Bewährtes erhalten und offen sein für Neues

  22.09.2021 Aktuell, Foto, Kultur, Burgdorf, Gesellschaft, Region, Vereine

Der von Historiker und Gymnasiallehrer Michael Ritter verfassten Festschrift – die vollumfänglich im nächs­ten Burgdorfer Jahrbuch abgedruckt sein wird – ist zu entnehmen, dass am 11. Februar 1821 im «Stadthaus» 19 Gründungsmitglieder die Gemeinnützige Gesellschaft von Burgdorf (GGB) aus der Taufe heben. Kurz vorher hat die Mehrheit dieser Männer einen Lesezirkel gegründet, zu jener Zeit eine der wenigen Möglichkeiten, trotz strenger behördlicher Überwachung liberale und demokratische Überzeugungen zu verfolgen. Wenig überraschend steigen die Mitgliederzahlen schnell.

Soziales, Bildung, Sparkasse
Ritter erläutert am Bankett während der Festlichkeiten im Assisensaal des Schlosses Burgdorf vor den geladenen Gästen die Tätigkeiten der Gesellschaft in den Bereichen Sozialwesen, Bildung und den Betrieb einer Ersparniskasse, die gemäss Statuten auf Burgdorf beschränkt sind. Letztere (1822–1847) soll «idealistisch sozialpolitische Fortschritte (Aufstieg durch Sparen) ermöglichen.» Infolge des Territorialitätsprinzips dürfen nur Burgdorfer hier sparen, obgleich ein stets steigender Sparwille in den umliegenden Gemeinden besteht. 1834 erfolgt die Gründung der Amtsersparniskasse für den ganzen Amtsbezirk durch die angeschlossenen Gemeinden. 1847 fusionieren beide Kassen.
Ritter geht in seinem Rückblick, bei welchem er auf zurückliegende Festschriften (175. Geburtstag) unter anderem von Christine Lüthi-Stettler zurückgreifen kann, auf die wechselvolle Geschichte und die sich verschiebenden Prioritäten der Gesellschaft ein.
Als Haupterträge der Gesellschaft nennt er Schenkungen, Vermächtnisse und Erbschaften sowie die Mitgliederbeiträge, wobei Letztere lediglich 15 Franken pro Jahr und Person betragen. Heute zählt das Stipendienwesen zu den Hauptaufgaben. Beachtenswert ist, dass 1857 ein erstes solches Reglement erlassen und später mehrfach revidiert worden ist. Laut Ritter «erreicht es in den 2000er-Jahren mit ausgerichteten Stipendien um 45 000 Franken und gegen 50 Gesuchen pro Jahr seinen Höhepunkt».
GGB-Präsident Andreas Grimm nennt weitere Zahlen zu den Stipendien in seiner Laudatio.

Sorgfältig geprüfter Geldsegen
Beim vorhergehenden Apéro im Turmgarten kann der Präsident als glücklichen Zufall die Alphornformation «Alphornfa.ch» mit Lisa Stoll begrüssen, die ihre Probe kurzerhand in einen Auftritt vor den Gästen umfunktioniert.
Das Bankett wird von Darbietungen des «Trio d’anches», alles Lehrpersonen an der Musikschule Burgdorf, begleitet und mit lang anhaltendem Applaus verdankt. Barbara Jost (Oboe), Nicole Finkham (Fagott) und Res Ramseier (Klarinette) verzichten auf ein Honorar als Dank für die finanzielle Unterstützung der Musikschule durch die Gesellschaft.
Grimm begrüsst Vertretungen der mit den namhaftesten regelmässigen Beiträgen unterstützten Institutionen wie Stadtbibliothek, Musikschule Region Burgdorf, Museumsvereine, Casino Theater, Konzertchor, Orchesterverein und Burgdorfer Jahrbuch sowie solche aus der Politik und Ehemalige aus dem GGB-Vorstand. In seinem Rückblick weist er auf jährlich wiederkehrende Beiträge zwischen 500 und 7000 Franken im Gesamtbetrag von 66 000 Franken hin sowie unterstützte Einzelgesuche von 250 bis 3000 Franken. 15 gesuchstellende Personen erhielten Stipendien von total 16 750 Franken. Zusammen mit den Einlagen in den Stipendienfonds der Musikschule sind in den letzten Jahren jeweils Kultur- und Sozialbeiträge von je rund 100 000 Franken ausgerichtet worden.

Vermögen über sechs Millionen Franken
Diese Zahlungen sind möglich geworden, da die Erträge des Gesellschaftsvermögens Ende 2020 erstmals die Schwelle von sechs Millionen Franken überschritten haben. Grimm betont, dass «die Gesellschaft mit dieser finanziellen Unterstützung einen wesentlichen Beitrag an das soziale und kulturelle Leben in unserer Stadt leistet und so die Realisierung entsprechender Projekte ermöglicht». Dass dem auch nach 200 Jahren so ist, verdanke sie einerseits den Schenkungen, Vermächtnissen und Erbschaften, andererseits der sorgfältigen, nachhaltigen Vereinsführung und Vermögensverwaltung der Vorgänger im Vorstand. Der heutige Vorstand wisse um seine Verantwortung und werde nach besten Kräften die Erfolgsgeschichte weiterschreiben.
Zwischen weiteren Gängen wirft Michael Ritter den Blick zurück, bevor Stadtpräsident Stefan Berger das Wort ergreift. Auch Letzterer lässt vergangene Zeiten auferstehen, erinnert an Burgdorf als zentralen Ort im Emmental, das sich entwickelt, Industrien ansiedelt und so den späteren Wohlstand begründet. Für ihn ist das 200-jährige Bestehen der GGB keine Selbstverständlichkeit: «Dazu braucht es Menschen, die sich engagieren, ihre Ressourcen im Dienst der Gesellschaft einsetzen und Visionen haben, wie sich diese weiterentwickeln und erneuern kann. Engagement auf allen Ebenen, Kontinuität, Durchhaltewillen und Bereitschaft, Verantwortung zu tragen und diese immer wieder in neue Hände zu legen.» Berger zählt verschiedene Institutionen auf, die ohne die GGB nicht so weit gekommen wären, wie sie heute sind, und dankt für den anhaltenden und grossen Einsatz der Verantwortlichen.

«Tagblatt» digital abrufen
Christian Lüthi, Geschäftsführer Verein Zeitungsdigitalisierung im Kanton Bern, nimmt dankend einen Check über 10 000 Franken entgegen. Mit einem Budget von drei Millionen Franken werden in den nächsten Jahren Zeitungen aus Bern, Thun, Biel, Burgdorf und dem Berner Jura digitalisiert und bleiben so der Nachwelt erhalten. Darunter befindet sich auch das «Burgdorfer Tagblatt» mit 300 000 Seiten der Jahrgänge 1831 («Berner Volksfreund») bis 2004. Lüthi erläutert das Vorgehen und die zu bewältigenden Probleme bei den vielen Millionen Zeitungsseiten aller Titel. Ab Ende 2022 sollte das «Burgdorfer Tagblatt» digital abrufbereit sein.
Die Festgesellschaft im Assisensaal verbringt unterhaltsame Stunden, unterbrochen von interessanten Vorträgen und hochstehenden musikalischen Darbietungen.
An der Jahresversammlung vom Samstag informiert Kassier Adrian Muster die zahlreich erschienenen Gesellschaftsmitglieder über den guten Geschäftsgang. Der Vorstand wir einstimmig für weitere vier Jahre gewählt. Präsident Grimm ehrt speziell Chris­tine Lüthi, die seit 40 Jahren ehrenamtlich tätig ist. Er bezeichnet sie als «Wissen und Gewissen sowie Zentrum des Vorstandes». Als Dank für die namhafte finanzielle Unterstützung bei den Umbauarbeiten für das Schloss offeriert die Stiftung allen Anwesenden ein ausgedehnte Schlossführung, die Geschäftsführer Urs Weber und Historiker Daniel Furter, Leiter und Museumsentwickler, durchführen. Ein anschliessender Apéro riche schliesst die zweitägigen Feierlichkeiten ab.

Gerti Binz


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