«Gesundheitskosten - ein Fass ohne Boden?»

  26.02.2018 Aktuell, Bildung, Wirtschaft, Burgdorf, Bildung / Schule, Gesellschaft, Jugend, Region, Politik

Bei der Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern sind die Weichen gestellt. «Ich wünsche mehr Dynamik, schnellere Reaktionen, unternehmerisches Denken und gemeinsame, übergreifende Lösungen», so Gastreferent und Regierungsrat (SVP) Pierre Alain Schnegg vergangenen Dienstag im «Landhaus» in Burgdorf. Dass es sich dabei nicht bloss um leere Versprechungen handelt, zeigte er Schritt für Schritt auf. 1995: Gesamtkosten im Schweizer Gesundheitswesen 37,8 Milliarden Franken. 2005: 55,1 Milliarden Franken. 2015: 77,8 Milliarden Franken. Fazit: In zwanzig Jahren haben sich die Gesundheitskosten in der Schweiz verdoppelt. 1995: Kosten pro Kopf der Bevölkerung: 444 Franken / Monat bei 7,1 Mio. Einwohnern. 2005: 612 Franken / Monat bei 7,5 Mio. Einwohnern 2015: 782 Franken / Monat bei 8,3 Mio. Einwohnern. Fazit: Wäre die Einwohnerzahl gleichgeblieben, wäre es auch hier beinahe zu einer Verdoppelung gekommen. «Unser Gesundheitswesen ist das zweitteuerste der Welt. Nur noch die USA sind teurer», so Schnegg dazu. Das Thema Gesundheitskosten beschäftige ihn nicht erst seit Amtsantritt vor zwanzig Monaten. Bereits als Student, als vierfacher Familienvater und als Verantwortlicher für ein Unternehmen mit über hundert Mitarbeitenden seien sie immer eine spezielle Sorge gewesen.


Unbefriedigend
«Im Grossraum Bern herrscht ein Überangebot an Spitälern. Gleichzeitig setzt die wachsende Konkurrenz das Betriebsergebnis der Spitäler in den Regionen unter Druck», hielt Schnegg fest. Das Investitionsvolumen der Spitäler sei derzeit sehr hoch, obwohl nicht sicher sei, ob die Refinanzierungsmarge auf Dauer ausreiche. Die mit den Krankenkassen ausgehandelten Tarife sinken laufend, was die Einnahmen der Spitäler verringert. Um diese Entwicklung zu kompensieren, müssen die Spitäler entweder ihre Kosten senken oder das Leistungsangebot erhöhen. Dies ist aber nur möglich, wenn sie mehr Patienten behandeln, was wiederum eine Kostensteigerung zur Folge hat. «Warum gibt es bei zahlreichen Indikationen 30 bis 50 Prozent mehr
Operationen bei Zusatzversicherten als bei Grundversicherten?», stellte Schnegg als Frage in den Raum. «Stehen die Bedürfnisse der Patienten bei diesen Entscheiden wirklich immer im Vordergrund?»

Verbesserungen
Im Dialog mit den Leistungserbringern könnten Verbesserungen erreicht werden, ist Schnegg überzeugt. Es müssen Patienten-Datenbanken geschaffen werden, und zwar mit aktuellen Daten, damit korrigierend eingegriffen werden kann, sobald zum Beispiel eine ausserordentliche Häufung von gewissen Operationen auffällt. Möglich bleibe auch, die Spitalliste durch Streichung von gewissen Leistungsaufträgen zu straffen. Die Gesundheitsbranche wird wegen der immer älter werdenden Bevölkerung in den nächsten vierzig Jahren stark wachsen. «Wir müssen die Kostensteigerung durch eine
Steigerung der Systemeffizienz bremsen. Die Leistungen müssen wirtschaftlicher erbracht werden», hielt er
fest.


Ambulant vor stationär
Das Bundesamt für Gesundheit schätzt, dass pro Jahr rund 360 000 operative Eingriffe stationär durchgeführt werden, die dank medizinischem Fortschritt ambulant und entsprechend kostengünstiger erfolgen könnten. Ambulante Behandlungen sind im Schnitt 2,3-mal günstiger als stationäre. Experten sehen in der Verlagerung ein jährliches Einsparpotenzial von rund 140 Millionen Franken. Aber auch die Leistungserbringer müssen dabei umdenken und umstrukturieren. Es benötigt weniger Betten im Spital, vermehrte Fahrdienste, multifunktionale Operationssäle usw. Zudem soll der Gang zum Hausarzt wieder gefördert werden. Als Anreiz könnte eine Hausarztprämie Sinn machen oder eine Sonderabgabe für das Aufsuchen der Notfallstation bei Bagatellen erhoben werden. «Ein hausarztbasiertes Gesundheitswesen ist das kostengünstigste Gesundheitswesen», so Schnegg.

Hundert Ärzte mehr
Der Regierungsrat und die Universitätsleitung haben beschlossen, ab Sommer 2018 jährlich hundert Ärzte mehr auszubilden. Zudem wurde entschieden, 35 Praxisassistenzen finanziell zu unterstützen. Das soll helfen, den Beruf des Hausarztes wieder attraktiver zu machen. Gefragt seien aber auch die Gemeinden. Häufig wollten und könnten junge Ärzte das finanzielle Risiko einer eigenen Praxis nicht alleine tragen. «Was unserem Kanton noch fehlt, ist eine gesamtheitliche Gesundheitsstrategie, also ein Steue­rungsinstrument, das alle Bereiche der Gesundheitsversorgung umfasst», liess Schnegg verlauten. Die Arbeiten dazu hätten ebenfalls begonnen. «Ich wünsche mir berufsgruppenübergreifende Netzwerke. Ärzte, Pflege, Spitex, Spitäler usw. sollen vernetzt zusammenarbeiten.»

Barbara Schwarzwald


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