«Das Kalte Herz» – der verschollene Film mit Franz Schnyder

  26.07.2015 Aktuell, Kultur, Burgdorf, Gesellschaft

Die Geschichte begann im Jahre 2009, als Raff Fluri, Zuständiger für die operative Leitung der Burgdorfer Kinos, Recherchen für eine kleine Ausstellung anlässlich des 100. Geburtstags Franz Schnyders im Rahmen des Franz-Schnyder-Festivals anstellte. Dabei stiess er in der Burgerbibliothek Bern auf eine VHS-Kassette, auf welcher Filmfragmente eines Stummfilms mit Franz Schnyder als Schauspieler zu sehen waren. Dabei handelte es sich um Ausschnitte eines nie auf der Leinwand gezeigten Films. Davon fasziniert, begann Fluri nach dem Originalfilm beziehungsweise den Filmrollen zu suchen. Da er annahm, dass der Film unter Schnyders Leitung gedreht worden war, und sich demnach die Filmrollen in Schnyders Besitz befunden haben müssten, begann er seine Suche, indem er mit verschiedenen Personen aus Schnyders Umfeld Kontakt aufnahm. Doch alle Spuren verloren sich im Sand – das Fazit: Der Originalfilm existiert nicht mehr.

Per Zufall stiess Fluri drei Jahre später bei einer Google-Recherche auf ein Foto, welches Franz Schnyder zusammen mit dem Pianisten Karl Ulrich Schnabel zeigt. Dadurch stiess er auf die «Schnabel Music Foundation», und dort stellte sich heraus, dass der Film nicht unter der Leitung von Schnyder, sondern von Schnabel produziert worden war und dass so die Originalfilmrollen eventuell noch existierten. Die Akademie der Künste in Berlin besass 16 mm Filmmaterial dieses Films, jedoch handelte es sich dabei um Arbeitsmaterialien und geschnittene Szenen. Damit war es aber nicht möglich, den gesamten Film zu rekonstruieren. Und so ging die Suche weiter…

Im Archiv der Akademie stiess Fluri dann auf einen Briefverkehr zwischen Produzent Karl Ulrich Schnabel und dem Musikwissenschaftler Albrecht Dümling aus Berlin, der sich 1991 um eine Abfilmung der Originalrollen auf VHS kümmerte. Um von diesen Briefen eine Kopie anzufertigen, musste das Archiv die Erlaubnis Dümlings einholen. Dabei stellte sich heraus, dass sich die Filmrollen bei ihm befanden.

Doch wie kam Dümling in deren Besitz? Der Film wurde 1933, als Schnabel mit seiner Familie aus Deutschland fortzog, bei einem Pianisten und Schüler seines Vaters untergebracht. Dümling bekam dann 1991 vom in den USA wohnhaften Schnabel den Auftrag, den Film bei der Witwe des Pianisten abzuholen, auf VHS-Kassetten zu überspielen und ihm zuzusenden. So landeten die Filmrollen bei Dümling, der sie zum Glück nach dem Anfertigen der Videokopie weiter aufbewart hat.

Crowdfunding als Lösung?
Mit dem Fund der Originalfilmrollen gelang es Raff Fluri, die Voraussetzungen zur kompletten Fertigstellung und Restaurierung des aufgrund der damaligen Zensur durch das Nazi-Regime stark gekürzten Films zu schaffen. Dies bringt jedoch offensichtlich auch Kosten mit sich, und hier stellt sich folgendes Problem: Förderstellen, welche Gelder zur Unterstützung von Filmprojekten sprechen, haben oftmals formale Kriterien, welche über eine Förderung oder Nicht-Förderung entscheiden: Da der Film nie ganz fertiggestellt und nie veröffentlicht wurde, handelt es sich weder um eine normale Restaurierung, noch um die Schaffung eines neuen Films – beides wäre fördergeldberechtigt. «Das Projekt fällt leider bei vielen Förderstellen durch», so Fluri. Um trotzdem das nötige Geld für die Umsetzung des Projekts aufzutreiben, beschloss Fluri, es mit Crowdfunding zu versuchen. Auf der Plattform www.wemakeit.com können noch bis am 16. August 2015 alle, welche dem «Kalten Herz» zum Sprung auf die Leinwand verhelfen möchten, Geld für das Projekt spenden. Nur wenn der gesamte Betrag, der zur Finanzierung des Projekts nötig ist (20 000 Franken), zusammenkommt, wird das Geld an das Projekt überwiesen. Kann nicht genügend Geld gesammelt werden, bekommen die Unterstützer das einbezahlte Geld – abzüglich geringer Bearbeitungskosten – wieder zurück. Momentan wurden 14 510 Franken für das Projekt einbezahlt. Die Zeit läuft, das «Kalte Herz» braucht Hilfe.

Was wäre, wenn…?
«Wenn das nötige Geld bis zum 16. August 2015 zusammenkommt, wäre das natürlich super. Ein Grossteil des Geldes würde zur Komposition und zur Aufnahme der Filmmusik aufgewendet werden. Dafür konnten wir den renommierten Filmkomponisten Robert Israel gewinnen, der die Interpretationen und Meisterklassen von Karl Ulrich Schnabel bestens kennt und mit seiner Musik die Filmvorführung sicher zu einem unvergesslichen Erlebnis werden lassen würde», schwärmt Fluri.

Wenn das Geld allerdings nicht zusammenkommen würde, wäre das ein herber Rückschlag für das Projekt. «Ich müsste irgendwie eine andere Finanzierungsmöglichkeit finden», meint Fluri.

Faszination, Motivation und viel persönlicher Einsatz
Was Raff Fluri besonders am Film «Das Kalte Herz» fasziniert, ist, dass es sich um eine unabhängige Produktion von jungen Menschen von vor über 80 Jahren handelt. Der Film wurde damals mit viel Fantasie und Experimentierfreude gedreht. «Sie haben interessante und für die damalige Zeit unkonventionelle Kameraperspektiven gewählt, und auch mit den im Film eingeblendeten Schriftfarben haben sie neue Ansätze erprobt. So fliesst beispielsweise der Text, als Franz Schnyder, alias Kohlenmunk-Peter, in den Wald ruft, ebenfalls in den Wald hinein. Solche Details zu entdecken finde ich extrem spannend. Die Mittel, welche die Filmschaffenden damals zur Verfügung hatten, waren einfach, oftmals musste improvisiert werden. Soweit man heute weiss, war es ein Projekt, welches vor allem durch zahlreiche Freunde und Bekannte Schnabels unterstützt wurde», erklärt Fluri.

Doch die Faszination für die unabhängigen Filmschaffenden von damals ist nicht das Einzige, was Fluri motiviert, «Das Kalte Herz» endlich auf die Leinwand zu bringen. «Meiner Meinung nach hat Franz Schnyder leider ein falsches Image hier in der Schweiz. Er wird von vielen belächelt und man erinnert sich an ihn als alten Herrn mit Zipfelmütze, welcher etwas frus­triert wirkte. Für mich ist Schnyder einer, der mit seinem Filmschaffen auch kritisch sein wollte. Die kommerziell erfolgreichen Filme drehte er, um sich finanziell über Wasser zu halten. Die Fertigstellung, Restaurierung und Veröffentlichung des ‹Kalten Herzens› wäre für mich ein Anfang zur Aufarbeitung von Schnyders Schaffen. So ist beispielsweise die Theaterzeit Schnyders nicht oder nur bruchstückhaft dokumentiert. Zudem wäre es ein Versuch, ihn in der Meinung der Öffentlichkeit in ein anderes Licht zu rücken», erzählt Fluri und meint: «Letzten Endes handelt es sich beim ‹Kalten Herz› um ein Stück Geschichte, welches es zu erhalten gilt und welches momentan, durch die Digitalisierung der Originalfilmrollen, auch erhalten werden wird. Doch was bringt das Erhalten eines Stücks Filmgeschichte, wenn es niemand kennt und es niemandem zugänglich ist?»

Felix Glauser

Weitere Informationen: «Das Kalte Herz» kann finanziell unterstützt werden unter: www.wemakeit.com/projects/das-kalte-herz

 

Der Inhalt des Films
Der Film erzählt das im Schwarzwald noch heute sehr populäre Märchen «Das Kalte Herz». Inhaltlich hält sich der Film in seiner ursprünglichen Fassung viel näher an die Originalerzählung von Wilhelm Hauff als die beiden nachfolgenden Verfilmungen von 1950 und 2014. Durch das Hinzufügen eines Rahmens, der die ursprüngliche Geschichte umfasst, gibt Regisseur und Produzent Karl Ulrich Schnabel dem Märchen sogar einen weiteren Sinn.

Peter Munk, genannt der Kohlenmunk-Peter, träumt davon, viel Geld zu haben und angesehen zu sein. Eines Nachts findet er auf dem Nachhauseweg im Wald ein kleines Büchlein am Boden mit dem Titel «Wie das Glasmännchen schon manchem zu seinem Glück verhalf». Er liest darin und erfährt, dass es im Schwarzwald einen Waldgeist geben soll, der jedem Sonntagskind drei Wünsche erfüllt, sofern es den Mut hat, es mit einem bestimmten Vers zu rufen. Der Vers ist im Buch geschrieben, doch fehlt die letzte Zeile. Er macht sich auf die Suche nach dem Glasmännlein, beginnt mit dem Aufsagen des Verses, bekommt es aber mit der Angst zu tun und rennt davon. Dabei begegnet er einem anderen Waldgeist, dem gefährlichen, riesigen Holländer-Michel, der in Sturmnächten als böser Zauberer sein Unwesen treibt. Er kann ihm aber gerade noch entkommen und flüchtet zu einer Holzfällerfamilie, wo er die Nacht verbringt.

Vorbeiziehende singende Wanderer bringen ihn am Folgetag auf die Idee, wie der Vers enden könnte und so ruft er das Glasmännlein, welches ihm drei Wünsche gewährt, den dritten allerdings nur unter Vorbehalt, falls er töricht sein sollte. Töricht ist schon Peters erster Wunsch: Er möchte besser tanzen können als der «Tanzbodenkönig» und im Wirtshaus immer so viel Geld in den Taschen haben wie der reiche Ezechiel. Beide sind Peters zweifelhafte Vorbilder. Sein zweiter Wunsch ist allerdings vernünftiger: Er wünscht sich eine stattliche Glashütte mit genug Kapital, sie zu führen. Das Glasmännlein macht Peter darauf aufmerksam, dass er sich auch den notwendigen Verstand dazu hätte wünschen sollen. Die Erfüllung des dritten Wunsches versagt ihm das Glasmännlein erst einmal, damit er für später noch etwas übrig hat. Die zwei Wünsche werden Peter erfüllt. Er hat die schönste Glashütte im Schwarzwald, tanzt besser als alle anderen und seine Taschen sind beim Spielen im Wirtshaus stets mit so viel Geld gefüllt wie die von Ezechiel. Er wird schnell zum angesehenen Mann im Schwarzwald. Doch der fehlende Verstand für sein Geschäft macht sich bald bemerkbar. Er vernachlässigt seine Glashütte, geht fast nur noch ins Wirtshaus, um zu spielen. Wenn er dort den reichen Ezechiel trifft, hat er stets genau so viel Geld in der Tasche wie dieser. Peter gewinnt im Spiel ständig und zieht Ezechiel alles Geld aus der Tasche, bis dieser keines mehr hat – und Peter damit auch nicht. Vor lauter Unglück geht Peter in den Wald zum Holländer-Michel. Dieser erweist sich gross­zügiger als das Glasmännlein, fordert als Preis für seine Hilfe allerdings Peters Herz und weist ihn darauf hin, dieses sei doch eigentlich Schuld an der ganzen Misere. An die Stelle des Herzens soll Peter einen kalten Stein und unendlich viel Geld bekommen. Peter beginnt eine Reise an die schönsten Orte, doch muss feststellen, dass er sich an nichts mehr erfreuen kann, dass er nicht mehr lachen und weinen kann, keine Liebe mehr empfindet und nichts mehr schön ist. Er reist nach Hause und geht zum Michel, um sein Herz zurückzufordern. Dieser verweigert ihm den Wunsch mit dem Hinweis, dass er sein Herz erst nach dem Tod wieder erhält. Er solle sich doch eine Beschäftigung suchen und heiraten, um seine Langeweile zu vertreiben. Am nächsten Tag ist Peter steinreich, baut ein riesiges Haus, arbeitet fortan als Händler und Geldverleiher zu Wucherzinsen. Für seinen unerbittlichen Geiz ist er verschrien und verjagt alle Armen, gar seine eigene Mutter. Er geht auf Brautschau und hält um die Hand der wunderschönen Holzhauerstochter Lisbeth an. Sie heiraten, doch Lisbeth fühlt sich bald unglücklich. Peter ist nur schlecht gelaunt und verbietet Lisbeth trotz des immensen Vermögens, den Armen zu helfen. Als eines Tages ein alter, gebrechlicher Mann vorbeikommt und um einen Schluck Wasser bittet, fühlt sich Lisbeth unbeobachtet und bietet ihm Wein und Brot an. Der Mann bedankt sich und meint, dass so ein gutes Herz belohnt werden wird. In dem Moment kommt Peter zurück und schlägt,  betrunken und ausser sich vor Wut, mit einer Peitsche auf Lisbeth ein. Der alte Mann gibt sich als das Glasmännlein zu erkennen und streckt Peter nieder. Von da an schläft Peter schlecht und hört Stimmen, die ihm sagen, er solle sich «ein wärmeres Herz verschaffen». Er kehrt in den Schwarzwald zurück und will beim Glasmännchen seinen dritten Wunsch einlösen. Dieses hat jedoch keine Macht über den Holländer-Michel, aber eine Idee, wie man ihn überlisten könnte. Peter geht zum Holländer-Michel und behauptet, dieser habe ihn betrogen, er habe ihm nämlich gar kein Steinherz eingesetzt. Michel will ihm das beweisen und setzt ihm «zur Probe» das echte Herz nochmals ein. Daraufhin fesselt Peter den Michel und kann fliehen. Schweren Herzens muss Peter erkennen, was er angerichtet hat. Er geht zum Glasmännchen, gibt zu, dass jemand wie er es verdient hat zu sterben und bittet in seinem dritten Wunsch darum.

Der Schluss sei an dieser Stelle aber noch nicht verraten...

zvg

Eine Kostprobe für Ungeduldige gibts bereits am 6. August 2015
Für diejenigen, die nicht bis zur Premiere des fertigen Films warten können und bereits jetzt mehr erfahren möchten, wird Raff Fluri am 6. August einen kleinen Vortrag über die Hintergründe des Films und über das Projekt halten. Dabei dürfen natürlich Ausschnitte aus dem Film nicht fehlen!

Der Anlass soll aber auch dazu dienen, sich gemeinsam über Film, Schnyder, Schnabel und «Kalte Herzen» auszutauschen. Er findet statt am 6. August – zufälligerweise gerade am Geburtstag des Regisseurs Karl Ulrich Schnabel – um 20.00 Uhr im Gotthelf Zentrum Lützelflüh und bietet gleichzeitig Gelegenheit, Werner Eichenbergers eindrucksvolle Ausstellung über Franz Schnyder zu besichtigen.

Eintritt frei. Anmeldung auf daskalteherz.com.

 


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