Die Schwalben ziehen ihre Kreise

  30.07.2019 Aktuell, Foto, Kultur, Wirtschaft, Gesellschaft, Region, Alchenstorf

Unter dem ausladenden Scheunendach auf dem Landwirtschaftsbetrieb von Andreas und Thea Aebi in Alchens­torf herrscht reger Betrieb: 156 Paare Mehlschwalben schwirren durch die Luft und bringen Futter zu den kleinen, künstlichen Brutnestern, die Aebis unter dem Dach montiert haben. Hin und wieder ist ein kleiner Vogelkopf zu sehen, nach der Fütterung verschwindet er sofort wieder. Dieses Jahr kamen die ersten Schwalben bereits Ende März. Bis alle Nester besetzt waren, wurde es Anfang Mai. Dann bleiben sie bis circa Mitte September und treten ihren Rückweg Richtung Süden an. In dieser Zeit brüten sie in der Regel zweimal.
 
Prominente Referenten
Am grossen Küchentisch erläutert Andreas Aebi seine Vision des Vogeldorfes Alchenstorf: «Nach intensiver Vorbereitung – insgesamt drei Jahren – legen wir jetzt ein Projekt auf den Tisch, das andere Gemeinden nachmachen können: Vogeldorf Alchenstorf, Förderung der Biodiversität durch die Förderung ausgewählter Vogelarten in der Landwirtschaft und im Siedlungsraum.»
Seine Ehefrau Thea ergänzt: «Tatsache ist, dass wir in unserem Dorf viele Vögel haben, aber gleichzeitig auch produzieren, das heisst Kulturland bewirtschaften. Das eine schliesst das andere nicht aus, es soll sich ergänzen. Voraussetzung ist, dass sich die Bedürfnisse der Vögel und der Menschen im Einklang befinden. Dazu gehört das Wissen, weshalb die Bedürfnisse der Vogelwelt auch für den Menschen und deren Produktion von landwirtschaftlichen Erträgen so bedeutungsvoll sind. Die Frage ist, ob wir die Produktion herunterfahren müssen, da wir den Tieren und der Pflanzenwelt den Lebensraum entziehen?» Sie fährt fort: «Wir haben  in unserem Dorf und auf unserem Hof beides; es funktioniert hier gut.»
Um wissenschaftlich fundiert herauszufinden, warum es im Dorf so gut funktioniert, wird das Projekt Vogeldorf Alchenstorf im August mit einer öffentlichen Feier, mit der Unterstützung von etlichen Dorfbewohnern, in Anwesenheit der Referenten Bundespräsident Ueli Maurer und Hans Peter Latour bekannt gemacht.
 
Zahlreiche Vorzüge für Mensch und Tier
Andreas Aebi betont, dass sich eine intakte Biodiversität in mehrfacher Hinsicht positiv auswirkt: «Dazu gehören wirtschaftliche Vorsorgeleistungen wie Bodenfruchtbarkeit, Schädlingsbekämpfung, Bestäubung usw. genauso wie die Stabilität von Ökosystemen und Landschaftsqualität mit entsprechendem Erholungswert.» Der Bundesrat hat im April 2012 die vom UVEK (Eidg. Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation) erarbeitete nationale Strategie Biodiversität Schweiz verabschiedet. Laut Aebi wurden «als grundsätzliche Herausforderungen hier insbesondere die Förderung der Biodiversität auf landwirtschaftlichen Flächen und Siedlungsflächen genannt», genau so, wie er es auf dem Hof praktiziert. Rückblickend spricht er davon, dass er und seine Frau «schon bald gemerkt haben, dass es für ein tragfähiges und erfolgversprechendes Projekt Spezialisten braucht, dann vor Ort Interessierte, die sich beteiligen. Weiter müssen Auswertungen vorgenommen werden, es braucht Geld.» Als Partner können der Berner Bauernverband, die Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL, Birdlife Schweiz, das Bundesamt für Umwelt BAFU und die Gemeinde Alchenstorf gewonnen werden, nebst den Initianten Thea und Andreas Aebi. Das Projekt wird drei Jahre lang begleitet und die Resultate werden ausgewertet.
 
Blick in die Vogelnester
Mit Freude zeigt Andreas Aebi Bilder der Livekamera vom Brutkasten der Schleiereulen und eines Nestes der Mehlschwalben, wo derzeit die Brut aufgezogen wird. Tag und Nacht kann das Wachstum der kleinen Vögel mitverfolgt werden, wobei die sechs Eulenjungen schon relativ gross sind und nachts schon Flug- und Jagdschule haben, angeleitet von ihren Eltern. Thea Aebi bewässert bei der jetzigen grosssen Hitze regelmässig den Hofplatz, damit die Mehlschwalben in ihren Nestern unter dem Scheunendach etwas Abkühlung erhalten. «Sie ist eine liebevolle Vogelmutter», lacht der Ehemann. Worauf diese darauf hinweist, dass «die Menschen aufmerksamer werden müssen betreffend Vögel, Tiere, Landschaft und Kulturland. Sie sollen begeistert und motiviert werden, bei sich zu Hause Vogelnester zu installieren und allgemein den Vögeln mehr Beachtung zu schenken. Als ich kürzlich in Burgdorf unterwegs war, hat eine Amsel so schön ‹gliedet›, dass ich stehen geblieben und zugehört habe. Alle anderen sind vorbei gehastet, doch plötzlich blieb eine andere Frau stehen.» Wenn niemand mehr beachtet, dass eine Amsel mitten in der Stadt «liedet», ist das doch eine Verarmung.
 
Ziel: weitere Vogeldörfer
Bezugnehmend auf die Vogeldorf-Feier betont Andreas Aebi, dass «Bundespräsident Ueli Maurer für ein Referat gewonnen werden konnte, da er selber sehr nah an der Natur ist». Aber nicht nur Ornithologie (Vogelkunde) soll ein Thema an der Vogeldorf-Feier sein, sondern auch Produktion: «Die 156 Paare Mehlschwalben nisten unter dem Vordach der Scheune, wo im Stall unsere Kühe Milch produzieren für den in der Käserei St. Niklaus Koppigen produzierten Raclettekäse namens ‹Müetis chüschtige Raclette›, den ein Grossverteiler im Angebot hat. So kann Biodiversität praktiziert werden. Menschen, Flora und Fauna ergänzen sich, niemand macht anderen die Existenzgrundlage streitig. Erstklassige Qualität mit kurzen Lieferwegen, keine Billigproduktion aus dem Ausland.»
Die Eheleute Aebi hoffen, dass sich weitere Gemeinden von der Idee anstecken lassen und gleiche Projekte starten. Die Voraussetzungen sind aufgezeigt.

Gerti Binz

Öffentliche Vogeldorf-Feier am Mittwoch, 21. August 2019, Betrieb Christian Wyss, Tannwald, 3473 Alchenstorf. Ab 18.00 Uhr Festwirtschaft mit regionalen Produkten, um 20.00 Uhr Festakt mit musikalischer Begleitung der MG Koppigen, Referenten Bundespräsident Ueli
Maurer, Hans Peter Latour und weitere.

 

 

Internationales Ziel
Generell bezeichnet die Biodiversität «die Variabilität unter lebenden Organismen jeglicher Herkunft, darunter unter anderem Land-, Meeres- und sonstige aquatische Ökosysteme und die ökologischen Komplexe, zu denen sie gehören» (Übereinkommen über die biologische Artenvielfalt – Convention of Biological Diversity, 1992) und bezieht sich damit ebenso auf die Vielfalt innerhalb von Arten, zwischen den Arten als auch auf die Vielfalt der Ökosys­teme. Die Förderung von Biodiversität ist sowohl international als auch national ein anerkanntes und angestrebtes politisches Ziel.
Das Dorf Alchenstorf wurde ausgewählt, weil Nationalrat Andreas Aebi bereits grosse Anstrengungen unternommen hat, die Vögel zu fördern. So nisten auf seinem Betrieb über 150 Mehlschwalbenpaare. Zudem hat Andreas Aebi Fördermassnahmen für die Schleiereule ergriffen und mit Erfolg umgesetzt. Auf seinem Hof nisten Schleiereulen und er macht sich im Dorf stark, dass entsprechende Bedingungen geschaffen werden (z.B. Brutkästen, offene Scheunen), damit sich die Schleiereule wieder etablieren und ausbreiten kann (www.aebi-andreas.ch). Als Ziel des Projektes möchte Aebi den Gartenrotschwanz und die Feldlerche in Alchenstorf ansiedeln und fördern. Ob gerade dies die zwei zu fördernden Vogelarten sind oder ob andere oder evtl. zusätzliche Arten gefördert werden sollen, wird die IST-Analyse vor Ort zeigen. Informationen zum Projekt: www.vogeldorf.ch.gb

 


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