Ein Wanderer blickt auf seinen Lebensweg

| Di, 08. Dez. 2020

HINDELBANK: Gerhard Binggeli alias «Ger Peregrin» wird am 11. Dezember 2020 90 Jahre alt und blickt auf Erlebtes zurück. red

Ger Peregrin wird sicherlich nicht nur den Leserinnen und Lesern der «D’REGION» ein bekannter Name sein. Der pensionierte Fachhochschul-Lehrer Gerhard Binggeli hat – oftmals unter dem Pseudonym Ger Peregrin – über ein Dutzend Reisebücher, Sammelbände seiner mehrjährigen Kolumnen in der Tageszeitung «Der Bund» sowie berndeutsche Erzählungen und Anekdoten veröffentlicht. Regelmässig werden die Printausgaben der «D’REGION» mit den umfangreichen Reiseberichten «Unterwegs mit Ger Peregrin» geschmückt, in welchen der Wanderer und Erzähler seine Leserinnen und Leser bei der Hand nimmt und durch finstere Wälder, über hohe Berge, durch tiefe Täler, in alte Dörfer und schöne Städte mitnimmt. Dabei schildert Binggeli in seinen Reiseberichten nicht nur die schönen Naturlandschaften und seine Erlebnisse während der Reise, die jedem Leser selbst Lust machen, sofort aufzubrechen, auch webt er in seine Texte eine sehr persönliche Note ein und regt damit zum Nachdenken an. Am 11. Dezember 2020 feiert Gerhard Binggeli seinen 90. Geburtstag. Eine ideale Gelegenheit also, sich mit dem Autor und Reisenden zu unterhalten und auf einige besonders spannende Reiseerlebnisse der vergangenen Jahrzehnte zurückzublicken.

Die Reiselust wird entdeckt
Der 89-Jährige strengt sich an, um sich an die Anfänge seiner Reiselust zu erinnern. «Meine Eltern waren eigentlich sehr sesshaft, das lag aber eher daran, dass sie das Reisen schlicht nicht vermocht haben.» Gerhard Binggeli stammt aus dem Berner Mitteland, aus Rüschegg. «Man sagt, dass sich dort Zigeuner niedergelassen haben», lacht Binggeli. «Ich glaube aber nicht daran.»
Seinen ersten Reisebericht veröffentlichte Binggeli bereits 1950 im «Burgdorfer Tagblatt». «Der erste Wanderweg zwischen Burgdorf und Fraubrunnen war gerade eröffnet worden», erinnert sich Gerhard Binggeli zurück. «Ich hatte keinen Auftrag bekommen, sondern habe die Wanderung einfach gemacht, aufgeschrieben und eingesendet.» Für die «Berner Zeitung» hatte er auch kleinere Aufträge ausgeführt und etwa über Firmenjubiläen berichtet. Kurz nach seinem ersten Reisebericht in der Schweiz reiste Binggeli per Autostopp nach Sizilien. Das Reisefieber hatte ihn gepackt.

Eine unvergessliche Hochzeitsreise
1958 folgte eines der grössten Abenteuer seines Lebens: die Hochzeit mit seiner Frau Theres und die damit verbundene Hochzeitsreise. «Meine Frau war genauso ein ‹Wanderfüdli› wie ich», lacht Binggeli. «Sonst hätten wir auch gar nicht so gut zueinander gepasst.» So kam für die beiden auch keine gewöhnliche Hochzeitsreise infrage. Es entstand die Idee, zu Fuss von Bern nach Athen zu laufen. Leider konnte dieser Plan nicht ganz umgesetzt werden, durch den vielen Schnee musste das frischgebackene Ehepaar von Lugano aus starten. Gerhard Binggeli hatte sein Studium beendet, seine Dissertation an der Uni Bern eingereicht und seine Frau Theres kündigte für die Reise ihre Stelle. Und los ging die wilde Reise ...
Wirklich durchgeplant sei die Reise nicht gewesen, wie Gerhard Binggeli erzählt. «Wir haben viel improvisiert. Manchmal sind wir 15 Kilometer am Tag gelaufen, manchmal auch 40 Kilometer, wenn wir keine Unterkunft gefunden haben.» Doch die Reise war auch nicht ohne Tücken. So ging sie etwa durch das damalige Jugoslawien unter dem diktatorischen Staatspräsidenten Josip Broz Tito. Binggeli berichtet, wie er und seine Frau dort eines nachts unwissend eine Sperrzone betreten hatten. Unter vorgehaltenen Waffen wurden sie festgehalten und befragt. «Ich weiss nicht, wie sie damals mitten in der Nacht unsere Visa kontrollieren konnten, aber irgendwann durften wir wieder gehen. Jetzt erzähle ich das mit einem Lächeln, aber damals war das überhaupt nicht lustig», schildert der emeritierte Fachhochschul-Dozent die prekäre Situation. Die Hochzeitsreise deswegen aber abzublasen, kam für beide nicht infrage. Also ging es, natürlich zu Fuss, weiter bis nach Griechenland. Die Reise dauerte schliesslich drei Monate, weitere drei Monate blieb das Ehepaar in Griechenland – der Beginn einer zweiten, grossen Liebe. «Meine Frau und ich sind beide griechenlandverrückt, verliebt in das Land und in die Leute. Es gibt kaum ein gastfreundlicheres Land», schwärmt Binggeli. Mehr als ein Dutzend weiterer Reisen nach Griechenland werden dieser unvergesslichen Hochzeitsreise noch folgen.
 
Wandern will gelernt sein
Das Schönste beim Reisen waren für Binggeli stets die Natur und die zufälligen Begegnungen mit den Menschen. So sei auch die Sprache besonders wichtig: «Wenn ich schon unterwegs bin, möchte ich mich auch mit den Leuten unterhalten.» So machte Gerhard Binggeli es sich zur Aufgabe, stets einen Grundwortschatz in der Landessprache seiner Reisedestination zu erlernen. Verständigen könne er sich in circa sieben Sprachen und «zuprosten in etwa 20».
Weiter gehöre zum Wandern natürlich ein gutes Schuhwerk und, besonders wichtig, nur das Minimum an Gepäck. Ein Grundsatz, den auch er selbst erst lernen musste: «Auf meiner Hochzeitsreise wollte ich unbedingt schwarz-weisse und farbige Bilder schiessen, deswegen habe ich zwei grosse Kameras mitgeschleppt. Im Nachhinein eine wirklich blödsinnige Idee», lacht der erfahrene Wanderer heute. «Ich würde auch ohne Kamera wandern, aber für einen Reisebericht gehört es einfach dazu.» Als Faustregel rät Binggeli aber, auf längeren Reisen nicht mehr als zehn Kilogramm Gepäck mitzunehmen.

Geschichte «live» erlebt
Später arbeitete Gerhard Binggeli schliesslich als Lehrer und unterrichtete Wirtschaftsfächer – zuerst an der Fachhochschule in Biel und später in Burgdorf. Dank der grosszügigen Ferien, einem «Privileg der Lehrer», wie Binggeli es nennt, konnte er so auch  seinem Hobby, dem Reisen, fröhnen. Doch möchte er auch mit den Lehrerklischees aufräumen: «Vorbereiten muss man natürlich immer.» So hat Binggeli vor den Ferien stets vorgearbeitet. Auch seine Lehrertätigkeit verschlug ihn immer wieder ins Ausland, besonders in den damals noch kommunistischen Osten Europas. «Ich hatte den Ruf als Ostspezialisten und habe mehrere Diplomreisen in solche Länder, etwa die DDR, unternommen», so Binggeli. «Es war aber nie ein Muss. Ich möchte keine Minute im Ausland missen.»
Wenn wir gerade beim Thema DDR sind ... Wer viel reist, der hat die Möglichkeit, Geschichte sozusagen «live» mitzuerleben. Ein Beispiel von Gerhard Binggeli: Per Zufall war er mit seiner Frau 1989 in Berlin, just in dem Moment, als die Berliner Mauer fiel. Gerhard Binggeli erinnert sich noch gut: «Da wusste ich: ‹Jetzt erleben wir ein Stück Weltgeschichte›.»

Reisen bildet den Charakter
Im Gespräch mit der «D’REGION» schwelgt Gerhard Binggeli in seinen Erinnerungen: «Zu Studentenzeiten sind wir viel per Anhalter gefahren. Meine Frau und ich haben so zusammengerechnet sicher über 300 000 Kilometer zurückgelegt.» Das sei nicht nur eine praktische Transportmöglichkeit, sondern auch eine endlose Quelle interessanter Begegnungen gewesen. So erzählt Binggeli von zwei Zusammentreffen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Auf einer Spanienreise wurde er etwa von einem Arbeiter mitgenommen, der vom spanischen Diktator Franco absolut begeistert war. Einen Tag später konnte Binggeli mit hohen Politikern aus dem Umfeld von Franco mitfahren. Diese hingegen zogen offen über den «Generalissimo Franco» her. In Norwegen reiste Binggeli rund 200 Kilometer mit dem Abenteuerer und Ethnografen Thor Heyerdal, welcher 1947 mit dem Floss Kon-Tiki über den Pazifik segelte. Begegnungen wie diese festigten Binggelis Reiselust nur noch mehr. «Zu sagen, dass Reisen bildet, ist meiner Meinung nach zu mager», so Binggeli. «Es ist viel mehr charakterbildend, eine wahre Lebensschule.»
Das Per-Anhalter-Reisen ist heute aus der Mode gekommen. Es fehle dafür auch die Offenheit der Automobilisten, weiss Binggeli. Er selbst halte immer noch gerne an, wenn er Anhalter antreffe. Es sei eine Art zurückzahlen, da er früher ja auch so oft mitgenommen wurde.
Obwohl Binggeli im nun fortgeschrittenen Alter nicht mehr grosse Reisen unternimmt, stimmt es ihn traurig, dass durch die Coronapandemie besonders das internationale Reisen nicht mehr möglich ist. «Aber auch das Emmental ist schön, und das liegt ja direkt vor der Haustür», weiss der in Hindelbank wohnhafte Binggeli.
Gerhard Binggeli will aber auch kein Apostel für das Reisen sein, wie er im Gespräch mehrmals erwähnt. Schnell wird jedoch klar, dass Leute wie er, die viel gereist sind, einen bodenlosen Schatz an interessanten Geschichten zu erzählen haben. Das Geheimrezept dafür ist relativ einfach: nicht verschlossen sein und auf die Einheimischen zugehen.
Als gutes Beispiel erinnert sich Gerhard Binggeli am Schluss noch an einen tschechischen Zungenbrecher, etwa das Äquivalent zum schweizerischen «Chuchichäschtli»: «Strc prst skrz krk.» Übersetzt heisst das: «Streck den Finger durch den Hals.» Auch diesen Satz hat Binggeli – natürlich – auf seinen Reisen gelernt.

 

David Kocher

Kommentare

Lieber Gerhard , wir wünschen dir zu deinem 90 Geburtstag alles gute, Gesundheit, und das du dich noch recht lange mit deiner Lieblingstätigkeit das schreiben beschäftigen kannst .Bleibt Gesund liebe Grüsse an Therese und Kathrin ,Suanne Liebe Grüsse Edith + Rupert Lieber Gerhard, wir wünschen dir zu deinem runden 90 Geburtstag alles gute, Gesundheit ,

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