Nachhaltige Mobilität als Chance und Herausforderung

  02.06.2021 Aktuell, Foto, Wirtschaft, Burgdorf, Region, Politik

Sieben anwesende Fachpersonen aus unterschiedlichen Bereichen diskutieren vergangenen Donnerstag am ersten nationalen Klimatag vor Publikum im TecLab-Gebäude und digital Zugeschalteten den gegenwärtigen Stand der privaten und kommerziellen Mobilität. Immerhin verursacht der Verkehr einen Drittel der Schweizer CO2-Emissionen, was durch sinnvolles Verhalten der Verkehrsteilnehmer merklich reduziert werden könnte. Anwesende und zugeschaltete Gemeindevertretungen erfahren, welchen Beitrag eine Gemeinde durch den Umstieg auf Elektromobilität zum Klimaschutz leisten kann. Das setzt voraus, dass die Gemeinden ein Netz von entsprechenden gut erreichbaren Ladestationen errichten.

Burgdorf: CO2-neutral bis 2030
Burgdorfs Stadtpräsident Stefan Berger erklärt, dass sich die Behörden bis 2030 ein CO2-neutrales Burgdorf zum Ziel gesetzt haben. Mit Fachpersonen des Elektromobilclubs Schweiz (Holger Wahl), des Büros für Mobilität (Martina Dvoracek), der Berner Fachhochschule (William Fuhrer, Peter Baumann, TecLab), Francesco Rappa (Gemeinderat Burgdorf, Ressort Tiefbau und Werkbetrieb) und Martina Krebs-Wiggenhauser als Vertreterin der Burgdorfer Bevölkerung drehen sich die Ausführungen und Diskussionen um die Chancen und Herausforderungen sowohl von Burgdorf als auch von anderen Gemeinden.
Die Referenten diskutieren Möglichkeiten, wie ländliche Gebiete besser an die E-Mobilität angeschlossen werden können. Berger plädiert für eine nachhaltige Entwicklung der Siedlungsräume beziehungsweise für eine zukunftsgerichtete Stadtentwicklung, denn der Trend weg vom Land und hin in die Städte nimmt zu. Schon heute stellt sich die Frage, wie die Menschen 2030 in den Städten leben sollen. Zahlreiche Probleme betreffend soziale Fragen, Luftqualität, Wohndichte, Schulen, Spitäler, Transportmöglichkeiten usw. müssen geklärt werden. «Daher gilt es, Gesellschaft und Wirtschaft unter einen Hut zu bringen und nicht nur auf den Verkehr zu fokussieren», mahnt Berger. «Sämtliche Interessen der Gesellschaft von heute und morgen müssen berücksichtigt werden.» Er zählt auf Energie und Ressourcen, Wohnraum, Infrastruktur, Mobilität, öffentlichen Verkehr und anderes mehr, was jedoch ohne die Bereitstellung entsprechender Finanzen nicht zu bewerkstelligen ist. «Die angestrebte 100-prozentige Klimaneutralität in allen Burgdorfer Direktionen bis 2030 ist mit einem Preisschild versehen!» Diese Vision ist unter 27 Punkten in der Legislaturplanung 2021–2024 verankert.

Zahlreiche Möglichkeiten
Auf die Frage «Wie mit den Ressourcen umgehen?» gibt Berger wie folgt Auskunft: Den Abfall um 30 Prozent senken, ein Wasserkraftwerk in Burgdorf, Umstieg von Öl- und Gasheizungen zu E-Heizungen, Bodenflächen entsiegeln, Areale strategisch günstig entwickeln für zukunftsgerichtetes Bauen, reduziertes Parkplatzangebot, reduziertes Streusalz im Winter, Ausbau des ÖV und vieles mehr. Zudem gelte es, die Bevölkerung dahingehend zu sensibilisieren, eher das Velo statt das Auto zu nehmen oder bei kurzen Strecken zu Fuss zu gehen.
Ganz wichtig bei den zukunftsgerichteten Überlegungen ist für die Gemeindevertreter immer, die eigenen Finanzen als Fundament für eine gezielte Entwicklung im Auge zu behalten. Gemeinderat Rappa nennt als Sparmöglichkeiten, öffentliche Toiletten und Abfallkübel je nach Benutzungsgrad zu warten, Grünarbeiten beim Friedhof bedarfsgerecht einzuteilen, beim Strassenbau recycelbare Beläge einzubringen und anderes mehr. In der Landwirtschaft und im Bausektor steigt trotz der konservativen Einstellung der Benutzer der Trend, auch schwere Maschinen als E-Ausgaben auf den Markt zu bringen.
Gemäss Martina Dvoracek, deren Fachbereich gender- und altersgerechtes Bauen umfasst, sieht einen beeindruckenden Kulturwandel in Burgdorf: «Es geht ein Ruck durch die Gesellschaft. Umweltfreundliche Fahrzeuge, Velos und der ÖV sind angesagt. Entsprechende Ideen setzen sich durch.» Martina Krebs-Wiggenhauser stimmt dem vollumfänglich zu und steuert eigene Beispiele aus ihrem Alltag bei: «Es bietet nur Vorteile. Keine Staus, kein Stress.» Auch Holger Wahl führt zahlreiche Vorteile der zukunftsgerichteten Mobilität ins Feld, wie die einfache Handhabung der E-Automobile, künftig kostenlose E-Stationen mit vernetzten Systemen, mehrfach nutzbare Fahrzeugen durch Carsharing und Weiteres mehr. «Quartierstrassen können so zu Spielstrassen für Kinder werden.»

Bewusstere Mobilität
Anhand der aufgeführten Beispiele zeigt sich, dass die Bedürfnisse der Burgdorfer Bevölkerung in ihrer sehr gut erschlossenen «Fuss- und Velo-Modellstadt» schon heute weitgehend erfüllt sind. Zu Fuss oder per Velo kann das weitläufige Naherholungsgebiet bequem erreicht werden. Eine bewusst und schonend praktizierte Mobilität kommt allen zugute.
Rappa weist «auf die Vorbildfunktion von Burgdorf und den städtischen Behörden hin, die mit der Umstellung der Gemeindefahrzeuge – wie dem Elektro-Kehrichtwagen – vorangehen. Das vorbildlich ausgebaute Radwegnetz ermöglicht es jedermann, von jedem Aussenquartier in zehn Minuten ins Zentrum oder auf den Markt zu fahren. Die Burgdorfer sind heute bewusster unterwegs.» Ob bei dem nötigen Bedarf an Kulturland allerdings jemals «Velo-Schnellstrassen» realisierbar werden, ist höchst ungewiss. Hingegen träumen schon heute nicht wenige Familien von absolut autofreien Siedlungen.
Eine andere Frage ist die Verkehrsanbindung der umliegenden Dörfer, wofür Fantasie und Pragmatismus gefragt sind. Automatismen sind keine Lösung, wie verschiedene Redner zu bedenken geben. Persönliche Befindlichkeiten, Bequemlichkeit, kulturelle Statussymbole wie Autos usw. spielen eine Rolle. Vor allem bei Personen mit Migrationshintergrund sind möglichst teure Autos nach wie vor hoch im Kurs. Trotzdem dürften die sinkenden Preise für E-Fahrzeuge und ein ständig weiter ausgebautes Netz an Ladestationen die E-Mobilität fördern. Eine Zukunftsvision zeigt an, dass alle Fahrwilligen dank Carsharing künftig mit zehn Prozent des heutigen Fahrzeugparks unterwegs sein könnten.

18 500 Personen bis 2035
Laut Burgdorfs Stadtpräsident wächst die Stadt kontinuierlich weiter, da Zuzüge und die Bautätigkeit von Wohnungen ungebremst anhalten. Bis 2035 rechnet er mit einer Einwohnerzahl von rund 18 500 Personen, womit die Obergrenze erreicht sein sollte. «Derzeit befinden sich zehn bis zwölf Gebiete in der Entwicklungsphase, in der nachhaltige Wohnkonzepte und Mobilität realisiert werden sollen.» Die Mobilität der Zukunft solle unter dem Aspekt der drei «D» betrachtet werden: Deprivatisierung, Demobilisierung, Demotorisierung. Dieser Prozess stehe erst am Anfang, werde aber schnell Fahrt aufnehmen.
Zahlreiche Garagen aus der Umgebung haben am vergangenen Freitag und Samstag Elektrofahrzeuge für kostenlose Probefahrten zur Verfügung gestellt. Der Andrang ist gross, neben den angemeldeten Personen erscheinen viele weitere, welche meistens auch noch hinter einem Steuer Platz nehmen können.

 

Gerti Binz


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