«Gotthelf am Radio – der Streit um die Hörspiele von Ernst Balzli»

  07.11.2014 Aktuell, Kultur, Gesellschaft, Lützelflüh

Am vergangenen Samstag lud der Verein Gotthelf-Stube zu seiner jährlichen Hauptversammlung in den Gasthof Ochsen in Lützelflüh ein. Die Vereins­präsidentin Verena Hofer freute sich, bei strahlend schönem Herbstwetter zahlreiche Vereinsmitglieder begrüssen zu dürfen.

Der Anlass gliederte sich in drei Teile: die Hauptversammlung gemäss Traktandenliste, das gemeinsame Mittagessen und den Vortrag von Dr. Thomas Multerer, Rektor des Gymnasiums Oberaargau, mit dem Titel «Gotthelf am Radio – Der Streit um die Hörspiele von Ernst Balzli».

Die Gotthelf-Hörspiele von Ernst Balzli, welche Radio Bern in den Jahren 1947 bis 1953 ausstrahlte, erfreuten sich einer ungeheuren Popularität  und entwickelten sich zu richtigen «Strassenfegern». Sie verursachten einen regelrechten Gotthelf-Boom, sodass sich die Verkaufszahlen der Romane und Erzählungen enorm steigerten. Die Adaptionen des Lehrers und Schriftstellers Ernst Balzli trugen massgeblich dazu bei, dass die Werke von Jeremias Gotthelf bei einer breiten Bevölkerung nicht in Vergessenheit gerieten.

Dennoch lösten sie eine heftige Kontroverse aus. Walter Muschg, Professor für deutsche Literatur an der Universität in Basel, und weitere Literaturwissenschaftler warfen Balzli vor, Gotthelf nicht gerecht zu werden, ihn zu verharmlosen und das Original zu verstümmeln. In seinem interessanten Vortrag liess Thomas Multerer den Konflikt, der sich zu einem gewaltigen Skandal entwickelte, wieder aufleben. Im Zentrum der Auseinandersetzung, führte Multerer aus, standen zwei verschiedene Gotthelf-Bilder: jenes des Jahrtausendschriftstellers und Diagnostikers der menschlichen Bosheit und jenes des populären, derben und harmlosen Bauern- und Heimatschriftstellers. Beide Bilder sind nicht kongruent und lassen sich kaum vereinen. Vom heftig ausgetragenen Streit um Gotthelf profitierte allerdings niemand: weder Ernst Balzli, der seine Stelle beim Radio kündigte und wieder als Lehrer arbeitete, noch Walter Muschg.  

mhl


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