1,85 Millionen Franken für eine frühere Badstube

  26.05.2021 Aktuell, Foto, Kultur, Burgdorf, Gesellschaft, Region

Der Burgerrat schreibt in seiner Botschaft zur Kreditgenehmigung für das Sommerhaus, dass eine Zustandsanalyse einen Sanierungsbedarf der Gebäudetechnik, insbesondere im Bereich der Lüftung, aufzeigt. Der heutige Zustand habe eine ernst zu nehmende Zunahme des Brandrisikos im Dachstock zur Folge. Neben diversen Sanierungsmassnahmen soll auch die Fassade eine Auffrischung erfahren. Vorgesehen sind weiter der Rückbau der Kegelbahn, die Entrümpelung der Kellerräume, die Verbesserung der Zugangsverhältnisse seitens der Terrasse sowie der Einbau einer zusätzlichen Kühlzelle.

Kulturhistorisch bedeutsam
Für den Burgerrat ist das Sommerhaus nicht nur eine weitere Gastwirtschaft in seinem Immobilienportefeuille, sondern ein kulturhistorisches Juwel mit bedeutender Vergangenheit.
In seinem Buch «Die Kunstdenkmäler des Kantons Bern: Die Stadt Burgdorf» schreibt der ehemalige Denkmalpfleger Dr. Jürg Schweizer: «1650 erlangte Metzger Melchior Stähli die Konzession, bei seinem Sommerhaus oberhalb der Hauptstrasse ein Bad mit sechs Badkästen zu errichten. In der Folge wurde dieses namentlich vom Nachbesitzer Andreas Grimm um 1713 erweitert. 1775 zog die Stadt das Bad an sich und liess es durch die Werkmeister Kupferschmid und Stähli gründlich erneuern und zur heutigen Form erweitern.»
Laut Michael Bösiger, Inhaber und Geschäftsführer des Burgdorfer Architekturbüros Giraudi und Partner AG, ist die Burgergemeinde Burgdorf seit dem 2. Juni 1775 Besitzerin des Sommerhauses. Er weist auf einen Kaufentscheid von «Rät und Burgern» (heute Gemeinde- und Stadtrat) hin, denn damals wurden die politischen Belange von einem kleinen Kreis burgerlicher Familien ausgeübt. Erst 1833 wurde die Gemeindedualität in Einwohner- und Burgergemeinde durchgesetzt. Bösiger geht davon aus, dass «mit dem Ausscheidungsvertrag von 1853 das Sommerhaus der Burgergemeinde zugeordnet wurde».

Für alle zugänglich
Laut Michael Bösiger ist es seit fast 250 Jahren ein Bestreben des Burgerrates, die Zugänglichkeit des Äusseren Sommerhauses für die gesamte Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Das bedeutete anfangs den Zugang zum Bad für die Städter, später den Zugang zum Gasthof für Gross und Klein von nah und fern. Der heutige Burgerrat schliesst an diese Tradition an und empfiehlt die hohe Investition von 1,85 Millionen Franken, um den Betrieb des Landgasthofes auch in Zukunft aufrechterhalten zu können.
In diesem Zusammenhang weist der Burgerrat auf die vermehrte Schliessung von Gasthöfen in der Region und in Burgdorf (Emmenhof, Landhaus, Freischütz) hin. Er ist überzeugt, mit diesem Engagement für das Sommerhaus die Vielseitigkeit der Burgdorfer Gastronomie aufrechterhalten zu können.
In den vergangenen Jahren wurde von Juni 1962 bis Frühjahr 1964 ein grosser Um- und Erweiterungsbau mit Saal, Terrasse und Parkplätzen realisiert. Von 2008 bis Frühjahr 2009 umfasste der damalige Umbau den neuen Eingangsbereich mit IV-WC, Toilettenanlage, den Einbau einer Pelletheizung und die Küchenerweiterung im rückwärtigen Hof.

Mehrere bedeutende «Baustellen»
Seit einigen Jahren zeichnet sich laut Bösiger «wieder Handlungsbedarf im Küchenbereich ab; die ungenügenden Druckverhältnisse im Lüftungsbereich, Unterdruck in der Küche und Geruchs­immissionen erschweren die Arbeitsabläufe». Fehlfunktionen der Gebäudetechnik sowie die längst abgelaufene Lebensdauer von Anlageteilen sind gemäss Bösiger für die heutige Situation verantwortlich und er betont, dass «im Idealfall so ein Umbau auf den Zeitpunkt eines Pächterwechsels angesetzt wird, da ein längerer Betriebsunterbruch die Folge ist. Das war bereits 1962 und 2008 der Fall.»
Bösiger rechnet mit einer Bauzeit von circa neun Monaten für die nachfolgend aufgeführten Arbeiten. «Der Hauptfokus bei der Erneuerung der Gebäudetechnik liegt auf der Lüftungsanlage, wobei die heute aktive Anlage komplett erneuert und in der Steuerung optimiert werden wird. Das bedeutet den völligen Rückbau der alten Anlage inklusive der inaktiven Anlageteile. Die neue Lüftungsanlage wird im leeren Raumvolumen des grossen Dachstockes installiert.» Infolge der Neuinstallation ergeben sich Eingriffe beim Dach, das derzeit einen grossen Unterhaltsbedarf aufweist. Um Synergien zu nutzen (Betriebsunterbruch, Baugerüst, Eingriffe beim Dach, Einbau der Monoblöcke für die Lüftungsanlage), sind die Unterhaltsarbeiten an Dach und Fassade des Hauptgebäudes ebenfalls in die Umbauarbeiten eingeplant worden.
Schliesslich ist eine Bereinigung und das Freispielen von vorhandenem Raumvolumen im Untergeschoss des Saales vorgesehen. Bösiger betont, dass «eine zusätzliche Erweiterung an das Gebäude durch die örtlichen Gegebenheiten sehr schwierig ist. Der Raum der ehemaligen Kegelbahn (Untergeschoss des Saals und der stirnseitigen Terrasse) wird bis auf den Rohbau zurückgebaut und neu mit einer innen liegenden Wärmedämmung energetisch verbessert.» Es ist vorgesehen, im neu gewonnenen Raumvolumen eine – für einen heutigen Gastrobetrieb zwingend notwendige – Kühlzellenanlage einzubauen.

Willkommener Geldsegen
Auf die Frage nach der Vergabe der anstehenden Bauarbeiten im Betrag von 1,85 Millionen Franken präzisiert Michael Bösiger: «Die Auftragsvergabe erfolgt durch eine Submission der einzelnen Bauabschnitte. Mehrheitlich laden wir lokale und regionale Unternehmungen zur Offerteingabe ein. Falls eine Arbeitsdisziplin regional nicht vorhanden ist, wird der Unternehmerkreis ausgedehnt.» Er betont, dass es dem Baugewerbe derzeit sehr gut gehe und eine eigentliche Arbeitsbeschaffung durch die Burgergemeinde nicht notwendig sei. Indirekt habe die COVID-19-Krise jedoch Auswirkungen auf die Beschaffung von Rohstoffen.
Abschliessend weist Bösiger auf einen ganz speziellen, historischen Schatz aus Stein hin: ein auf den ersten Blick eher unscheinbares Bänkli von 284 Jahren: «Es befindet sich neben dem Weg vom oberen Parkplatz Richtung Sommerhaus kurz vor dem Kinderspielplatz mit Blickrichtung Stadt. Der damalige Sommerhaus-Besitzer Andreas Grimm (1677–1773) hat es erstellen lassen. Ursprünglich stand es entlang des Verkehrsweges unterhalb des Gebäudes und wurde 1882 versetzt. 1948 ist das Bänkli in Stand gestellt und 2015 saniert worden.»
Dieses Bänkli ist eines der wenigen erhaltenen Zeitzeugen, gemäss denen das Äussere Sommerhaus ursprünglich ein Bad gewesen ist. Die Inschrift lautet wie folgt: «Dem lieben Vrauwen Volck, so sich im Bad ergetzt, ist dieser Stein allhier zur Ruh und Lust gesetzt.»
Die Sanierung ist für die Burgergemeindeversammlung von heute Mittwoch, 26. Mai 2021, traktandiert. Voraussichtlich wird der Kredit mit grossem Mehr genehmigt.

Gerti Binz

 

Wechselhafte Geschichte seit 1571
Der Unternehmer und Kunsthistoriker Alfred G. Roth schreibt 1964, dass bereits 1571 der Grasswil-Vogt Jakob Häberli das Land zwischen den zwei Strassen – dem alten «Leuen» und der Landstrasse in den Aargau – von der Stadt Burgdorf für 430 Pfund Pfennige (ca. Fr. 30 000.–) gekauft hat. Wie ihm der Kauf gelungen ist, kann nicht mehr eruiert werden. Laut Roth muss Häberli ein initiativer Mann gewesen sein, denn 1590 wird er zum Venner gewählt und übernimmt nach dem vorzeitigen Tod des Schultheissen Haller 1592 dessen Amt als Statthalter. Auf ihn folgt Burgermeister Oswald Trachsel (1577–1634), ebenfalls ein späterer Besitzer besagter Parzelle.
Aktenkundig ist überliefert, dass Melcher Stälj 1659 die erste Badkonzession erhält. Der 51-jährige Stähli ist Metzger, hat als Grossweibel und Vogt des Niederen Spitals gewirkt und ist seit 1657 Vogt des benachbarten Siechenhauses. Es ist bekannt, dass in Burgdorf «je eine Badstube oben wie unten zu hygienischem Gebrauch vorhanden gewesen ist. Doch nach den Schrecken des Dreissigjährigen Krieges, verschiedener Kriege und Pestepidemien drängt das Bürgertum aus den engen und finsteren Stadtmauern ins Freie. Es lockt weniger die medizinische Heilkraft der Sommerhausquelle als vielmehr die hygienische, verbunden mit Entspannung in der Natur, fern von kleinbürgerlichem Getriebe und den Augen sittenstrenger Nachbarn.»

Der Geldstag droht
Als nächster Besitzer wird Apotheker Johann Rudolf Grimm (1634–1701) genannt, dem sein Sohn Andreas (1677–1773) folgt. Letzterer lässt das Bad grösser und bequemer einrichten, nachdem er von der Stadt zusätzlichen Umschwung gekauft hat. Wann die Liegenschaft an Metzger Emanuel Aeschlimann (verstorben 1746) verkauft worden ist, bleibt offen. Gesichert ist hingegen, dass am 24. März 1775 J. J. Schnell als Vogt (Beistand) der Witwe und alt Sommerhauswirtin Margritha Aeschlimann dem Rat der Stadt mitteilt, dass Gefahr besteht: Seine Schutzbefohlene werde durch Betreibung in Geldstag geraten. Als Erbin ihres lange verstorbenen Mannes ist sie Besitzerin des Bades geworden. Infolge unglücklicher familiärer Verhältnisse häufen sich die Probleme, das Badhaus und ihr Hauswesen geraten in Unordnung.
Jetzt schlägt die Stunde der hilfreichen Burgdorfer. Der Rat ordnet laut Roth «sogleich Augenschein und Gutachten an». Vier Wochen später beschliesst er, der Versammlung von «Rät und Burgern» (heute Gemeinde- und Stadtrat) zu empfehlen, dieses Gut um einen gewissen Preis kaufweise anzunehmen. Am 5. Mai 1775 treten «Rät und Burger» auf das Geschäft ein. Vogt Schnell erhält den Auftrag, angesichts wachsender Schäden an den Gebäuden die allernötigsten Reparaturen erledigen zu lassen. Am 2. Juli 1775 wird der Kauf des Sommerhauses für 8000 Pfund (1963 etwa Fr. 120 000.–) verurkundet. Wahrscheinlich ist das Sommerhaus beim Ausscheidungsvertrag von 1853 der Burgergemeinde zugeschlagen worden. gb

 


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