Blick auf die künftige Mobilität

  27.06.2018 Aktuell, Wirtschaft, Gesellschaft, Region

Allerdings zeigt sich bei der anschliessenden Diskussion, dass im geladenen Publikum, bestehend aus Gemeindepräsidenten und -räten sowie Vertretern verschiedener Planungsgruppen aus Volkswirtschaft, Kultur, Alter usw., durchaus Skepsis herrscht bezüglich der «bisweilen als zu forsch empfundenen Mobilitätsziele». Der Mensch bleibe bei dieser rasanten Entwicklung auf der Strecke.

Fast 4000 Eingaben
Der Saal im Landgasthof Bären ist voll besetzt, als RK-Präsident Jürg Rothenbühler das Publikum begrüsst und die beiden Referenten vorstellt. Von besonderem Interesse für die Anwesenden dürfte der Stand der Planungsarbeiten bei der Verkehrssanierung Burgdorf –Oberburg – Hasle sein. Nicht zuletzt die Ankündigung diesbezüglicher Informationen dürfte nicht wenige zur Fahrt nach Sumiswald bewegt haben.
Jürgen Seeber, Projektleiter beim Ober­ingenieurkreis IV des Tiefbauamtes des Kantons Bern, erinnert mit Lichtbildern an die teils prekären Verkehrssituationen bei den Ortsdurchfahrten in den vorgenannten drei Gemeinden. Er kommt auf die langjährige Planung dieser Verkehrssanierung zu sprechen, die in der jetzt vorliegenden Form ein Gesamtverkehrsprojekt darstellt und Massnahmen für alle Verkehrsteilnehmenden (Auto-, Lastwagen-, Bus-, Velo- und Fussverkehr) beinhaltet. Nach der Zweckmässigkeitsbeurteilung mit einer Definition der «Bestvariante Umfahrung» im Jahr 2007 hat es bis zur öffentlichen Mitwirkung mit 3922 Eingaben und der Ämtervernehmlassung bis Herbst 2015 gedauert. «Das ist eine absolut ungewöhnlich hohe Zahl an Eingaben», hält Seeber fest, «und zeigt, wie wichtig dieses Projekt für das Emmental ist.»

Angestrebte Projektziele
Seeber erläutert die Projektziele der Verkehrssanierung wie folgt: «Primär eine langfristig verbesserte Verkehrserschliessung des Wirtschaftsstandortes Emmental, verkehrsträgerübergreifende Erhöhung der Verkehrssicherheit, Verbesserung der Verkehrsqualität und der Fahrbahnstabilität des öffentlichen Verkehrs, Siedlungsgebiet vom motorisierten Individualverkehr entlasten, umwelt- und landschaftsverträgliche Linienführung und Gestaltung, sorgsamer Umgang mit dem Kulturland den Fruchtfolgeflächen, etappenweise Realisierung und Finanzierung des Projektes ermöglichen.» Er fügt noch an, dass die etappenweise Realiserung allerdings in rascher Reihenfolge stattfinden solle.
Nach Ausarbeitung der zwei Vorprojekte Variante «Null+» (Gesamtkos­ten 144 Mio. Franken) und Variante «Umfahrung» (647 Mio. Franken) – wobei sich letztere eng an die bereits in den 1970er-Jahren ausgearbeitete Umfahrungsstudie anlehnt – haben sich die übergeordneten Stellen jetzt nach Redimensionierung der Um- und Neubaustrecken um Burgdorf für eine Bestvariante entschieden, die nun weiterverfolgt wird. Um bedeutende Verluste an Kulturland zu vermeiden, kommt im Bereich Burgdorf die Variante Verkehrsmanagement statt Neubaustrecken zum Zug.
Seeber beziffert die jetzt errechneten Gesamtkosten auf 420,9 Mio. Franken, in denen die Kosten für die Sanierung des bestehenden Strassennetzes und die Umfahrungen enthalten sind. Auf Burgdorf/Lyssach entfallen 57,25 Mio. Franken, auf Oberburg 243,87 Mio. Franken, auf Hasle 119,78 Mio. Franken mit einem Faktor Unvorhergesehenes von plus/minus 10 Prozent. Die Finanzierung ist gesichert.
Für Hasle und Oberburg sind Umfahrungen vorgesehen, wobei vor allem Oberburg gemäss einer Verkehrszählung mehr Fahrzeuge als der Gotthard-Pass «erdulden» muss. Anfang 2019 findet eine zweite Mitwirkung statt. Die Bauarbeiten sollten in den Jahren 2020 bis 2022 stattfinden.

Etwas später – aber sie kommt
Thomas Sauter-Servaes, Mobilitätsforscher und Studiengangleiter «Verkehrssysteme» an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, nimmt die teilweise nicht ganz überzeugten beziehungsweise leicht überforderten Anwesenden mit auf seinen Ausblick in die Emmentaler Verkehrssituation unter dem Titel «Mobilität 2030 – das schnelle Ende der Strasse, wie wir sie kennen». Er skizziert die Mobilität von morgen anhand von selbstfahrenden Fahrzeugen, die zudem als individuell gestaltete «Relax­zonen» für Ausspannen oder Büroarbeiten genutzt werden können. Er kommt auf den nicht aufzuhaltenden Forscher- und Entwicklungsdrang der letzten Jahrhunderte zu sprechen, «als zahlreiche Weberfamilien nach Erfindung der Webmaschine ins Elend gestürzt sind, sich
aber gleichzeitig neue Berufe entwickelt haben». So werde sich die
hiesige Mobilität, bei der heute in der Schweiz statt von einem Fahrzeug von einem «Stehzeug» die Sprache sein müsste, drastisch wandeln. Personenwagen mit fünf Sitzen seien durchschnittlich von 1,1 Personen belegt. Ein Fahrzeug fahre im Durchschnitt weniger als eine Stunde pro Tag. «Volkswirtschaftlich ist das ein Auslaufmodell, gefragt ist digitalisierte Mobilität und eine breite Palette entsprechender Anbieter.»
Hier sind – von der breiten Öffentlichkeit noch kaum beachtet – bereits Entwicklungen im Gange, die eine flächendeckende Vernetzung von Verkehrssystemen sowie Bereichen im Privatleben, Kultur, Sport usw. beinhalten. «Daimler verkauft heute nicht mehr primär Neuwagen, sondern offeriert ganze Packages für diesbezügliche individuelle Bedürfnisse, die über das Smartphone oder spezielle Steuerungssysteme gehandhabt werden.»
Bei der anschliessenden Diskus­sion äussern verschiedene Anwesende Bedenken, dass «künftig der Mensch von der Wissenschaft beziehungsweise technischen Entwicklung abgehängt wird. Soziale und menschliche Probleme nehmen zu». Ein Gemeinderatsmitglied aus Trubschachen rügt, dass «der Verkehrswahnsinn und die zunehmende Mobilität das Dorf kaputt machen. Beschleunigung ist nicht alles». Der öffentliche Verkehr solle die Nebentäler im Emmental erschliessen.
Beim anschliessenden Apéro wird engagiert weiterdiskutiert.

Gerti Binz

 


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