Reborn-Babys aus Burgdorf

  27.04.2021 Aktuell, Foto, Burgdorf, Gesellschaft

Menschen begegnen sich auf der Strasse und beim Einkaufen. Sie leben Tür an Tür, ohne viel voneinander zu wissen. Ihre Konversationen drehen sich häufig ums allgemeine Wohlbefinden oder sie lamentieren übers Wetter. Aber was sie in ihrer Freizeit tun, welchen Hobbys sie nachgehen, bleibt meist verborgen. «D’REGION» öffnet Haus- und Ateliertüren und berichtet über Menschen mit ganz speziellen Freizeitbeschäftigungen.
Diese Woche erzählt Beatrice Hügli über ihre handgearbeiteten Puppen, die Babys täuschend ähnlich sehen. «Kreativ sein zu können bedeutet mir viel, ich tauche in meine eigene Welt ein und sehr glücklich dann auch wieder daraus hervor», erklärte Beatrice Hügli ihre Freude am kreativen Hobby. Sie liebte bereits als kleines Mädchen das Zeichnen, Malen, Basteln und Modellieren und verbrachte viele Stunden beim Spielen mit ihren Puppen, aber auch mit Autos. Später kamen Stricken, Häkeln und Nähen dazu.
Als verheiratete Frau lebte sie mit ihrer Familie zwölf Jahre im Tessin. Die freie Zeit nutzte sie für kreatives Werken. Sie stellte für ihre beiden Töchter und den Sohn selbst Puppen her, strickte und nähte Puppenkleider. Nachdem sie im Internet zufälligerweise auf einen Bausatz für Reborn-Babys gestossen war, liess sie sich beraten. Sie vertiefte sich ins Thema und entwickelte mit Fantasie, Kreativität und Beobachtungsgabe ihren eigenen Stil. Später bot sie Kurse zur Herstellung solcher Puppen an. Da diese 2005 boomten, verkaufte sie nicht nur an Märkten im Tessin, sondern auch in der Deutschschweiz viele ihrer Kunstwerke. Mit dem Erwachsenwerden ihrer Kinder drückte sie nochmals die Schulbank. Sie absolvierte das Studium zur Lehrerin an der Pädagogischen Hochschule in Bern, wodurch ihr Hobby in den Hintergrund rückte. Nach erfolgreichem Abschluss ihrer Ausbildung findet sie wieder mehr Zeit für ihre liebste Freizeitbeschäftigung.

Von der Kunststoffpuppe zum Reborn-Baby
Auf dem Tisch lagen Arbeitsgegenstände ausgebreitet. Während Hügli über ihr kreatives und künstlerisches Hobby erzählte, zeigte sie die wichtigsten Materialien und Handgriffe, die nötig sind, um ein Reborn-Baby herzustellen.
Ein Bausatz enthält Extremitäten und Kopf aus Kunststoff sowie einen hautfarbigen Stoffkörper. Die Sets sind in verschiedenen Preisklassen erhältlich. Ein teureres Produkt sei nicht immer Garant für bessere Qualität, wie Hügli aus Erfahrung weiss. Es gäbe Künstler/innen, die Puppen mit schönen Details auf den Markt bringen, während andere schlechter ausgearbeitet seien. Für einige Sammler seien limitierte Puppen interessant.
Vor dem Bearbeiten werden die Einzelteile gewaschen. Danach beginnt das Auftragen der Spezialfarben auf Acrylbasis. Diese werden mittels Schwämmen aufgetupft. Um den gewünschten Farbton zu erzielen, sind bis fünfzehn Schichten nötig. Mit Beimischungen von andern Farbtönen erhält die Puppe rosigere Körperpartien, Schattierungen werden akzentuiert. Ist die richtige Tönung erreicht, wird diese fixiert. Mit feinen Pinseln bekommt die Puppe danach Details aufgemalt, persönliche Merkmale. Ein Punkt mit einem Glanzlack im Augenwinkel als Andeutung für eine Träne, eine Rötung am Öhrchen oder eine Hautveränderung an den Füsschen vervollständigen die Puppe, die immer lebendiger zu werden scheint.
Manchmal sind die Augen des Babys geschlossen. Wenn sie offen sind, schneidet Hügli mit einem feinen Skalpell die Augenhöhle auf und fixiert von der Kopfinnenseite her mundgeblasene Glasaugen – selten benutzt sie Acrylaugen – die in verschiedenen Grössen und Farben erhältlich sind. Sie studiert den Haaransatz eines Babys und skizziert diesen dezent auf den Puppenkopf. Echthaare brechen schnell, erklärte Hügli. Darum kauft sie als Haarersatz meist Mohairwolle, die sie strähnchenweise in die Hand nimmt. Sie zieht ein bis zwei Haare zusammen mit einer Spezialnadel in die Kopfhaut und versiegelt diese nach Fertigstellung der Frisur von der Kopfinnenseite aus. Gleich verfährt sie mit den Wimpern, die sie später kürzt. Diesen Arbeitsschritten geht eine lange Beobachtungsphase voraus. Sie studiert Fotos von Babys, kopiert Details, übernimmt Farbnuancen, wobei es ihr wichtig ist, nicht ein makelloses Objekt herzustellen, sondern ein lebensechtes.
Reborn-Babys unterscheiden sich auch im Gewicht von andern Puppen und sind demjenigen eines echten Babys ähnlicher. Sie sind deutlich schwerer, ihr Kopf muss gestützt werden. Um diesen Effekt zu erreichen, füllt Hügli die untere Partie von Armen und Beinen mit Glasgranulat, die obere mit Watte. Danach verschliesst sie die Extremitäten, bevor sie am Körper fixiert werden. Den Leib formt sie in verschiedenen Schritten mit Watte, Glas- und Softgranulat, das sie auf Wunsch der Kundschaft mit Babyduft behandelt.

Kundschaft: von der Puppenliebhaberin zum Sammler
Bei der Herstellung von Reborn-Babys steht für Hügli das Ausleben ihrer Kreativität im Vordergrund. Der Verkauf hat für sie Bedeutung, weil sie dadurch Platz schafft für neue Puppen. Diese erfreuen sich einer Beliebtheit bei Menschen weltweit, doch sie verkauft vorwiegend in der Schweiz. Das Alter der Interessierten variiere von aktuell sechs bis 89 Jahren. Für Kleinkinder seien sie jedoch nicht zu empfehlen.
Der Grund, warum Menschen eines ihrer Kunstwerke kaufen, liege nicht in ihrer Verantwortung. Sie fragt nicht danach, doch viele erzählen spontan, was sie zu einem Kauf bewogen hat. Die Wertschätzung, die sie häufig im Kontakt zur Kundschaft bekomme, wirke motivierend. Oft würden Reborn-Babys anhand von Fotos im Internet verkauft (www.reborn-atelier.ch), doch gelegentlich arbeite sie auf Bestellung. Einmal wünschte ein Mann eine Puppe, die nach Babyfotos ihres inzwischen erwachsenen Sohnes hergestellt werden sollte. Er überraschte damit seine Frau am Hochzeitsjubiläum. Auch an Altersheime konnte sie ihre Kunstwerke verkaufen. Erfahrungen haben gezeigt, dass Reborn-Babys für Demenzkranke beruhigend und entspannend wirkten. So wie Männer sich für Modelleisenbahnen interessieren, gäbe es Frauen, die Puppen sammeln. Für einige seien diese ein Enkelkinderersatz, für andere eine Motivation, Babykleidchen zu stricken oder zu nähen. Ein junges Paar, das aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen keine eigenen Kinder haben sollte, konnte mit dem Kauf eines Reborn-Babys ein Familienleben nach seiner Vorstellung leben. Es gäbe Menschen, die kostbare Bilder sammeln oder Schnupftabakdosen. Andere interessieren sich für wertvolle Puppen. Die Verkaufspreise in diesem Kunstbereich variieren von 250 bis 800 Franken, doch die Arbeitsstunden könnten damit nicht wirklich vergütet werden.
Hügli freut sich, als Lehrerin zu arbeiten. Ihrem Hobby will sie sich wieder vermehrt widmen, denn daraus schöpft sie Energie, die sie durch den Alltag trägt.

Helen Käser


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