Ist die Altersplanung im Emmental ein Auslaufmodell?

  26.05.2021 Aktuell, Foto, Gesellschaft, Region, Politik

Die Regionalkonferenz Emmental (RKE) ist ein Zusammenschluss von 39 Gemeinden des Verwaltungskreises Emmental mit einer Einwohnerschaft von knapp 97 000 Personen. Die Regionalkonferenzen dienen der verbindlichen regionalen Zusammenarbeit der Gemeinden. Dazu gehört auch die vertiefte Auseinandersetzung mit der regionalen Altersplanung.

Viel Aufwand – dann das Aus
Entsprechend enttäuscht zeigen sich laut Beat Singer, Präsident Kommission Altersplanung RKE, die 39 Gemeinden, da bereits Mitte 2020 die regionale Altersplanung Emmental nach beträchtlichem Arbeitsaufwand abgeschlossen werden kann und Anfang 2021 unerwartet die Mitteilung des Kantons eintrifft, er werde die Leistungsvereinbarung auslaufen lassen. Als der Kanton 2012 den Auftrag für eine regional geplante Altersvorsorge erteilte, regelte ein Leistungsvertrag die finanzielle Seite. Entsprechend bezeichnet Singer «die Herausforderungen der kommenden Jahre als gross; deren Bewältigung ist nur in sorgfältig geplanter, koordinierter Form möglich».
Peter Dolder, Verfasser des Regionalen Altersberichtes Emmental, erläutert den zahlreichen Anwesenden das Resultat, gemäss dem die jetzt aktualisierte Altersplanung als Grundlage für die Ausarbeitung der regionalen Versorgungsangebote und zur Steuerung weiterer Entwicklungen diene. Laut Dolder sind «wichtige Handlungsbereiche strukturell auf der Ebene von Regionen und Gemeinden angesiedelt». Zu den alterspolitischen Perspektiven zählt die Zunahme der Lebenserwartung mit entsprechend höherem Pflegebedarf, wobei der Hilfebedarf markanter steigen wird. «Bis 2045 rechnen wir mit überproportional steigenden Zahlen. Die informelle Hilfe durch Angehörige und Freiwillige nimmt zu.»
Das Versorgungssystem der Pflegebedürftigen könne an seine Grenzen stossen. Derzeit verfügt die Region über 1372 bewilligte Betten in Pflegeheimen, weitere knapp 300 sind im gesamten Emmental in Planung. «Die kantonale Plafonierung der Heimplätze von heute ausgeschöpften 15 000 Betten führt zu einer Abnahme der Betten», hält Dolder fest. Trotzdem ist die Zugänglichkeit zu den Heimbetten auch für wirtschaftlich Schwache gewährleistet.
«Immer mehr Betagte wollen zu Hause leben, hauswirtschaftlich unterstützt, gepflegt und hausärztlich betreut werden. Daher sind Versorgungsengpässe absehbar.»

Ergänzende Angebote in Heimen
Dolder findet deutliche Worte zum Thema «Entlastungsbetten»; das bestehende und geplante Angebot sei ungenügend, eine Verbesserung dringend nötig. Das derzeitige Angebot für Wohngruppen von an Demenz Erkrankten entspreche zwar dem kantonalen Mittel, trotzdem bestehe bei der Betreuung Handlungsbedarf.
Das von Senioren zunehmend gewünschte Wohnen mit Dienstleis­tungen beläuft sich auf 360 Wohneinheiten; weitere zusätzliche 260 sind angemeldet. Die Versorgungsgrade, bezogen auf die Zahl der 80-Jährigen und Älteren, weichen laut Dolder stark von einander ab: oberes Emmental 16 Prozent, unteres Emmental 9,8  Prozent, mittleres Emmental 4,5  Prozent. Er sagt, dass «nur wenige bezahlbare Angebote für Bezüger von Ergänzungsleistungen vorliegen».
Vier mittelgrosse Spitex-Organisationen mit Versorgungspopulationen zwischen 21 000 und 31 000 Einwohnern sind im Raum der Regionalkonferenz tätig und bieten versorgungsnotwendige Leistungen an. Die Nachfrage nach ambulanten Pflegeleistungen wird entsprechend der zunehmenden Lebenserwartung weiter steigen. Laut Dolder «wird sich die RKE für verbesserte finanzielle Rahmenbedingungen und die Beibehaltung der Versorgungspflicht einsetzen».
Beat Singer erläutert den Anwesenden chronologisch die Vorarbeiten für eine gemeinsame Altersplanung bis Anfang 2021, nachdem am 15. Mai 2012 ein Schreiben des Kantons «keine Zuteilung von Betten vom grünen Tisch aus» angekündigt hat. Nach Auslaufen des Leistungsvertrags hat Regierungsrat Pierre Alain Schnegg bei einem persönlichen Gespräch vom 1. März 2021 seine Teilnahme am Regio Day und dringend gewünschte Erklärungen zugesichert.

Weg frei für Verbesserungen
Schnegg kommt auf die Reorganisationen in seinem Departement und die sich daraus ergebenden Umstrukturierungen zu sprechen. Um eine integrierte Versorgung der Senioren zu fördern und gegebenenfalls neue Wege gehen zu können, habe er die Leistungsvereinbarung auslaufen lassen. Das soll helfen, Verbesserungen wie die Pflegefinanzierung im System zu verankern. Demnächst sollen Verhandlungen starten, ab 1. Januar 2022 stellt er vierjährige Verträge mit Planungssicherheit in Aussicht.
Der Regierungsrat kommt auf die Belastungen der Bevölkerung infolge der Coronapandemie zu sprechen, «auf fehlende menschliche Kontakte und die lange Zeit der Einsamkeit, die vor allem für ältere und alte Menschen sehr belastend ist: 30  Prozent unserer Mitmenschen sind 65 Jahre alt oder älter, eine Million über 80 Jahre alt. Im Kanton Bern trifft das auf über 33 Prozent der Bewohnerschaft zu, um die wir uns kümmern müssen.» Die Lebenserwartung (2019) für Männer beträgt 81,9 Jahre, für Frauen 85,6 Jahre. Die sich ergebenden Probleme gelte es gemeinsam anzugehen, wobei den ambulanten Diensten der Vorzug vor stationären zu geben sei. Grosse Bedeutung komme der Nachbarschaftshilfe zu. Er schliesst sein Referat mit den Worten: «Das Beste für die älteren Leute, die dieses Land aufgebaut haben.»

Gerti Binz

 


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