Wer strahlt, der findet

  31.03.2021 Aktuell, Foto, Kultur, Utzenstorf, Region

Seit 35 Jahren sucht Christian Stettler in seinen Ferien nach Edelsteinen. In den vergangenen Jahren hat er sich besonders auf Smaragde spezialisiert, welche er in einem Tal in Österreich findet.

Auf der Alp
Wir machen eine kurze Zeitreise ins Jahr 1985: Christian Stettler ist 34 Jahre alt und als Hirt auf einer Bündner Alp in der Nähe von Lombrein tätig. Stettler erinnert sich noch gut an diese Zeit: «Über den Mittag legen sich die Kühe immer hin, da hat man als Hirt jeweils ein wenig freie Zeit. Entweder man legt sich selbst eine Weile ins Gras oder man nutzt die Zeit, um sich ein bisschen umzuschauen.» So nahm auch Christian Stettler diese Gelegenheit wahr, um die Gegend etwas genauer zu erkunden. Auf einem Feld mit Restschnee rutschte er aus und konnte sich gerade noch an einem Felsen festhalten. Da glitzerte ihm plötzlich etwas auf Augenhöhe entgegen: Zufälligerweise hatte er eine kleine Höhle mit Bergkristallen entdeckt. Um die schönen Quarzkristalle aus der Wand zu entfernen, ohne sie zu zerstören, rüstete sich Christian Stettler mit Zahnstochern, Schraubenziehern und einem Sackmesser aus und machte sich in den nächsten Tagen in seiner Freizeit an die Arbeit. Nach drei Tagen hatte er den Lohn in der Hand. Stettler erinnert sich gut: «Es war ein schönes ‹Blättli› mit etwa 20 Spitzen und einer Breite von etwa sechs Zentimetern. Wunderschön. Da hats mich sofort gepackt.»

Ein Auge für Edelsteine
Kurze Zeit später besuchte Christian Stettler in seinen Ferien das Südtirol. In einem Bach fielen ihm dabei zahlreiche Steine mit dunklen Flecken auf. Auf Nachfrage in der Bevölkerung stellte sich heraus, dass das Gebiet für Mineralien der Granatgruppe bekannt ist. «Es kann sein, dass ich durch meinen Fund auf der Bündner Alp ein besseres Auge für diese Mineralien entwickelt hatte», schätzt Stettler. Es erinnert ihn an seine Erfahrungen bei der Pilzsuche, welcher er ebenfalls frönt: «In jeder Saison habe ich zu Beginn Mühe, die ersten Pilze zu finden. Doch habe ich diese erst einmal entdeckt, kann ich die nächsten förmlich riechen.» Somit hatte der frisch gebackene Strahler, so der Ausdruck für Kristall- und Mineraliensammler, sein neues «Jagdgebiet» gefunden. In den darauffolgenden Jahrzehnten besuchte er diese Gegend beinahe jährlich, meis-tens das angrenzende österreichische Obergurgl, und machte sich von dort aus drei bis vier Stunden in die Berge auf. Ein Berg ist, wie sein Name schon sagt, dabei besonders wichtig: der Granatenkogel. So ist es nicht erstaunlich, dass in diesem Gebiet besonders viele Granate zu finden sind. So viele, dass Christian Stettler überzeugt ist, dass dort jeder fündig wird: «Man kann die Granate nur so ‹zämeläse›.» Stettler hat aber auch Rat für Menschen, welche vielleicht trotzdem nicht fündig werden. «Wenn man dort den ganzen Tag gesucht und doch nichts gefunden hat, dann muss man am Abend unbedingt zurück in die Ortschaft Sölden, wo man zum Optiker geht und sich Brillengläser so gross wie Flaschenböden machen lässt», lacht der Pensionär. Der grösste Fund, den er selbst gemacht hat, ist ein 540 Gramm schwerer Brocken. «Granate sucht man am besten im Frühling, direkt nach der Schneeschmelze», rät Stettler. Durch das eindringende Wasser, das im Winter gefriert, werden die Granatbrocken von den Felswänden gesprengt. Der Schnee schützt die Mineralien dabei vor dem harten Aufprall und sie landen stattdessen «wie auf einem Kissen». Wenn der Schnee schmilzt, können die Steine nur noch eingesammelt werden. Auch im Tessin oder Wallis könne man vereinzelt Granate finden, doch seien die Funde «kaum erwähnenswert», meint Stettler.

Auf der Suche nach Smaragden
Vor einigen Jahren musste Stettler nach einem komplizierten Beinbruch auf die mehrstündigen Touren in die Berge verzichten. Er hörte aber vom Habachtal in Österreich, dem sogenannten «Tag der Smaragde», einer der wenigen Gegenden mit Smaragdvorkommen in Europa. Bereits die Römer sollen an jenem Ort nach Smaragden gesucht haben, wirklich gezielt wurde der Bergbau aber erst im 17. und 18. Jahrhundert vorangetrieben. Der prächtigste Fund soll ein Exemplar mit 42 Karat gewesen sein, welches im Tower von London mit den britischen Kronjuwelen aufbewahrt wird.
In den letzten sieben Jahren hat Chris-tian Stettler nun seine Ferien in diesem malerischen Tal verbracht. Aus dem Schwärmen über «seine» Gaststätte, die Enzianhütte bei Bramberg, kommt Stettler kaum noch heraus. Nicht nur die Gastfreundschaft, auch seine Smaragdfunde sprechen für den Ort.
Von kleinen Bruchstücken bis zu grösseren Funden in Muttersteinen reichen die Schätze des leidenschaftlichen Strahlers. Doch er verspürt keinen riesigen Sammlertrieb: «Die Steine sind schliesslich nicht nur für mich gewachsen.» Mit Freude verkauft oder verschenkt er viele seiner Steine. «Sonst wäre meine Sammlung noch viel grösser», lacht der 70-Jährige. Gerne besucht Stettler auch die Stadt Idar-Oberstein im deutschen Bundesland Rheinland-Pfalz. Diese gilt als Mekka der deutschen Edelstein­industrie.
Am meisten schätzt der Pensionär bei seinem Hobby aber das einsame Schürfen am Berg. Wer mit der Natur nichts anfangen könne, für den sei dies das falsche Hobby, meint der erfahrene Strahler. Auch Geduld müsse man mitbringen. So kann es sein, dass man über längere Zeit nichts findet. Dafür ist das Erfolgserlebnis bei einem Fund umso grösser.
Interessierten Anfängern rät Stettler, sich erst einmal einem erfahrenen Strahler anzuschliessen. Besonders in der Schweiz gebe es viele Richtlinien und Regeln, wo was geschürft werden darf. In einigen Gemeinden herrscht etwa eine Patentpflicht. Für Auskünfte stellt sich Christian Stettler gerne unter Telefon 076 493 97 93 zur Verfügung.


David Kocher


Image Title

1/10


Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote