Ein Abschied mit einem lachenden und einem weinenden Auge

  18.11.2020 Aktuell, Foto, Oberburg, Politik

Rita Sampogna prägte die Gemeindepolitik in Oberburg in den letzten zwölf Jahren entscheidend mit. Im Jahr 2008 wurde sie im Alter von 38 Jahren für die Unabhängige Ortspartei Oberburg (UOP) in den Gemeinderat gewählt. Bereits vier Jahre später übernahm sie das Amt als Gemeinderatspräsidentin. Nach acht Jahren anspruchsvoller Arbeit in dieser Funktion verzichtete sie heuer bei den Gemeindewahlen auf eine erneute Kandidatur. Per Ende 2020 wird sie sich somit aus dem Scheinwerferlicht der kommunalen Politik verabschieden – und zwar mit einem lachenden und einem weinenden Auge, wie sie gegenüber der Zeitung «D’REGION» ausführt: «Ich übe das Amt als Gemeinderatspräsidentin noch immer mit grosser Motivation und Begeisterung aus. Der Abschied wird mir keineswegs leicht fallen – besonders die zahlreichen spannenden und bereichernden Begegnungen sowie die konstruktive Zusammenarbeit mit der Verwaltung und den Behördemitgliedern werde ich vermissen. Mein Bauchgefühl sagt mir allerdings, dass nach zwölf Jahren Engagement in der kommunalen Politik nun der richtige Zeitpunkt gekommen ist, um beiseitezutreten und Platz zu machen für frische Köpfe mit neuen Ideen und Inputs. Ich freue mich, in Zukunft mehr Zeit mit meiner Familie zu verbringen und Anlässe wieder als Privatperson zu besuchen. In den letzten Jahren wurde ich in der Öffentlichkeit stets als Gemeinderatspräsidentin wahrgenommen.»
Der Wechsel von der kommunalen in die kantonale Politik ist für Rita Sampogna zumindest gegenwärtig kein Thema, obwohl sie in der Vergangenheit bereits von verschiedenen Parteien für eine Kandidatur als Grossrätin angefragt wurde. «Als Mitglied einer Ortspartei schätze ich die offene und freie Diskussionskultur ungemein. Auch im Gemeinderat von Oberburg steht die Sachpolitik gegenüber der Parteipolitik klar im Vordergrund. Auf kantonaler Ebene hingegen nehmen Parteiparolen sowie die Fraktionsdisziplin einen weitaus grösseren Stellenwert ein. Dies bereitet mir eher Unbehagen.»

Gestaltungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene nutzen
In vielen Gemeinden – Oberburg bildet hierbei eine löbliche Ausnahme – bekunden die Parteien zunehmend Mühe, Bürger/innen für die Übernahme eines kommunalen Amtes, sei es in einer Kommission oder in der Exekutive, zu motivieren und zu begeis-tern. Die Gründe dafür sind vielfältig. Das lokale politische Engagement ist mit einem grossen Zeitaufwand und viel Verantwortung verbunden. Zudem ist die Hemmschwelle, sich zu exponieren, gross, da kontroverse Entscheidungen den Frieden im eigenen Wohnort beeinträchtigen können. Weiter erhält die Dorfpolitik in den Medien weitaus weniger Aufmerksamkeit als die kantonale oder nationale Politik und erscheint deshalb in den Augen mancher als unattraktiv und unbedeutend. Rita Sampogna sieht dies allerdings ganz anders: «Gerade auf Gemeindeebene bieten sich zahlreiche wichtige Gestaltungsmöglichkeiten, die das Zusammenleben direkt und nachhaltig prägen – die Entscheidung, ob ein neues Schulhaus gebaut oder in einem Quartier eine Tempo-30-Zone eingeführt wird, wirkt sich unmittelbar auf die Wohn- und Lebensqualität aus. Zudem fasst der Gemeinderat zahlreiche Beschlüsse, die nicht direkt sichtbar sind, aber dennoch einen grossen Einfluss auf die kommunale Entwicklung ausüben. In meiner Zeit als Gemeinderatspräsidentin wurden zwar keine grossen Bauten realisiert, dafür aber zahlreiche kleine Massnahmen umgesetzt wie die integrative Frühförderung, die Friedhofumgestaltung, die Mitwirkung am regionalen Ressourcenvertrag mit der Kantonspolizei, die Renovation des Kindergartens und die Modernisierung der IT in Schule und Verwaltung. All diese Mosaiksteine dienen dem Ziel, die Gemeinde attraktiver zu gestalten.»

«Anspruchsvoll, aber auch eine grosse Bereicherung»
Als besonders intensiv erlebte Rita Sampogna ihre ersten beiden Jahre als Gemeinderatspräsidentin. «Der Einstieg ins Amt mit dem Abschluss der Ortsplanungsrevision sowie der Sanierung der Finanzen durch tiefgreifende Sparmassnahmen und eine Steuererhöhung im Jahr 2014 waren für mich, aber auch den Gesamtgemeinderat, äusserst herausfordernd», erinnert sie sich. «Als Präsidentin trägt man die Gesamtverantwortung für die Gemeinde und muss teils auch schmerzhafte Entscheide fällen. Darauf kann man sich nicht gross vorbereiten, allerdings wächst man allmählich in die Aufgabe hinein und lernt durch gewonnene Erfahrungen ständig hinzu. Ich verfolge stets den Anspruch, über alle Bereiche und Geschäfte in sämtlichen Ressorts informiert zu sein und mir einen Gesamtüberblick zu verschaffen. Das sorgfältige Einlesen in die Materie bildet dabei das A und O. Repräsentationsaufgaben sind ein weiterer Kernbereich, den das Präsidentenamt mit sich bringt. Im Dorf präsent sein, bei Fragen kompetent Auskunft geben sowie die Mitarbeit in lokalen und überregionalen Gremien sind unabdingbar. Dadurch entsteht ein persönliches Netzwerk, das letztlich der Gemeinde zugute kommt. Mir ist es wichtig, Probleme nicht auszusitzen, sondern stets effizient an komplexe Aufgaben heranzugehen, Anfragen zeitnah zu beantworten, glaubwürdig, authentisch und fair zu sein und alle gleich zu behandeln. Dabei pflege ich einen dialogbereiten und transparenten Führungsstil. Ich habe nie versucht, meine Meinung gegen alle Widerstände durchzupauken, sondern ich habe bei der Suche nach bestmöglichen Lösungen stets die Argumente des Gegenübers miteinbezogen. Die Fähigkeit, Kompromisse zu schliessen, sowie Respekt und Toleranz sind matchentscheidend. Angesichts des hohen Zeitaufwandes war und ist der Spagat zwischen Politik, Familie und Beruf nicht immer leicht zu bewerkstelligen. Das Amt ist anspruchsvoll, aber auch eine grosse Bereicherung.»
 
Die Schattseiten
Neben vielen positiven und schönen Erlebnissen, die überwiegen, gibt es allerdings auch Situationen, die Rita Sampogna keineswegs vermissen wird. Dazu gehören ein mulmiges Gefühl vor den Gemeindeversammlungen, Telefonanrufe mit Beschwerden am späten Samstagabend oder am frühen Sonntagmorgen sowie die Frustration über gesetzliche Rahmenbedingungen – etwa im Bereich des Denkmalschutzes –, die sinnvolle Vorhaben verunmöglichen und sich nur schwerlich mit gesundem Menschenverstand in Einklang bringen lassen. Den Eindruck, aufgrund des weiblichen Geschlechtes als Gemeinderatspräsidentin einen besonders schweren Stand zu haben, ist bei Rita Sampogna nie entstanden. «Natürlich muss man sich in dieser Funktion behaupten können und ein gewisses Selbstbewusstsein ausstrahlen – dies gilt aber für Frauen genauso wie für Männer. In den vergangenen acht Jahren sah ich mich nur ein einziges Mal mit dem Klischee konfrontiert, an den Herd zu gehören. Dies liess ich natürlich nicht gelten. Dass ich auch Männer zu führen vermag, habe ich im Dorf bereits vor meiner Wahl als Gemeinderatspräsidentin als erste Oberturnerin des Turnvereins Oberburg unter Beweis gestellt», lacht sie.
 
Eine lebendige Gemeinde
An Oberburg schätzt Rita Sampogna besonders die Kombination aus städtischen und ländlichen Merkmalen, das schöne Naherholungsgebiet, den attraktiven Anschluss an den öffentlichen Verkehr, die vielseitigen Einkaufsmöglichkeiten, das innovative Gewerbe, die qualitativ gute Schule sowie das aktive Vereinsleben. In der Gemeinde kennt man sich und unterstützt sich gegenseitig: «Wenn es um wichtige Themen geht, stehen die Oberburgerinnen und Oberburger stets zusammen. Dies zeigte sich etwa eindrucksvoll bei der Rettung der Wirtschaft Steingrube, welche heute 438 Aktionärinnen und Aktionären gehört.» Ein grosses Kränzchen windet Rita Sampogna auch der Verwaltung. Diese arbeite effizient, bürgernah und innovativ. Sie zeigt sich überzeugt: «Wir sind eine lebendige Gemeinde, die gegenüber Neuerungen aufgeschlossen ist.» Rita Sampogna ist denn auch überzeugt, dass die Gemeinde Oberburg keineswegs in naher Zukunft von der Landkarte verschwinden wird. Eine Fusion mit Burgdorf sei gegenwärtig kein Thema und würde kaum Vorteile mit sich bringen: «Die punktuelle und sachbezogene Zusammenarbeit mit der Stadt läuft dagegen sehr gut, daran wollen wir natürlich festhalten.»

Projekt «Emmentalwärts»
Ein zentrales Thema in Oberburg ist die seit Langem geforderte Umfahrungsstrasse, welche die Ortsdurchfahrt vom Verkehr entlasten soll. Hierbei ist die Gemeinde natürlich auf die Unterstützung von Kanton und Bund angewiesen. «Das Projekt ‹Emmentalwärts›, die anvisierte Verkehrslösung für Burgdorf, Oberburg und Hasle, ist für uns von enormer Bedeutung», führt Sampogna aus. «Das massive Verkehrsaufkommen im Ortskern hemmt die wirtschaftliche Entwicklung und führt zu billigem Wohnraum, woraus tiefere Steuereinnahmen und eine höhere Sozialhilfequote resultieren.» Der Grosse Rat des Kantons Bern befindet 2022 über den Ausführungskredit. Die Bauarbeiten starten frühestens 2023. «Angesichts der finanziellen Auswirkungen der Coronakrise und der stärker werdenden Klimabewegung wird die Realisierung des Projekts nicht einfach», mutmasst die Gemeinderatspräsidentin.

Coronakrise
Ihr letztes Amtsjahr erlebt Rita Sampogna aufgrund der Coronakrise als herausfordernd. In der Gemeinde Oberburg formierte sich bereits im Frühjahr ein Krisenstab, welcher die Auswirkungen der nationalen und kantonalen Massnahmen auf der kommunalen Ebene berät. «Praktisch immer, wenn Bundes- oder Regierungsrat via Medienkonferenz informieren, treffen wir uns, um etwaige Konsequenzen zu besprechen», erläutert Sampogna die Vorgehensweise. «Dabei mussten wir auch schwierige Entscheide fällen – wie die Schliessung der gemeindeeigenen Infrastruktur für alle Vereine, obwohl uns die Förderung des Vereinslebens sehr am Herzen liegt. Angesichts der Pandemie hat die Gesundheit allerdings Priorität. Zudem wollen wir der Schule in dieser Situation möglichst viel Raum und Platz zur Verfügung stellen. Die Gemeindeversammlung, die Jungbürgerfeier und weitere Anlässe mussten wir absagen. Dies schmerzt mich, zumal mir der persönliche Austausch und der direkte Kontakt sehr am Herzen liegen. Eine Konferenz über eine Internetplattform kann die Begegnung nicht ersetzen.»
Ab 2021 wird Werner Kobel (SVP) die Nachfolge als Gemeinderatspräsident antreten. «Ich bin überzeugt, dass Werner hervorragende Arbeit leisten wird. Wichtig ist es, sich stets treu zu bleiben und sich auch ab und zu eine Auszeit zu gönnen», erklärt Rita Sampogna.

Markus Hofer


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