Wie man Schneesportunfällen vorbeugt

  20.10.2020 Aktuell, Foto, Kultur, Burgdorf, Region

Übermorgen Donnerstagabend, 22. Oktober 2020, 19.00 Uhr, findet der nächste Publikumsvortag des Spitals Emmental statt. Das Thema diesmal: «Vorbereitung auf die Wintersaison: Wie beugt man Unfällen vor?» Dieser Anlass findet wegen der Coronapandemie als Videoübertragung statt. Der Link wird auf www.spital-emmental.ch
zu Beginn des Vortrags aktiviert. Während der Übertragung beantworten Dr. med. Taro Kusano und Susanne Neuenschwander-Blaser Fragen, die im Chat gestellt werden. Das Video wird später online auf der Website des Spitals aufgeschaltet.

«D’REGION»: Sie gestalten zusammen mit Dr. med. Taro Kusano am Spital Emmental via Videoübertragung den Publikumsvortrag «Vorbereitung auf die Wintersaison: Wie beugt man Unfällen vor?». Worauf legen Sie den Fokus?
Susanne Neuenschwander: Bei diesem Publikumsvortrag liegt unser Fokus auf dem Unfallrisiko bei Schneesportarten – und wie man vorbeugen beziehungsweise das Unfallrisiko reduzieren kann. So thematisieren wir Unfallursachen, entstehende Krafteinwirkungen beim Sport auf unseren Körper und welche Voraussetzungen man für ein unfallfreies Wintersportvergnügen benötigt. Natürlich sprechen wir auch über Behandlungen nach Wintersportverletzungen.
Dr. med. Taro Kusano: Wintersport und insbe­sondere Skifahren gehört bei uns in der Schweiz zu den beliebtesten Sportarten und wird von einer breiten Bevölkerung betrieben. Die Anforderungen an diese extremen Belastungen werden häufig unterschätzt. Oftmals sind wir zu wenig fit, was unsere Kraft und Ausdauer als auch unsere Koordination betrifft, um uns diesen Belastungen zu stellen. Daher resultieren häufig Verletzungen und Überbelastungen. Susanne Neuenschwander und ich besprechen daher die Gefahren und die möglichen präventiven Massnahmen, um solche Unfälle zu verhindern.

«D’REGION»: Was raten Sie Skifahrern und Snowboardern im Vorfeld der Wintersportsaison, um die nötige Bein- und Rumpfkraft zu erlangen und konditionell gut gerüs­tet zu sein?
Susanne Neuenschwander: Empfehlungen sind vom Fitnesszustand, den persönlichen physiologischen Voraussetzungen und anderen Parametern abhängig. Aus diesem Grund kann ein therapeutischer Rat nur individuell an die betreffende Person gerichtet werden. Man kann sich sehr gut vorstellen, dass man einer Person, die gerne einen sportlichen Ski fährt – sonst aber keinen anderen Sport betreibt und im Büro arbeitet –, eine andere Empfehlung erteilen muss als einem Skifahrer mit hohem Fitnessinteresse, der auch ausserhalb der Saison einen guten Fitnesstand aufweist und bei­spielsweise beruflich als Kurierfahrer auf dem Velo unterwegs ist.

«D’REGION»: Gibt es für Sie eine Erklärung, weshalb sich die meisten Unfälle auf der Piste um 11.00 und um 15.00 Uhr ereignen?  
Susanne Neuenschwander: Für die Häufung um 11.00 Uhr sind überfüllte Pisten in Verbindung mit unzureichendem Fahrkönnen als Unfall­ursache vorstellbar. Am Nachmittag würde ich die erhöhte Unfallgefahr eher der körperlichen Ermüdung zuordnen. Diesbezüglich ist eine aktive Achtsamkeit auf Ermüdungserscheinung am eigenen Körper notwendig und zu respektieren – auch wenn dafür mehrere Pausen eingelegt werden müssen oder sogar auf die letzte Fahrt verzichtet werden sollte.

«D’REGION»: Unterschätzen viele Skifahrer und Snowboarder die Tatsache, dass beim schnellen Fahren eine Verdoppelung der Geschwindigkeit ein Vierfaches an Beinkraft voraussetzt – oder ist neben mangelndem Gefahrenbewusstsein eine fehlende Schutzausrüstung Grund für Wintersportverletzungen?
Susanne Neuenschwander: Auch wenn es meines Wissens darüber keine gesicherten Daten gibt, ist dies wohl so anzunehmen. Persönlich habe ich den Eindruck, dass einige Skifahrer sich der wirkenden Kräfte nicht bewusst sind. Zumindest spricht dafür ein hoher Prozentsatz an Unfällen, welche ohne Fremdeinwirkung passieren.

«D’REGION»: Was geschieht, wenn in Adelboden jemandem beim Skifahren ein Bein bricht oder das Kreuzband reisst – werden solche Patienten mit der REGA ins nächste Spital, also nach Frutigen, geflogen oder können die Patienten wünschen, sie möchten zur Operation nach Burgdorf ans Spital Emmental geflogen werden?  
Dr. med. Taro Kusano: Wenn sich jemand auf der Piste im Skigebiet das Bein bricht oder jemandem das vordere Kreuzband reisst, ist meis­tens die Bergung mittels Schlitten oder sogar der REGA notwendig. Je nach Verletzungsbild erfolgt die Verlegung ins nächstgelegene Spital – in unserem Beispiel ist es Frutigen – für die Erstversorgung. Hier erfolgt dann die detaillierte Untersuchung und Diagnosestellung. Meistens ist aber nicht die sofortige operative Behandlung notwendig, sodass die Verlegung ins heimatnahe Spital wie beispielsweise nach Burgdorf möglich ist, sofern dies auch dem Wunsch des Patienten entspricht. Bei Kreuzbandverletzungen erfolgt die weitere Behandlung und Diagnostik meistens ambulant. Das heisst, der Patient kann von seinem Hausarzt für ein MRI und die anschliessende Besprechung sowie Therapieplanung in ein heimatnahes Spital wie beispielsweise das Spital Emmental zugewiesen werden. Dann sehe ich den Patienten bestenfalls innerhalb von drei bis sieben Tagen in meiner Sprechstunde. Die operative Behandlung – falls notwendig – erfolgt dann je nach Befund zeitnahe innerhalb ein bis drei Wochen nach dem Unfall oder noch später nach erfolgter primärer physiotherapeutischer Behandlung. Nicht jede vordere Kreuzbandruptur muss aber operiert werden.

«D’REGION»: Wie gehen Sie bei einer Kopfverletzung nach einem bösen Sturz in den Schnee vor – welches sind hier Ihre Sofortmassnahmen?
Dr. med. Taro Kusano: Die ersten Massnahmen bei einem Sturz auf den Kopf sind die lebenserhaltenden Massnahmen nach dem ABC-Schema. Dabei spielt die Stabilisierung der Halswirbelsäule eine wichtige Rolle. Anschliessend muss je nach Bewusstseinszustand oder neurologischen Symptomen der Transport in das nächstgelegene Spital durch­geführt werden, wo meistens dann eine Computertomografie und/oder eine Überwachung durchgeführt wird.

«D’REGION»: Wie häufig kommen Patienten nach Stürzen in den Schnee mit ausgekugelten Schultergelenken zu Ihnen – und wie gehen Sie mit den von argen Schmerzen geplagten Leuten vor?
Dr. med. Taro Kusano: Eine ausgekugelte Schulter sollte schnellstmöglich mit einer für den Patienten erträglichen Position des Armes ins nächstgelegene Spital gebracht werden, damit dort durch die Fachspezialisten die Schulter eingerenkt werden kann. Am Spital Emmental sehen wir daher weniger häufig diese Verletzung aus den grösseren Skigebieten. Dafür beurteilen meine Kollegen der Schulterchirurgie nach erfolgter Einrenkung der Schulter innerhalb von ein bis zwei Wochen nach dem Unfall heimatnahe am Spital Emmental.

«D’REGION»: Ihr Fachgebiet ist die Kniechirurgie. Bedeutet dies, dass Sie selber primär Operationen am Kreuzband und am Meniskus durchführen, während für andere Wintersportverletzungen wie solche an der Wirbelsäule oder an der Hand Ihre Arztkolleginnen und Arztkollegen die Operation übernehmen?
Dr. med. Taro Kusano: Ja, genau. Ich kümmere mich hauptsächlich um Sportverletzungen am Knie wie die vordere Kreuzbandruptur oder der Meniskusriss. Am Spital Emmental haben wir Spezialisten für jedes Gelenk, also Schulter- und Ellbogenchirurgen, Handchirurgen, Hüft-, Knie- und Fuss­chirurgen. So stellen wir die bestmöglichen Behandlungen für den Patienten sicher, wobei wir oft auch im Team operieren.

«D’REGION»: 90 Prozent der Unfälle ereignen sich ohne Fremdeinwirkung. Wenn nach einem Unfall  ein chirurgischer Eingriff nötig wird: Nach welchen Operationen ist nur eine kurze Physiotherapie und wann eine lange Rehabilitation mit der Physiotherapie angesagt?
Susanne Neuenschwander: Allgemein kommt es erst einmal auf das Verletzungsprofil an. Bei einfachen Knochenbrüchen mit komplikationslosem Verlauf ist es gut möglich, dass nach drei Monaten Rehabilitationszeit volle Arbeits- und Sportfähigkeit besteht. Hingegen benötigen Verletzungen wie jene am vorderen Kreuzband mindes­tens vier bis sechs Monate Therapie, um an einen körperlich anstrengenden Arbeitsplatz zurückzukehren – Back-to-Work beziehungsweise Back-to-Hard-Work – und bis neun und zwölf Monate, um Reaktivsportarten vollumfänglich wieder ausführen zu können, also Back-to-Sport.

«D’REGION»: Sportler können ihren Körper in der Physiotherapie des Spitals Emmental auf Kraft- und Koordinationsdefizite austesten lassen. Wie müssen Interessierte vorgehen?
Susanne Neuenschwander: Wir haben in der Physiotherapie aus wissenschaftlichen Arbeiten eine standardisierte Untersuchungsmethodik entwickelt, aus welcher wir – auf Literatur basierend und aus eigenen klinischen Erfahrungen – Funktionsdefizite erkennen können. Gesunde Hobbysportler können sich auch ohne ärztliche Verordnung unter Selbstkos­tenbeteiligung testen lassen und eine Trainingsempfehlung unserer Therapeuten erwarten. Die Anmeldung erfolgt via Sekretariat der Physiotherapie. Telefon 034 421 22 51, E-Mail physiotherapie@spital-­emmental.ch

Zu den Personen
Dr. med. Taro Kusano, Jahrgang 1976, ist Leitender Arzt Orthopädie am Spital Emmental. Er ist verheiratet und Vater von zwei Töchtern. An den Behandlungszentren Burgdorf und Langnau ist er seit 2012 als Facharzt FMH für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie mit Schwerpunkt Kniechirurgie tätig.
Susanne Neuenschwander-Blaser, Jahrgang 1982, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Sie ist seit 2008 Physiotherapeutin FH (Fachhochschule). Seit Juli 2014 ist sie am Spital Emmental Standortleiterin Physiotherapie in Langnau. Von 2010 bis 2014 war sie Sportphysiotherapeutin beim Frauen-Nationalteam U19 des Schweizerischen Fussballverbandes (SFV).

 

Hans Mathys


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