein Glücksfall.»
Das Sortiment, das Hans Klöti von seinem Vorgänger übernahm, sah wesentlich anders aus als es sich heute in einer modernen Drogerie präsentiert. Angefangen bei den Spirituosen, die meist noch selbst in Flaschen abgefüllt wurden, über jegliche Waschmittel, Farbwaren, Schleifpapier, Pinsel, Sämereien und Dünger bis zu den Schädlingsbekämpfungsmitteln fanden sich Artikel, die damals neben Kosmetik, pharmazeutischen Spezia­litäten und Pflanzenheilmitteln zur Grundausstattung einer jeden Drogerie gehörten. «Eine wichtige Rolle spielte auch die Säuglingsernährung, die wie einige Produkte der Kosmetik und der Kinderpflege in den Drogerien selbst hergestellt worden sind», erinnert sich Hans Klöti. «Lange vor Nestle produzierten die Drogisten mit Phosphatine etwa den ersten Schoppenzusatz zur Milch.» Die Drogerie war ein Multigeschäft: «Wir waren Anlaufstelle für jegliche Probleme: Vom verstopften Ablaufrohr bis zur fliessenden Nase. In der Ausbildung hatte ich einen Ordner, der war betitelt mit ‹Die 42 Warengruppen der Drogerie›. Viele dieser Warengruppen verloren später wegen der Konkurrenz der Grossverteiler an Bedeutung.»

Eigene Produkte
Klötis, die mittlerweile Eltern einer Tochter geworden waren, siedelten sich in der Bärenmatte an. Die Integration war schnell vollzogen: «Bereits zwei Tage nach Eröffnung lud mich der Gewerbeverein an seinen Stamm ein», schmunzelt Hans Klöti, der später die Lobby des Oberburger Gewerbes auch selbst präsidieren sollte. Der gesellige Drogist tat das seine zu einer raschen und tiefen Verwurzelung mit dem Dorf: Atemschutz-Chef bei der Feuerwehr, Tenor im Kirchenchor, Revisor bei der Verwaltungsgebäude AG, Desinfektor in der Gesundheitskommission und viele Aktivitäten mehr führten dazu, dass man sich Oberburg bald nicht mehr ohne ihn vorstellen konnte. Auch die «Drogerie Klöti» etablierte sich rasch und gewann mit Eigenprodukten einen breiten Kundenkreis weit über das Dorf hinaus: «We de meinsch äs töti, geisch zum Klöti, dä git dr de äs Mitteli, de muesch de nid ids Schpitteli, geits dr himulingg, geisch zum Dokter Zingg.» In der Tat ist die Produktepalette aus Klötis eigener Produktion beeindruckend: Klassischer Hustensirup, eine schmerzstillende und wundheilende Salbe bei Verbrennungen, eine antibiotisch wirkende Propolissalbe auf der Basis von Bienenkittharz, Erkältungsbäder, durchblutungsfördernder Franz-Branntwein, eigene Kräutermischungen, spagirische Mischungen, die namensgeschützte Handcreme «Cremana», eine Fusscreme, ein eigenes Kräuterdusch, das ohne Petrochemie auskommt, ein Schaumbad mit natürlicher Parfümierung: Was davon nicht pharmazeutisch ist, wird bei «quiltissima» weiterhin zu erstehen sein.

Wegzug auf die Wangele
1982 wurde bei Käthi Klöti Brustkrebs diagnostiziert und vier Jahre später verlor die junge Mutter, Ehefrau und Geschäftspartnerin ihren beharrlichen Kampf gegen die heimtückische Krankheit. Ein grausamer Verlust für Hans Klöti und seine damals achtjährige Tochter, den die beiden auf bewundernswerte Weise meisterten.
Die Überschwemmung, die das Dorf ein knappes Jahr später heimsuchte, rückte im solidarischen Miteinander beim Aufräumen der überfluteten Keller so manche Nachbarschaft enger zusammen. Das war auch im Wohnblock von Klötis der Fall: «Hermine, eine benachbarte Pflegefachfrau aus Holland, stand wie ich in den Stiefeln in der Tiefgarage und später kamen wir uns näher.» Die damalige Chefin des Notfalls am Spital Burgdorf, die sich auch rührend um Sylvia kümmerte, wurde der Heranwachsenden zur Freundin und Hans Klöti zur Lebensgefährtin.
1992 zogen die drei schweren Herzens von Oberburg weg, auf die Wangele oberhalb von Burgdorf. «Wir wollten eigentlich unbedingt in Oberburg bleiben», bekräftigt Hans Klöti. «Es stand damals – kurz vor der Revision der Ortsplanung – aber kein geeignetes Bauland zur Verfügung.» Das Geschäft zu verlassen hingegen kam für ihn nie in Frage – obwohl es die unabhängigen Drogisten immer schwerer hatten. Hans Klöti erinnert etwa an den Verlust des Alkoholmonopols, an die Aufnahme vieler Produkte in die Sortimente der Grossverteiler, die sich vorher sonst nur in den Regalen der Drogerien finden liessen. «In den Anfängen empfingen wir an Samstagen gut und gern weit über hundert Kunden. Heute sind es gerade noch um die sechzig.»
Dem wirtschaftlichen Druck entgegen zu halten wurde zum täglichen Kampf. Die Qualität der persönlichen Beratung, das speditive Beschaffen von seltenen Produkten, die individuelle Zusammenstellung alter Heilmittel, der Lieferservice nach Hause, der den Betroffenen nicht nur die gewünschte Salbe oder das benötigte Pülverli, sondern auch einen willkommenen Kontakt ins Krankenzimmer brachte: Diese Merkmale, welche die Drogerie Klöti schon immer ausgezeichnet hatten, wurden nun zur Überlebensstrategie.

Noch einmal Gas
Nach Erreichen des Pensionsalters übergibt Hans Klöti seine Geschäftsräume mit «quiltissima» jetzt einer ganz andern Branche. «Nach den vergeblichen, jahrelangen Bemühungen um eine Nachfolgeregelung war für mich klar, dass ich erst aufhöre, wenn meine letzte Lehrtochter ihren Abschluss hat.» Siebzehn junge Damen hat der Lehrmeister allein in Oberburg ausgebildet, insgesamt zwanzig seit seiner Meisterprüfung. Mit Erfolg, denn das war der engagierte Fachmann eben auch noch: ein Ausbildner, der sich um seine Schülerinnen kümmerte und sein Fachwissen zudem als Labor- und Chemieexperte zur Verfügung stellte.
Jetzt, nach 47 Jahren «im Geschäft», wird es Hans Klöti ruhiger nehmen. Zwar wird er den Vertrieb der Eigenmarke Cremana weiter bewirtschaften und zwischendurch etwa an neuen Ideen und Rezepturen tüfteln, doch erhofft er sich auch die Musse für Ausflüge mit den beiden Grosskindern, für das Wandern mit Kollegen, für das Pflegen der Kontakte mit den Altherren und der Aktivitas der Studentenverbindung Droga. Zunächst aber wird noch einmal Vollgas gegeben: Für das Verbandsturnfest von Ende Juni kreiert Hans Klöti im Auftrag der Organisatoren ein eigenes Duschmittel und Shampoo und während zwei Wochen wird das verbleibende Sortiment im Totalausverkauf feil geboten. «Ich möchte, dass die Kunden hier noch einmal richtig profitieren können.» Denn eines ist gewiss: So dankbar unser Dorf für seine gut ausgestattet Drogerie und den stets freundlichen und tief menschlichen Drogisten war, so dankbar war Hans Klöti immer gegenüber seiner treuen Kundschaft. «Für mich waren die Kundenkontakte jedes Mal angenehm. Ich hatte in den 33 Jahren und bald neun Monaten kein einziges böses Erlebnis.»
Martin Schwander

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Kommentare

Das ist genau was Hans ist. Ja, ich war sein Unterstift. Haben gute Zeiten zusammen erlebt. Alles Gute für Deine Pensionierung. Gruss, Edu

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