«Optimal vorbereitet in die Velosaison»

  14.01.2019 Bildung, Foto, Burgdorf, Gesellschaft, Region, Sport

«D’REGION»: Sie werden den Publikumsvortrag gemeinsam gestalten. Wie sieht das Programm aus?
Dr. Dubach: Die Einführung übernehme ich. Diese beinhaltet allgemeine Vorbereitungsmassnahmen. Auch die häufigsten Verletzungen werden erwähnt – insbesondere deren Ursachen. In einem zweiten Teil wird Dr. Wüthrich über den Trainingsaufbau berichten – speziell über den optimalen Einstieg und die optimale Vorbereitung des Herzkreislaufs. Zuletzt wird Ramona Stettler über ernährungsspezifische Details sprechen.

«D’REGION»: Das Spital Emmental ist eine von schweizweit 26 sportmedizinischen Institutionen mit dem Label «Sport Medical Bases approved by Swiss Olympic». Was bedeutet das konkret und welche Rolle spielen Sie dabei?
Dr. Wüthrich: Swiss Olympic ist der Dachverband des Schweizer Sports und das Nationale Olympische Komitee der Schweiz. Der Organisation gehören 81 nationale Sportverbände und 23 Partnerorganisationen an. Das sind rund 19 000 Vereine mit zwei Millionen Sporttreibenden. Das Label führen wir, seit es 2006 von Swiss Olympic geschaffen wurde. Aktuell wurden wir gerade wieder rezertifiziert und können den Titel für weitere vier Jahre tragen. Von den damaligen Gründern sind einzig noch Roland Dubach und ich dabei.
Dr. Dubach: Die Swiss Olympic Medical Base basierte zuerst auf unseren beiden Praxen. Involviert waren Physiotherapien sowie ein Fitnesszentrum. Um nun die Sportmedizin zu zentralisieren – also Zugang zu allen Spezialuntersuchungen an einem Ort zu haben –, haben wir uns entschlossen, uns dem Spital Emmental anzugliedern. Dr. Wüthrich ist Leiter der Sportmedizin. Ich bin sein Stellvertreter. Am Spital Emmental in Burgdorf ist die Sportmedizin aktuell der Medizinischen Klinik angegliedert. Wir bieten regelmässige Sprechstunden an und arbeiten auch mit den spitalinternen Physiotherapeuten mit Spezialausbildung in Sportphysiotherapie zusammen.
Dr. Wüthrich: Schwerpunktmässig werden im Spital eher Beratungen und in der Physiotherapie auch Abklärungen vorgenommen – also Trainingsberatungen, Funktions- und Leistungstests usw. Um flexibel und stets ansprechbar zu sein, werden sportärztliche Dringlichkeiten dann tendenziell eher in den Praxen versorgt.

«D’REGION»: Wie sieht es bei Ernährungsberaterin Ramona Stettler aus – handelt es sich um einen 100-Prozent-Job?
Ramona Stettler: Ich arbeite zu 100 Prozent als Ernährungsberaterin – aufgeteilt in 45 Prozent am Spital Emmental und 55 Prozent in meiner Praxis Ernährungsberatung Bern-Seeland.

«D’REGION»: Der Vortrag richtet sich in erster Linie an die Velofahrer mit deren Vorbereitung auf die Saison. Stellen Sie eine Zunahme der Unfälle fest, seit es E-Bikes gibt?
Dr. Dubach: Es gibt tatsächlich mehr Unfälle. Dies insbesondere, weil das Gerät nicht beherrscht wird, die Ausrüs­tung ungenügend ist und man mit dem erhöhten Tempo nicht zurechtkommt. Vor allem auch ältere Leute steigen auf das E-Bike um. Ab 65 Jahren stellen sie hinsichtlich tödlicher Unfälle eine Risikogruppe dar.

«D’REGION»: Worauf sollten Velo- und E-Bike-Fahrer besonders achten – welches sind die häufigsten Unfallursachen?
Dr. Dubach: Man muss sich vor Augen halten, dass mit dem E-Bike schnellere Geschwindigkeiten möglich sind. Eine gute Einführung ist deshalb eminent wichtig. Das Gerät sollte in allen Details bekannt sein. Es empfehlen sich deshalb – je nach Benutzerin oder Benutzer – Einführungskurse. Probefahrten mit einem versierten E-Biker sind sicher sinnvoll. Man muss sich bewusst sein, dass ein Akku nicht unbeschränkt lange reicht. Deshalb sollte eventuell ein Reserve-Akku angeschafft werden. Die Ausrüstung muss ebenfalls gut sein. Helm tragen ist Pflicht. Zusätzlich empfehlen sich Handgelenksschützer, eventuell Knieschützer. Die häufigsten Verletzungsmuster erfolgen durch Stürze. Dies vom Schädel-Hirn-Trauma bis zur Fraktur – vor allem der oberen Extremitäten.

«D’REGION»: Werden vom Velo aufs E-Bike umsteigende Amateure und Hobby-Sportler von der Geschwindigkeit überrascht, weil 50 Stundenkilometer mit dem E-Bike durchaus möglich sind?
Dr. Dubach: Ja, sicher. Dies ist ein Hauptproblem. Normalerweise ist die Durchschnittsgeschwindigkeit beim Velofahren um die 20 Stundenkilometer – eher auch darunter. Bei diesen weit höheren Geschwindigkeiten muss man eine Notfallbremsung beherrschen. Sie muss deshalb geübt werden.
 
«D’REGION»: Das Frühlingserwachen animiert passionierte Radfahrer/innen – trotz Konditionsdefizit – bei den ersten warmen Sonnenstrahlen gleich eine mehrstündige Tour zu starten. Welches sind hier die Gefahren?
Dr. Wüthrich: Wie überall gilt auch hier, dass das Vorgehen massvoll und «step by step» angegangen werden soll. Mit einer guten und schrittweisen Vorbereitung ergeben sich deutlich weniger Probleme. Das Ganze macht zudem wesentlich mehr Spass.  
Dr. Dubach: Eine Überlastung des Herzkreislaufs ist möglich – vor allem bei ungenügender Flüssigkeitszufuhr. Je mehr man bei den Touren den Akku benutzt, desto weniger weit reicht er. Das Fahren eines E-Bikes ohne Akku ist massiv erschwert bis fast unmöglich. Es empfehlen sich kleinere Touren von vielleicht maximal einer Stunde. Dies zwei- bis dreimal pro Woche. Danach kann gesteigert werden.

«D’REGION»: Bei vernünftigen, der Kondition angepassten Velotouren wirkt sich dies positiv aufs Herz-Kreislauf-System aus. Bekommen Sie es häufig mit Personen zu tun, die aus falschem Ehrgeiz dem Herz-Kreislauf-System schaden und einen Herzinfarkt riskieren?
Dr. Wüthrich: Der Nutzen fürs Herz-Kreislaufsystem ist unbestritten und letztlich immens. Vorbehalten bleibt aber, dass eben das System auch wirklich intakt ist. Gerade bei Einsteigern ab 50-jährig raten wir vorgängig dringend zu einer ärztlichen Abklärung. Diese kann individuell ausfallen. Sie sollte aber neben einer körperlichen Untersuchung – Blutdruck – zumindest auch ein EKG und ein Labor beinhalten.

«D’REGION»: Riskieren ältere Velofahrer eher einen Herzinfarkt auf einer Tour als jüngere?
Dr. Wüthrich: In der Tat ist während der Belastung ein erhöhtes Risiko für ein Herz-Kreislauf-Ereignis vorhanden. Dies nimmt mit dem Alter zu, weil auch die Risikofaktoren – Blutdruck, Cholesterin und so weiter – altersbedingt tendenziell ansteigen. Das ist auch der Grund, weshalb wir zu regelmässigen ärztlichen Kontrollen raten. Der langfristige Nutzen einer regelmässigen sportlichen Tätigkeit überwiegt aber das erwähnte erhöhte Risiko während der Belastung bei Weitem.

«D’REGION»: Was raten Sie Velofahrern, die sich zu viel zumuten, sich zu stark belasten und die unterwegs einen Schwächeanfall erleiden – das Training künftig dosieren oder sofort den Arzt aufsuchen?
Dr. Wüthrich: Wenn sich nicht plausible Erklärungen – Hitze, Trinken, Route – für einen Schwächeanfall finden, ist sicherlich eine ärztliche Standortbestimmung notwendig. Die sportliche Tätigkeit hat aber noch einen weiteren Nebeneffekt: «Ich lerne meinen Körper besser kennen.» Will heissen, dass ich beispielsweise eher in der Lage bin, eine normale Erschöpfung von einer ernst zu nehmenden gesundheitlichen Beeinträchtigung zu unterscheiden.

«D’REGION»: Was raten sie E-Bikern, Mountainbikern und Velofahrern ganz generell?
Dr. Dubach: Sich für die Saison optimal vorbereiten. Dies beinhaltet die eigene Kondition und zusätzlich insbesondere das Arbeitsgerät, sprich E-Bike. Dieses sollte vor der Saison durch einen Fachmann kontrolliert werden. Zusätzlich benötigt man eine adäquate, schützende Ausrüstung und eine anstrengungsgerechte Verpflegung. Insbesondere ist auch die Trinkmenge wichtig – und ein vorhandener zweiter Akku.

«D’REGION»: Kommen wir noch zur Ernährung. Was empfehlen Sie vor, während und nach einem Ausflug per Velo oder E-Bike?
Ramona Stettler: Vor dem Veloausflug kann eine kohlenhydratreiche Mahlzeit eingenommen werden – zum Beispiel ein Sandwich oder Teigwaren. Damit werden in den Muskeln die Zuckerspeicher aufgefüllt und die Trainingsleistung verbessert. Kurz vor dem Ausflug resorbierbare Kohlenhydrate wie ein Brötchen, eine Reiswaffel, Banane, Dörrfrüchte oder ein Riegel konsumieren. Vor dem Veloausflug genügend trinken – rund fünf Deziliter. Der Körper verfügt über genügend Energiespeicher für eine Belastung von einer Stunde. Dauert die Velotour länger, empfiehlt es sich, alle 15 bis 20 Minuten schnell resorbierbare Kohlenhydrate einzunehmen wie beispielsweise Weissbrot, Reiswaffel, Gels, Sportgetränke und so weiter. Bei Sportgetränken alle 15 bis 20 Minuten einen bis drei Deziliter trinken. Nach der Velotour braucht der Körper genügend Nährstoffe zur Regeneration: Wiederauffüllen der Zuckerspeicher, Reparatur und Aufbau von Muskeln sowie anderen Geweben, Ersatz von Flüssigkeit und Elektrolyten.

«D’REGION»: Was kann passieren, wenn man sich, ohne Wasser getrunken zu haben, auf eine Velotour begibt – und welche Mengen Wasser oder ungesüsste Getränke empfehlen Sie vor und während der Tour?
Ramona Stettler: Wasser dient zum Transport von Nährstoffen, Hormonen und Enzymen sowie der Temperaturregulation. Eine Stunde Velofahren würde die Körpertemperatur um rund zehn Grad anheben. Das Verdunsten von Wasser dient als Kühlungsmechanismus, wodurch dem Körper Energie, also Wärme, entzogen wird. Der Körper muss einen bis eineinhalb Liter Schweiss von der Körperoberfläche verdunsten. Dieser Verlust muss zu der täglichen empfohlenen Menge von ein bis zwei Liter Flüssigkeit zusätzlich getrunken werden. Wird zu wenig getrunken, besteht die Gefahr einer Dehydration sowie eines Leistungsverlustes. Eine Stunde Sport bei mittlerer Aktivität führt zu einem Liter Wasserverlust. Vor der Leistung werden drei bis fünf Deziliter und pro Stunde Sport zusätzlich vier bis acht Deziliter Flüssigkeit benötigt. Dies eingeteilt in ein bis drei Deziliter alle 15 bis 20 Minuten – jedoch erst bei einer Leistung von über 30 Minuten.

«D’REGION»: Kohlenhydrate, Eiweisse und Fette sind wichtig. Was empfehlen sie diesbezüglich?
Ramona Stettler: Kohlenhydrate sind der Energielieferant Nummer eins. Zu jeder Hauptmahlzeit wird eine Portion empfohlen, wobei die Portionengrösse vom Gewicht und von der körperlichen Aktivität variieren kann. Pro Stunde Sport kann eine zusätzliche Portion einge-
plant werden. Eiweisse liefern ebenfalls Energie, erneuern und bauen Muskeln, Knochen und Zähne auf und sind Bausubstanz für das Immunsystem und Verdauungsenzyme. Täglich werden vier Portionen empfohlen. Eine Portion aus tierischer oder pflanzlicher Quelle und drei Portionen Milchprodukte. Eine Portion entspricht zum Beispiel einem Becher Joghurt, einem Glas Milch, zwei Eiern oder 120 Gramm Fleisch. Idealerweise sollte man zu jeder Hauptmahlzeit eine Portion einplanen. Es besteht kein Mehrbedarf bei zusätzlichem Sport. Das Fett liefert von allen drei Makronährstoffen am meisten Energie.

«D’REGION»: Es sind verschiedene Arten von Sportgetränken und Sportriegeln auf dem Markt – wann sind diese sinnvoll?
Ramona Stettler: Der Energiebedarf ist bei den meisten Sportarten erhöht, wobei Sportgetränke, Sportriegel und Gels sinnvoll sind. Sie können beim Carboloading während der Belastung zur Regeneration eingesetzt werden. Der Vorteil ist eine schnell eintretende Leistungsbeeinflussung. Mit dem Sportgetränk wird zugleich der Flüssigkeitsbedarf gedeckt. Bei vielen Sportarten sind solche Sportprodukte beliebt, weil sie zum Mitnehmen praktisch sind und schnell und einfach konsumiert werden können. Nachteil dieser Produkte können die hohen Kosten oder die einseitige Ernährung sein.

Zu den Personen
Dr. med. Walter Wüthrich (62) ist als Belegarzt und Leiter Sportmedizin seit 2012 am Spital Emmental tätig. Der Facharzt FMH für Allgemeine Medizin verfügt seit 2001 über den Fähigkeitsausweis Sportmedizin der Schweizerischen Gesellschaft für Sportmedizin (SGSM). Seit 1994 führt er eine eigene Praxis für allgemeine Innere Medizin und Sportmedizin in Hasle bei Burgdorf, wo er auch wohnt.
Dr. med. Roland Dubach (60) wohnt in Burgdorf. Am Spital Emmental arbeitet er seit 20 Jahren – zuerst als Assistent, danach als Oberarzt, nun als Belegarzt. Der Facharzt Chirurgie mit dem Spezialgebiet Traumatologie (Unfallverletzungen) verfügt über Tätigkeitsausweise in Sportmedizin sowie Ultraschall für klinische Notfallmedizin und Abdomen (Bauch) und ist zertifizierter medizinischer Gutachter. Er arbeitet am Spital Emmental in Burgdorf und Langnau, im Operationszentrum Burgdorf (ambulante Eingriffe) und ist Chefarzt-Stellvertreter Aushebungszentrum der Armee in Sumiswald.
Ernährungsberaterin Ramona Stettler (29) wohnt in Nidau. Seit vier Jahren ist sie zu 45 Prozent am Spital Emmental tätig. Daneben führt sie selbstständig die Ernährungsberatungspraxis Bern-Seeland in Biel und Bern. Die Medizinische Praxisassistentin mit anschliessendem Maturitätsabschluss sowie Bachelorstudium Ernährung und Diätetik hat sich in den Fachgebieten Adipositas (Übergewicht), Stoffwechselkrankheiten, Verdauungsbeschwerden inklusive Nahrungsmittel-Intoleranzen, Nierenerkrankungen und Sporternährung weitergebildet. Am Spital Burgdorf betreut sie auch Dialysepatienten. Nebenberuflich ist sie als diplomierte Fitnessinstruktorin tätig und leitet Kurse wie Bodyforming/-toning, Step&Tone, MAX, TRX, Zumba sowie Strong.

Hans Mathys


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