Bestnote für den Dürrenmatt-Klassiker

  29.11.2016 Aktuell, Kultur, Region

Bei der Uraufführung 1956 in Zürich spielte Therese Giehse die Hauptrolle als kühle Milliardärin Claire Zachanassian. In der ELB-Produktion übernimmt Franziska Oppliger diesen Part. Sie überzeugt ebenso wie Hans Rudolf Kummer in der männlichen Hauptrolle als zuletzt verzweifelter Alfred Ill.
Die wohlhabende alte Dame kehrt nach Güllen zurück – an jenen Ort, wo sie als Klara Wäscher eine karge Kindheit verbrachte und als 17-Jährige vom knapp 20-jährigen Alfred Ill geschwängert wurde, der aber nicht zum unehelichen Kind stand. Vielmehr gewann er mithilfe zweier bestochener Zeugen den Vaterschaftsprozess. Klara musste – hochschwanger – als Geächtete verschwinden. Ihr jetziger Besuch könnte dem verkommenen Güllen Reichtum bescheren. Kein Wunder, wird die Milliardärin am Bahnhof freudig empfangen. Der Gemischte Chor singt das Lied «Bärnbiet», das durch den Lärm vorbeidonnernder Züge arg gestört wird. Der Stadtpräsident (Dominik Zürcher) richtet bei der Begrüssung mit der grossen Kelle an und bezeichnet die durch Heirat zur Milliardärin gewordene Claire als «wohltätig und gerechtigkeitsliebend». Dieser geht es exakt um Gerechtigkeit, die sie mit einer Milliarde – die eine Hälfte für Güllen selber, die andere verteilt an die Bevölkerung Güllens – kaufen will. Jemand soll ihre Jugendliebe, Alfred Ill, umbringen.
Ulrich Simon Eggimann inszeniert die Tragikomödie von A bis Z stimmig und gespickt mit Ironie. So verkündet der Stadtpräsident dem Krämer Alfred Ill, dieser werde im Frühling «todsicher» zu seinem Nachfolger gewählt. Das Publikum schmunzelt. Belebende Elemente sind die synchron sprechenden blinden Eunuchen Koby (Matthias Egger) und Loby (Hans Gfeller). Eigentlich heissen sie Jakob Hühnlein und Ludwig Sparr. Beide sagten bei der Vaterschaftsklage 1948 vor Gericht zugunsten Alfred Ills aus, der sich diesen Meineid mit einem Liter Schnaps erkauft hatte. Milliardärin Claire Zachanassian hatte später beide Falschaussager gesucht, gefunden, kastrieren und blenden lassen. Stets an der Seite der alten Dame im weissen Anzug ist Butler Boby (Franz Mumenthaler). Er reicht ihr teure Zigarren, exklusiven Whisky.
Die Milliardärin und Alfred Ill, inzwischen in die Jahre gekommen, suchen gemeinsam jenen Ort im Wald auf, wo sie sich damals erstmals geküsst haben – und schwelgen in Erinnerungen. Bald aber ist klar, dass Claire – damals Kläri – nach Güllen gekommen ist, um sich für das Unrecht zu rächen. Claire erzählt Alfred, dass sie das von ihm gezeugte Kind bloss bei der Geburt gesehen habe. Die Christliche Mission habe ihr das Mädchen gleich weggenommen. Genevieve sei nur einjährig geworden und an Hirnhautentzündung gestorben.
In Güllen wird viel konsumiert, aber nicht bezahlt. «Schribets uf», heisst es überall. Die Bevölkerung scheint sich vom humanitären Gedankengut abzuwenden. Zu verlockend ist die Aussicht auf den Milliardencheck von Claire. Nicht nur der Pfarrer (Dominik Müller), der Lehrer (Bruno Lädrach) und der Arzt (Peter Eggimann) wenden sich zunehmend von Alfred Ill ab. Dieser sieht sich der nichts Gutes verheissenden Kaufwut in Güllen wegen arg in die Enge getrieben. Er will Claire verhaften lassen. Dem Polizisten (Emanuel Gfeller) fehlt der Grund dazu. Alfred Ills Kräfte schwinden. Er resigniert, will nicht mehr kämpfen. Ein letztes Mal sehen sich die damals Verliebten. «I ha di gärn gha, du hesch mi verrate. Adieu Alfred», sagt Claire, «Adieu Klara», sagt Alfred. Es ist ein Abschied ohne Händedruck. Die Bürgerversammlung spricht ein klares Urteil. Wenig später liegt Alfred Ill tot am Boden. «Herzschlag», stellt der Arzt fest. Ein bedrückendes Ende, das zum Nachdenken anregt – ein Klassiker, den das starke Ensemble zum Erlebnis werden lässt. Chapeau!
Hans Mathys
Weitere 18 Vorstellungen im Rüttihubelbad bis 7. Februar 2017. Infos, Spieldaten, Reserva­tionen unter www.elb.ch.


Image Title

1/10


Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote