Die FDP Schweiz will bei den Wahlen 2023 zulegen

  25.10.2022 Aktuell, Foto, Burgdorf, Gesellschaft, Region, Politik

Am vergangenen Samstag, 22. Oktober 2022, lancierte die FDP an der Delegiertenversammlung in der Markthalle in Burgdorf den Wahlkampf für die Parlamentswahlen 2023, die genau in einem Jahr am 22. Oktober 2023 stattfinden. Die Liberalen verfolgen dabei ambitionierte Ziele: Sie wollen gemäss Parteipräsident und Ständerat Thierry Burkart prozentual zulegen, die SP überholen und zur zweitstärksten politischen Kraft in der Schweiz avancieren. Zur Erinnerung: Bei den Nationalratswahlen 2019 lag die FDP mit einem Wähleranteil von 15,11 Prozent auf dem dritten Rang, hinter der SVP mit 25,59 Prozent und den Sozialdemokraten mit 16,84 Prozent sowie relativ knapp vor den Grünen, die damals 13,2 Prozent der Stimmen auf sich vereinten.

Burgdorf – die Wiege des Liberalismus im Kanton Bern
Die Delegiertenversammlung, bei der sich die Parteiprominenz der Liberalen aus der ganzen Schweiz traf, startete zu den mitreissenden Klängen des «Pirates of the Caribbean»-Sound­tracks und vermittelte mit einer dynamischen Lichtshow Aufbruchsstimmung. Die Burgdorfer Nationalrätin Christa Markwalder, welche die rund 900 Anwesenden begrüsste, zeigte sich stolz, dass der Wahlkampf der Partei in ihrer Heimatstadt eröffnet wird. Die Emmestadt sei die Wiege des Liberalismus im Kanton Bern – von Burgdorf breitete sich in den Jahren 1830 / 1831 das Feuer der liberalen Revolution im gesamten Kanton aus. Die 47-jährige Christa Markwalder, die in diesem Jahr Mutter wurde, verzichtet im kommenden Jahr auf eine erneute Kandidatur als Nationalrätin. Sie versicherte den Delegierten aber, dass die Partei alles geben werde, um ein hervorragendes Ergebnis zu erzielen.

Eine Richtungswahl
Thierry Burkart, der das Präsidium der FDP Schweiz vor rund zwölf Monaten als Nachfolger von Petra Gössi übernommen hat, schwor die Anwesenden auf einen intensiven Wahlkampf ein. Im vergangenen Jahr habe die FDP auf nationaler Ebene vieles erreicht. Es sei ihr immer wieder gelungen, in der Sicherheits-, Energie- und Wirtschaftspolitik Akzente zu setzen und wichtige Themen zu lancieren. In den Kantonalparteien spüre er ebenfalls grosses Engagement und erlebe eine starke Aufbruchsstimmung. «Das liberale Feuer brennt lichterloh!», so Burkart. Diesen Schwung müsse die Partei nun nutzen, denn die nächsten zwölf Monate seien für die Zukunft der Schweiz entscheidend: «Die eidgenössischen Wahlen 2023 sind Richtungswahlen. Denn jede Bürgerin und jeder Bürger muss sich die Frage stellen, wie sich die Schweiz angesichts der aktuellen Verwerfungen, Kriege und Krisen positionieren soll.»

Fundamentale Auseinandersetzung zwischen demokratischen und autokratischen Systemen
Der Krieg in der Ukraine führt uns gemäss Burkart deutlich die Fragilität von Frieden und Sicherheit in Europa vor Augen. Demokratie und Liberalismus seien angesichts der fundamentalen Auseinandersetzung zwischen demokratischen und autokratischen Systemen, zwischen Rechtsstaatlichkeit und Willkür in Gefahr. Die FDP sei entschlossen, Flagge zu zeigen und für Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung einzustehen: «Das ist kein Verstoss gegen die Neutralität, denn die Schweiz war nie gesinnungsneutral. Die Ukraine als souveräner Staat hat das Recht auf Selbstverteidigung.» Appeasement-Forderungen, die aus den Reihen der SVP und der GLP zu hören sind, bezeichnete Burkart als gutgläubig oder schlicht als naiv. «Denn Appeasement-Politik hat immer zur simplen Belohnung des Stärkeren geführt – und das kann nicht im Interesse des Kleinstaats Schweiz liegen.» Winston Churchill habe dies mit folgender Aussage auf den Punkt gebracht: «Ein Appeaser ist einer, der das Krokodil füttert in der Hoffnung, dass es ihn zuletzt frisst.»

Sanktionen und Wehrhaftigkeit
Burkart verteidigte die Übernahme der EU-Sanktionen gegen Russland angesichts des eklatanten Völkerrechtsverstosses als vereinbar mit der Neutralität – denn diese sei kein Selbstzweck, sondern ein Mittel zur Erhaltung der Sicherheit unseres Landes. Hätte die Schweiz nicht angemessen auf die Invasion Russlands reagiert, wäre ihre Glaubwürdigkeit in der westlichen Welt untergraben worden.
Zugleich zeige der Krieg in der Ukraine die Bedeutung einer Armee, die in der Lage sei, ihren Verteidigungsauftrag zu erfüllen. In diesem Zusammenhang plädierte der Präsident der FDP für eine engere Zusammenarbeit mit der NATO. Die armeekritische Haltung der links-grünen Parteien sei schon immer ein Irrtum gewesen, mute in der heutigen Zeit aber geradezu grotesk an. Wer sich für eine Schweiz einsetze, die eindeutig zu Werten wie Demokratie, Liberalismus, Rechtsstaat und Menschenwürde stehe und bereit sei, diese im Notfall zu verteidigen, müsse die FDP wählen.

Strommangellage: «Politikversagen erster Güte»
Bezüglich der Energie- und Strompolitik forderte Burkart «mehr Realitätssinn und weniger Traumtänzerei». Die Unsicherheit, ob im Winter genügend Strom zur Verfügung stehe, führte er auf ein «Politikversagen erster Güte» zurück. Die FDP schliesse zugunsten einer sicheren Stromversorgung keine Technologien aus. Der Ausstieg aus der Atomkraft und parallel dazu die Einhaltung der Klimaziele seien unmöglich zu bewerkstelligen – zumal eine wachsende Bevölkerung, eine florierende Wirtschaft und die Reduktion von CO2-Emissionen immer mehr Strom benötigen. Burkart sprach sich für einen «breiten Mix der verschiedenen Energieträger» und eine Vereinfachung für die Verfahren bei erneuerbaren Energien aus.

Attacke gegen Links-Grün
Um gute Rahmenbedingungen für eine innovative Wirtschaft und einen herausragenden Forschungsstandort Schweiz zu gewährleisten, benötige es liberale Reformen. Burkart geisselte Regulierungsflut und Bürokratie und betonte, dass lediglich freie Märkte Arbeitsplätze sicherten. Ein starker interventionistischer Staat schaffe immer wieder neue Probleme, welche weitere Eingriffe erfordern. Daraus resultiere dann ein Teufelskreis. Heftig attackierte Burkart die Positionen der Sozialdemokratie und der Grünen. Diese möchten die Schweiz zu einem Erziehungs- und Umverteilungsbiotop umformen und arbeiteten darauf hin, der gesamten Bevölkerung den von ihnen definierten Lebensstil aufzuzwingen. Der FDP-Präsident grenzte sich aber auch von der SVP deutlich ab, welcher er vorwarf, eine Reduit-Schweiz heraufzubeschwören und die Zeichen der Zeit zu verkennen. Das Motto der FDP für das kommende Jahr umriss er pathetisch mit folgenden Worten: «Gemeinsam kämpfen – gemeinsam siegen. Für Freiheit und Verantwortung, Gemeinsinn und Fortschritt! Für unser wunderbares Land!»

Weitere Programmpunkte
Neben Burkart traten unter anderem auch Ferghane Azihari, liberaler Publizist und Philosoph aus Frankreich, sowie Kaspar Villiger, alt Bundesrat, ans Rednerpodium. Der ehemalige Vorsteher des Militär- und Finanzdepartements hielt ein Referat zum Thema «Sicherheit durch Resilienz». Bezüglich der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen hielt er Folgendes fest: «Wenn wir unseren Wohlstand langfristig sichern wollen, ist es wichtiger denn je, die Rahmenbedingungen für unsere Wirtschaft, und zwar für die kleinen wie die grossen Unternehmen, permanent zu verbessern, statt zu verschlechtern. Sonst könnte der Wohlstandsesel Wirtschaft im zunehmend garstigen Umfeld eines Tages bocken statt ziehen.»
Vorgestellt wurden weiter die von den FDP-Frauen eingereichte Volksinitiative «Für eine zivilstandsunabhängige Individualbesteuerung (Steuergerechtigkeits-Initiative)» sowie die von den Jungfreisinnigen lancierte «Renten-Ini­tiative», welche zur Sicherung der Altersvorsorge unter anderem das Rentenalter 66 für beide Geschlechter sowie später eine Kopplung an die Lebenserwartung vorsieht. Zudem wählten die Delegierten die 36-jährige Tessinerin Alessandra Gianella einstimmig zur neuen Vizepräsidentin der FDP Schweiz.

Talk mit den FDP-Bundesräten
Einen Höhepunkt für die Delegierten stellte natürlich das Interview von Thierry Burkart mit Bundespräsident Ignazio Cassis und Bundesrätin Karin Keller-Sutter dar. Der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten berichtete unter anderem von seinem Besuch in Kiew am vergangenen Donnerstag und seinen Eindrücken aus dem Kriegsgebiet. Das Leiden und die Unsicherheit der Bevölkerung seien gross. Der Winter stehe vor der Tür. Die Temperaturen seien mittlerweile auf beinahe null Grad gefallen. 35 Prozent des Stromnetzes seien zerstört. Mit humanitärer Hilfe leiste die Schweiz in dieser Situation einen wichtigen Beitrag. «Oftmals vergessen wir in unserem Land, wie gut es uns eigentlich geht», sinnierte Cassis. «Diese Situation ist allerdings nicht gottgegeben. Wir müssen Sorge tragen, dass dies so bleibt. Weiter sollten wir uns solidarisch zeigen mit der ukrainischen Bevölkerung – sei dies vor Ort oder hier im Umgang mit den Schutzsuchenden.»

Hybride Kriegsführung
Karin Keller-Sutter, Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, lobte die Behörden für die bisherige Bewältigung der Flüchtlingsbewegung aus der Ukraine. 66 000 Menschen hätten bisher in der Schweiz Schutz gefunden. Über den Winter werde diese Zahl voraussichtlich weiter steigen. Parallel dazu sei gegenwärtig eine grosse Migrationsbewegung auf der Balkanroute festzustellen. Auf Druck der Schweiz und weiterer europäischer Staaten verlange Serbien neu ein Visum für Bürger/innen aus Burundi und ab dem 20. November 2022 für tunesische Staatsangehörige. Mit diesen Massnahmen werde hoffentlich eine gewisse Entspannung einhergehen. Bundesrätin Keller-Sutter stellte klar, dass Russland eine hybride Kriegsführung betreibe. Mittlerweile sind sieben Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer nach Europa geflohen. Die Belastung und die Herausforderungen seien gross. Die Bundesrätin fürchtet, dass die Flüchtlingsströme, mit denen die europäischen Staaten konfrontiert sind, bewusst geschürt werden, um Zwietracht zu säen und innenpolitische Spannungen auszulösen.
Die beiden Bundesräte versicherten, liberales Gedankengut weiterhin hochzuhalten. «Bürgerlich-liberale Politik verlangt Mut und Willen, erwachsen zu sein. Die Zeit der Luftschlösser ist definitiv vorbei. Mein Kompass, an dem ich mich orientiere, lautet: privat vor staatlich, erwirtschaften vor verteilen und Freiheit vor Gleichheit.»
Der Wahlkampf für die eidgenössischen Wahlen 2023 ist also definitiv eröffnet.

Markus Hofer


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