Tief beeindruckendes Spiel

  31.10.2024 Utzenstorf, Aktuell, Kultur, Region

Eine Beerdigung ist der Anlass, dass  sich drei Geschwister treffen und mehr als 24 Stunden miteinander verbringen: Denn Nathan (Ruedi Eggenschwiler), Edith (Milva Bürki) und Alex (Andreas Eberhard) hätten sich wohl kaum für mehr als ein paar Stunden getroffen, wenn ihr Vater nicht gestorben wäre, geschweige denn hätte Pierre (Peter Lüdi), der Bruder des Verstorbenen, seiner Frau Julienne (Rosemarie Steiner) die Familienzusammenkunft zugemutet. Zur Trauerfamilie gesellt sich ausserdem Elisa (Patrizia Jäggi), die ehemalige Partnerin von Alex, deren Autopanne sie daran hindert, gleich wieder zu gehen.
Die sechs quartieren sich – mehr oder weniger freiwillig und spontan – im Haus des Vaters ein. Nathan geht auf den Markt, um für das gemeinsame Abendessen etwas Passendes einzukaufen und kommt später mit den Zutaten eines Pot-au-Feu zurück: Kartoffeln, Kohl, Lauch und Karotten. In der Zwischenzeit erfahren die Zuschauer/innen so einiges über die Familie: über Alex’s schwieriges Verhältnis zum Vater und zum Bruder, in dessen Schatten er stets war und immer noch zu sein glaubt, über die nicht ausgelebte Liebe von Edith, die sich wie eine ausgetrocknete Kartoffel fühlt, über die Lebenslust und -freude von Pierre, der seine jetzige Frau über alles liebt, über die Zerrissenheit von Elisa, die mit Alex zusammen war, eigentlich aber Nathan begehrt.
Und es kommt, wie es kommen muss: In den freundlichen Small-Talk-Gesprächen werden Abgründe verschiedenster Art spür- und sichtbar, bevor sie überhaupt an- und ausgesprochen werden. Manches klärt sich im Verlaufe des Stücks, anderes bleibt unaufgelöst. Nur dieses sei noch verraten: Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass Nathan neben den «normalen» Zutaten eines Pot-au-Feu auch «pommes d’amour» (also Tomaten) vom Markt mitbringt …
In seiner neuesten Produktion hat das «dorftheater utzenstorf» ein unter die Haut gehendes Stück gewählt: das Erstlingswerk «Gespräche nach einer Beerdigung» der heute 65-jährigen Yasmina Reza, für das sie zu Recht mit dem Prix Molière ausgezeichnet wurde. Nicht nur der Stoff selbst – die vielen Seiten und Gestalten der Trauer, die mit grossem Feingefühl beschrieben werden, die Emotionen, die in Situationen einer nicht ganz freiwillig gewählten Gesellschaft hochkommen können, die Lebenslust und der Lebenshunger, die sich gerade auch in dem Tode nahen Lebenlagen zeigen können –, sondern auch die feine und ausgewogene Mischung zwischen komischen (!) und berührenden Momenten, die einen in ein stetes Wechselbad der Gefühle stürzt, beeindruckt.
Damit jedoch dieses Theater so wirkt, wie es im Stück angelegt ist, braucht es Spieler/innen, die die Figuren glaubhaft ausfüllen können. Die sechs Spieler/innen des «dorftheaters utzenstorf» haben diese nicht einfache Aufgabe unter der Regie von Charles Benoit mit Bravour gemeistert. Besonders beeindruckend – neben der feinfühligen Übersetzung von Charles Benoit, den bis ins kleinste Detail stimmigen Rollenporträts und der grossen Bühnenpräsenz – war an der Premiere die Fähigkeit aller Spielenden, dem Publikum auch all das Unausgesprochene mitzuteilen: die Reaktionen auf das Ausgesprochene, die Erinnerungen, die Träume, die Wünsche und all die damit verbundenen Gefühle. Und genau dadurch wurden die Figuren von Yasmina Reza inmitten einer vom Tod bestimmten Umgebung lebendig – in jeder denkbaren Hinsicht.
Fazit: Ein zeitloses, auch heute noch hochaktuelles Stück, das gerade durch das diskrete, manchmal fast intime, niemals aufdringliche Spiel der Mitwirkenden umso intensiver wirkt und damit einen tiefen Eindruck hinterlässt. Chapeau!

Andrea Flückiger

Weitere Vorführungen bis 23. November 2024. Informationen unter www.dorftheater.be.


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