Unverhofft, aber höchst erfreulich hat der Radfahrerverein (RV) Ersigen an den Schweizer Meisterschaften in Lüterkofen (SO) und Affoltern a. A. eine reiche Ernte eingefahren. Marlen Reusser, erst seit letztem Jahr aktive Rennfahrerin, hat im Zeitfahren Gold und im Strassenrennen Silber gewonnen. «Dieses Rennen war ein Witz, alle hingen nur an meinem Hinterrad und haben nie geführt. Mich gurkt das an!» Das war ihre Reaktion, nachdem sie am Samstag an der Strassenmeis­terschaft in Affoltern a. A. im Spurt von Nicole Hanselmann geschlagen wurde. Die Zürcherin, Mitglied eines internationalen Teams, war nicht etwa stärker, aber renntaktisch geschult. Sie liess sich von der starken Bernerin auf die Zielstrecke «ziehen». Dass Marlen Reusser gegenwärtig die stärkste Schweizer Radrennfahrerin ist, hatte sie schon am Donnerstag in Lüterkofen bewiesen, wo sie das Meistertrikot im Zeitfahren überlegen gewann. Wenn die nächsten Einsätze ähnliche Ergebnisse bringen, wird die WM von Mitte September in Norwegen ein Thema, zumal die Schweizermeister in der Regel immer selektioniert werden.
Erstaunliche Karriere
Die Siegesfahrt der 25-jährigen Marlen Reusser im Zeitfahren vom Donnerstag und die Überlegenheit im Strassenrennen waren die grösste Überraschung dieses Championats, fuhr sie doch erst vor einem Monat an der Berner Rundfahrt das erste nationale Strassenrennen. Reusser versuchte sich erst letztes Jahr in regionalen Radrennen, ist taktisch noch entsprechend unerfahren und hat auch keine eigene Zeitfahrmaschine. Aldo Schaller vom Berner Radsporthaus stellte der aufgestellten Sportlerin diese technisch komplexe Maschine zur Verfügung und sie fand sich erstaunlich rasch darauf zurecht. Während ihre Konkurrentinnen mit Wattmesser ihre Leistungen kontrollierten, fuhr die kecke Hindelbankerin ohne dieses Hilfsmittel.
«Wie macht dä das?», wunderte sich Marlen Reusser, als der Speaker nach dem Zeitfahren die Leistung von Stefan Küng, dem Sieger der Elite, bekannt­gab. Sein Durchschnitt von 47,7 km / h ist tatsächlich erstaunlich, vor allem weil Küng einmal sogar ein Postauto überholen musste. Aber auch Marlen Reusser fuhr bei Glutofenhitze mit 40,6 km / h ein hohes Tempo. Noch wusste sie bei den Siegerehrungen nicht recht mit dem Ruhm umzugehen und musste mehrmals ermuntert werden, mit dem bekannten Elite-Sieger für ein Foto zu posieren. Bei der Schweizermeisterschaft im Einzelzeitfahren im bernisch-solothurnischen Grenzgebiet war der Radfahrer-Verein (RV) Ersigen der einzige Club, der in verschiedenen Kategorien einen ganzen Medaillensatz gewann: Vor Marlen Reussers Gold holte die 18-jährige Fabienne Buri aus Oberburg bei den Juniorinnen die Bronzemedaille und am Schluss stand der 46-jährige Heinz Wermuth aus Sumiswald mit der silbernen Auszeichnung auf dem Podest.

zvg