Demnächst ist die Gemeindekasse leer

  31.10.2013 Aktuell, Oberburg, Politik

Kürzlich hat der Gemeinderat Oberburg ein Schreiben an sämtliche Mitglieder des Grossen Rates des Emmentals gesandt, in dem auf die prekäre Finanzlage der Gemeinde hingewiesen worden ist: «Die stetig zunehmenden finanziellen Probleme der meisten bernischen Gemeinden in unserer Region sind allgegenwärtig. Mussten doch in den letzten Wochen mehrere Gemeinden in unserer Region teils massive Steuererhöhungen bekanntgeben. Auch in Oberburg ist die finanzielle Situation sehr prekär. Unser Voranschlag 2014 sieht einen Aufwand­über­schuss von knapp 580 000 Franken vor. Dieses Defizit entspricht 50 Prozent unseres noch vorhandenen Eigenkapitals.»

Begründeter Hilferuf
Die in Oberburg aufgewachsene Rita Sampogna, Jahrgang 1970, ist bestens vertraut mit den Verhältnissen ihrer Gemeinde, in der 2982 Personen leben. Sie hat vier Jahre im Gemeinderat als Vertreterin der UOP (Unabhängige Ortspartei Oberburg) mitgearbeitet, bevor sie Anfang 2013 das Amt der Gemeinderatspräsidentin übernommen hat. «Der Hilferuf an die Mitglieder des Grossen Rates ist durchaus begründet, da unsere Finanzsituation durchaus als prekär bezeichnet werden muss», bekräftigt sie.

«Der jetzt budgetierte Aufwandüberschuss 2014 von 576 840 Franken zwingt uns, rund die Hälfte unseres Eigenkapitals zu opfern. Unter diesen Voraussetzungen liegt ein ähnliches Vorgehen für das Jahr 2015 gar nicht mehr drin, wir müssen handeln.» Parteiübergreifend sind sich hier die vier Mitglieder von SVP, die zwei von der UOP und das Einzelmitglied der SP einig.

Nur 200 000 Franken
Rita Sampogna betont, dass die schlechte Finanzlage nicht erst seit wenigen Wochen ein Thema im Gemeinderat ist: «Wir machen ja laufend Finanzplanungen und haben diese Entwicklung seit Längerem beobachtet und Massnahmen ergriffen. Da sich keine Verbesserung abzeichnet, müssen wir nun handeln.» Im August 2013 hat sich bei der ersten Budgetsitzung 2014 gezeigt, dass die sich abzeichnenden Verschlechterungen nicht mehr zu verantworten sind. Aus der daraufhin eingeleiteten Sparrunde resultieren Einsparungen von 200 000 Franken.

Gestrichen werden Anschaffungen, Schlussessen, Reparaturen, Lohnerhöhungen, Schulmaterial, Schullagerbeiträge und anderes. «Weitere Einsparungen waren ohne massiven Leistungsabbau nicht mehr möglich», hält sie fest. Positiv bewertet sie, dass Unterhaltsarbeiten an Strassen und der Kanalisation laufend und etappenweise ausgeführt werden. Sorgen bereitet hingegen der Hochwasserschutz, da die Gemeinde immer wieder Schäden zu beklagen hat.

Gemeinde entscheidet über sechs Prozent
Nachdem der Gemeinderat feststellen musste, dass mit ersten Sparmassnahmen nur 200 000 Franken gespart und für das Budget 2014 weitergehende Neuerungen nicht realisiert werden können, beschliesst er eine seriöse Sanierungsstrategie mit fundierten Zahlen. Als Erstes gilt es den budgetierten Aufwand von Fr. 8 953 354.– aufzuteilen in die Kategorien beeinflussbar Fr. 541 930.– (6,05 %), teilweise beeinflussbar Fr. 810 668.– (9,06 %) und nicht beeinflussbar Fr. 7 600 756.– (84,89 %).
Die Verwaltung arbeitet sich durch sämtliche Ressorts und Abteilungen, unterteilt in die oben aufgeführten Kategorien, und der Gemeinderat entscheidet ab kommendem Dezember, wo noch weitere Einsparungsmöglichkeiten vorhanden sind. «Die Entscheide gehen zu denjenigen, die es betrifft, in die Vernehmlassung. Anschliessend entscheiden wir definitiv. Wir sind noch in der Entscheidungsfindung, bis heute ist noch nichts definitiv beschlossen», hält die Gemeinderatspräsidentin fest.

Appell an Bevölkerung
Und fährt fort: «Am einfachsten wäre es, alle beeinflussbaren Positionen im Betrag von 541 930 Franken zu streichen. Aber das bringt’s nicht. Wir müssen weiterdenken. Sonst ist unsere Gemeinde wirklich nicht mehr attraktiv für die Bevölkerung.» Sie erinnert daran, das in den letzten Jahren «nicht mit der grossen Kelle angerichtet worden ist, sondern nötige Investitionen in den Aula-Anbau und die Schul- und Sportplatzanlagen mittels Verkäufen von Gemeindeliegenschaften finanziert worden sind. Im Grunde genommen sind wir unseren Möglichkeiten entsprechend zurückhaltend gewesen.» Dazu kommt, dass nur noch eine als Verkaufsobjekt geeignete Liegenschaft in Gemeindebesitz ist.

Bei den teilweise beeinflussbaren Positionen handelt es sich beispielsweise um Projekte, die an einer Gemeindeversammlung genehmigt worden sind und «jetzt eventuell zurückgenommen werden müssen, weil die nötigen Gelder fehlen». Rita Sampogna ist überzeugt, dass die Bevölkerung bei fundierter Information durchaus in der Lage ist, eine realistische Beurteilung der Gemeindefinanzen vorzunehmen: «Wir wissen heute, dass der Bund zahlreiche Aufgaben an die Kantone delegiert und diese ihrerseits möglichst viele an die Gemeinden weiterleiten. Das bringt eine enorme Umverteilung der Lasten. Da in Oberburg weder Grossindustrien noch zahlreiche Bewohner mit grossem Steuersubstrat ansässig sind, können wir diese Aufgaben nicht mehr finanzieren. Entsprechend wird der Handlungsspielraum für Oberburg, aber auch für umliegende kleinere Gemeinden, von Jahr zu Jahr immer kleiner, was beträchtliche Sorgen auslöst», erläutert sie.

Hilferuf vor Spardebatte
In der Novembersession steht für den Grossen Rat die Spardebatte (400 Mio. Franken) auf dem Programm, weshalb für Rita Sampogna der Gang an die Öffentlichkeit per Ende Oktober der richtige Zeitpunkt ist. «Wir wollen die Emmentaler Grossrätinnen und Grossräte auf unsere Probleme aufmerksam machen und ihnen nahelegen, neben zusätzlichen Kosten für uns auch an diverse Lastenausgleiche zu denken. Daneben macht uns die mangelnde Planungssicherheit zu schaffen, denn die Finanzplanungshilfen zu den Steuerprognosen des Kantons und zum Finanz- und Lastenausgleich variieren von Jahr zu Jahr massiv. Man entzieht uns unsere Planungsinstrumente.»

Im Gemeinderat geht die Befürchtung um, dass die von aussen verursachte Planungsunsicherheit den Rat in der Bevölkerung unglaubwürdig erscheinen lässt, was wiederum die Motivation und Bereitschaft für einen Leistungsabbau bei allen Beteiligten und der Bevölkerung sinken lässt.
Rita Sampogna nennt den Mahlzeitendienst, Spitex-Leistungen und die familienergänzende Kinderbetreuung als Beispiele, bei denen ein Abbau der kantonalen Leistungen zu befürchten ist oder bereits vollzogen worden ist: «Wenn die Gemeinden solche Dienste beibehalten wollen, sollen sie bezahlen: Aber was passiert, wenn wir das einfach nicht mehr können?» Dabei sind solche Angebote für die Bevölkerung sehr wichtig, und «wollen wir als Gemeinde attraktiv bleiben, brauchen wir solche Angebote».

Zu wenig Steuereinnahmen
Auf die Frage nach der Höhe des Finanzausgleichs, den Oberburg erhält, nennt die Gemeinderatspräsidentin rund 1,2 Mio. Franken. «Ohne dieses Geld könnten die Aufwendungen nicht mehr gedeckt werden und trotzdem reicht es nicht», sagt sie. Oberburg ist ein typisches Strassendorf mit viel Durchgangsverkehr. Entlang der Emmentalstrasse befinden sich zahlreiche Wohnungen in weniger privilegierter Lage, deren Mieter entsprechende Steuern bezahlen. Durchschnittlich beträgt der Harmonisierte Steuerertrag pro Einwohner 1650 Franken, während in den Emmentaler Gemeinden der Durchschnitt bei 1800 Franken und der im Kanton Bern bei 2000 Franken liegt. Nach der kürzlichen Umzonung von Bauland hofft die Gemeinde, einige finanzkräftige Steuerzahler nach Oberburg holen zu können. Sie weist nochmals auf das Ende 2012 vorhandene Eigenkapital der Gemeinde von einer Million Franken hin, das infolge des Defizits 2013 von ca. 300 000 Franken massiv schmelzen wird und gemäss dem Budget 2014 mit einem prognostizierten Verlust von 576 000 Franken weiter schwindet. Geht es im gleichen Tempo weiter, ist das Eigenkapital spätestens 2015 aufgebraucht, anschliessend droht ein Bilanzfehlbetrag.

Seit der letzten Steuererhöhung im Jahr 1995 ist Oberburg also 18 Jahre ohne solche Massnahmen über die Runden gekommen. «Der Gemeinderat wird die nächsten Wochen sehr sorgfältig alle möglichen Sparmassnahmen prüfen und nur als letzten Ausweg eine Steuererhöhung vors Volk bringen», versichert Rita Sampogna.

Standortvorteile propagieren
Neben der nicht idealen Wohnlage entlang der vielbefahrenen Emmentalstrasse verfügt die Gemeinde über Quartiere mit beachtlicher Wohnqualität. «Wer nicht im Zentrum, sondern etwas abseits mit trotzdem guten Verbindungen zu öffentlichem Verkehr (Bus, Bahn) oder Autobahn wohnen möchte, sollte sich in Oberburg niederlassen», em­pfiehlt Rita Sampogna. «Neben Kindergarten und Primarschule führen wir eine Sekundarschule, das Gymnasium liegt ganz in der Nähe in Burgdorf. Diese Gemeinde geniesst dank zahlreicher Schulen und der Kantonalen Fachhochschule einen ausgezeichneten Ruf als Schulstadt, wovon wir profitieren können. Wir haben ein einmalig schönes Naherholungsgebiet mit der Emme und den südwestlich des Dorfes gelegenen Weilern, das Emmental muss nicht speziell vorgestellt werden. Oberburg ist Standortgemeinde einer 18-Loch-Golfanlage, vor Ort sind über 40 Vereine aktiv. Allein das Sportangebot ist sehr umfangreich. Ein modernes Freibad (Burgdorf) und zwei Eissportanlagen (Burgdorf/Hasle) sind in wenigen Minuten erreichbar.»

Die Gemeinderatspräsidentin wird alles daransetzen, einen Imagewechsel vom verkehrsreichen Strassendorf zur attraktiven Wohngemeinde herbeiführen zu können.

Gerti Binz


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