Wenn Harn- und Nierensteine zur Qual werden

  25.10.2022 Aktuell, Gesellschaft

Am Mittwoch, 2. November 2022, 19.00 Uhr, findet im Kurslokal des Spitals Emmental in Burgdorf der Publikumsvortrag unter dem Titel «Quälgeister Harn- und Nierensteine: moderne Behandlung und Vorbeugung von Steinleiden» statt. Referenten sind der Chefarzt Urologie, Dr. med. Harald Voepel, und Andy Höft, med. pract. und stellvertretender Leitender Arzt der Klinik für Urologie. Der Vortrag dauert rund 45 Minuten. Danach besteht die Möglichkeit, den beiden Referenten bei einem Apéro unter vier Augen Fragen zu stellen. Eine Anmeldung ist erwünscht. Diese kann telefonisch unter der Nummer 034 421 18 52 erfolgen – mit Angabe der Anzahl der Teilnehmenden und mit dem Hinweis, dass der geplante Besuch dem Publikumsvortrag «Steinleiden» gilt. Interessierte können sich auch online einschreiben:
www.spital-emmental.ch/publikumsvortraege.

«D’REGION»: Worauf werden Sie in Ihrem Vortrag eingehen – was darf erwartet werden?  
Dr. Voepel: Wir werden über die Volkskrankheit Harnstein-Leiden sprechen, über die Entstehung, über die Symptomatik, über die diversen Therapiemöglichkeiten von konservativ – «Saufen und Laufen» – bis zu den unterschiedlichen minimalinvasiven, sogenannten endourologischen Techniken der Stein-
entfernung aus dem Harntrakt: Niere, Harnleiter und Blase. Die Zuhörer dürfen einen spannenden, lebendigen, nicht frontalen Vortrag erwarten mit Demonstration der OP-Instrumente und Utensilien, die wir im Alltag verwenden. Wir wollen alle im Dialog sein – soll heis-
sen: Wir animieren die Zuhörer, auch zwischendurch Fragen zu stellen.

«D’REGION»: Viele Menschen haben schon von einem Nierenstein gehört. Doch was ist das genau – und welches sind die Symptome?
Dr. Voepel: Nierensteine sind organische Verbindungen, also Salze unterschiedlicher Zusammensetzung wie zum Beispiel Calcium-Oxalat oder Harnsäure und viele weitere, die aus einem Ungleichgewicht zwischen den Salzen – Kristallen –  und dem Lösungsmittel – Wasser beziehungsweise Urin – in den bis zu zehn Kelchen der Niere entstehen. Ich ziehe gerne das Beispiel eines Candiszuckerstückes im Tee heran: Wenn es zu viel an Candiszucker gibt, löst er sich nicht auf. Oder umgekehrt: Ist zu wenig Flüssigkeit vorhanden, kann er sich ebenfalls nicht auflösen. Der eigentliche Nierenstein stellt meistens keine Probleme dar und ist zumeist ohne Symptomatik. Akut schmerzhaft wird es erst dann, wenn der Stein spontan in den Harnleiter rutscht und dort hängen bleibt. Der in der Niere produzierte Urin kann dann nicht mehr am Stein vorbeifliessen. Es kommt zu einer Druckbelastung und zu einem wellenförmigen Schmerz, der sogenannten Harnleiter-Stein-Kolik. Betroffene sprechen oft von einem Vernichtungsschmerz. Der Patient verspürt einen Bewegungsdrang und weiss nicht, ob er besser sitzen, laufen oder liegen soll. Durch die körperliche Bewegung kann der Urin teilweise am Stein vorbeifliessen, und die Schmerzen können für kurze Zeit etwas reduziert werden. Der Weg zum Arzt oder ins Krankenhaus ist jedoch meist unvermeidlich.

«D’REGION»: Treten Nierensteine häufig auf? Welche Personengruppen sind tendenziell mehr betroffen?
Andy Höft: Harnsteine sind mittlerweile eine Volkskrankheit geworden. In der Schweiz erleiden jährlich etwa 25 000 bis 40 000 Menschen einen Harnstein-
abgang. Vor allem Personen im mittleren Lebensalter sind besonders betroffen – Männer häufiger als Frauen.

«D’REGION»: Welches sind die Ursachen für einen Nierenstein?
Andy Höft: Warum die eine Person einen Nierenstein bekommt und eine andere verschont bleibt, hängt von zahlreichen unterschiedlichen Faktoren ab. Es gibt genetische Einflussfaktoren und Lebensstileinflüsse. Letztere lassen sich beeinflussen und sind unter anderem Angriffspunkt für die Strategien der Vorbeugung von Harnsteinen. Letztlich ist es so, dass sich Nierensteine ausbilden, wenn das Löslichkeitsprodukt der steinbildenden Substanzen – wie beispielsweise Kalzium, Oxalsäure oder Harnsäure – überschritten wird. Dann kristallisieren die Salze zu festen Steinen. Somit besteht die Strategie der Vorbeugung einerseits aus einer Erhöhung der Flüssigkeitszufuhr und damit Urinproduktion sowie andererseits aus der reduzierten Aufnahme steinbildender Substanzen.

«D’REGION»: Wie lassen sich Nierensteine behandeln? Was für unterschiedliche Methoden gibt es?
Andy Höft: Die Nierensteintherapie teilt sich grob in die operative Steinentfernung und in die konservative Steintherapie. Letztere besteht einerseits aus der Auflösung eines Harnsteins, was praktisch nur bei Harnsäuresteinen effektiv, durch Anheben des Urin-pH-Wertes, möglich ist. Andererseits aus der medikamentös expulsiven Therapie. Das bedeutet, dass durch den Einsatz von verschiedenen Medikamenten die Muskelspannung im Harnleiter herabgesetzt wird und der Harnfluss angeregt sowie Schmerzen behandelt werden, um einem Harnstein zum spontanen Abgang zu verhelfen. Dies setzt jedoch einen ausreichend kleinen Harnleiterstein und eine entsprechende Leidensfähigkeit des Patienten voraus. Sollte der Stein zu gross sein oder sollten uns andere Faktoren wie eine Blutvergiftung uns zu einem operativen Vorgehen zwingen, dann können wir aus einem grossen Armamentarium (Instrumentensammlung) schöpfen. So musste man früher einen Bauchschnitt oder Steinschnitt durchführen, um den Harnstein unter Inkaufnahme grosser Kollateralschäden zu entfernen. Heutzutage gibt es deutlich elegantere Methoden. Angefangen bei der ESWL – also der Zertrümmerung des Harnsteines von aussen. Dies mittels stark konzentrierter Ultraschallwellen, um den Stein so weit zu zertrümmern, dass die Fragmente von alleine abgehen können. Eine weitere elegante Methode ist die endoskopische Entfernung der Steine mittels Ureterorenoskop, einem Harnleiterspiegel-Instrument, mit dem man im Harntrakt nach oben spiegelt und somit ohne Gewebsverletzung einen Stein zum Beispiel mit einem Fangkörbchen aus dem Harntrakt entfernen kann. Unter Umständen muss das Konkrement jedoch zuvor mit einem Laser in mehrere Teile oder Staub zerkleinert werden. Die nächste Methode ist die Entfernung auch grösserer Konkremente bis zu Ausgusssteinen aus dem Nierenhohlsystem mittels Mini-PNL durch die Haut. Dabei wird eine dünne Kamera mit einem Arbeitskanal von sechs Millimetern Durchmesser direkt durch die Haut in den steintragenden Nierenkelch gestochen, wo der Stein mit einem Laser zu feinem Staub zertrümmert wird. Dies hat den grossen Vorteil, dass der Harnleiter geschont wird und auch grosse Steinmassen in relativ kurzer Zeit behandelt werden können.

«D’REGION»: Können Nierensteine von selbst verschwinden?
Dr. Voepel: Nierensteine verschwinden gelegentlich von selbst. Dies dadurch, dass sie in den Harnleiter rutschen, dort jedoch schmerzhafte Koliken auslösen können. Sie rutschen gelegentlich, aber vermehrt nach viel Bewegungssport oder auch nach hoher Trinkmenge in den Harnleiter – oft gesehen zu Zeiten der Volks- oder Oktoberfeste. Handelt es sich um Nierensteine aus Harnsäure – welche nur rund zehn Prozent der Steine ausmachen –, so kann man diese über vier bis sechs Wochen medikamentös, also chemisch, auflösen. Diese sogenannte Chemolitholyse durch Alkalisierung des Urin-pHs macht der Patient eigenständig nach kurzer Anleitung durch den Facharzt.

«D’REGION»: Wie definieren Sie den Unterschied zwischen einem Nieren- und einem Harnstein?
Dr. Voepel: Harnstein ist der Oberbegriff – Urolithiasis –, also die Bezeichnung für einen Stein im Harntrakt. Der Nierenstein ist gleichzeitig auch ein Harnstein. Ein Harnleiterstein hingegen war zuvor immer auch ein Nierenstein. Ein kleiner Nierenkelchstein tritt spontan ins Nierenbecken ein und kann dort am Übergang zum Harnleiter oder etwas tiefer im Harnleiter stecken bleiben. Dort löst er die Koliken aus. Selten kommen sogenannte Ausgusssteine vor – vielfach auch Korallensteine genannt –, die das gesamte Nierenbeckenkelchsystem ausfüllen. Diese sind über Jahre gewachsen und zumeist eine sehr lange Zeit asymptomatisch. Zu typischen Koliken führen diese Steine ohnehin nicht. Noch seltener sind Blasensteine, zumeist bei einer Blasenentleerungsstörung vorkommend oder durch Verkalkung von Fremdkörpern, die in die Blase – oft vom Patienten selbst – eingebracht wurden.

«D’REGION»: Was kann im Alltag getan werden, um das Aufkommen von Nierensteinen zu verhindern?
Andy Höft: Das Verhindern von Harnsteinen ist das Kerngebiet der Harnsteinmetaphylaxe. Darunter versteht man alle Massnahmen zur Vorbeugung von Nierensteinen. Dies kann sowohl medikamentös als auch mittels einer speziellen Diät, aber vor allem mittels einer Erhöhung der täglichen Trinkmenge erreicht werden. Für eine spezielle Diät ist die Steinanalyse wichtig, um seine Ernährung entsprechend umzustellen. Jedoch kann es sehr mühsam und anstrengend sein, das komplette Ernährungsverhalten auf den Kopf zu stellen und letztlich «wie ein Mönch» zu leben. Wenn man nur eine Sache ändern will oder kann, dann ist es ganz klar die Erhöhung der täglichen Trinkmenge. Dies hat mit Abstand den grössten Einfluss auf die Steinbildung. Aber auch Bewegung und das Vermeiden von Übergewicht stellen relevante Einflussfaktoren dar.

«D’REGION»: Welchen Einfluss hat die Ernährung – welche Nahrungsmittel sollten vermieden werden?
Andy Höft: Die Ernährung ist nach der Trinkmenge der wichtigste Einflussfaktor. Hierbei sollte je nach Steinanalyse darauf geachtet werden, die entsprechenden Substrate nur in Massen zuzuführen. So sollte man bei Harnsäuresteinen darauf achten, möglichst wenig Fleisch, Innereien, Meeresfrüchte, aber auch Hefe zu sich zu nehmen. Geeignet sind insbesondere Gemüse und Obst. Die häufigeren Steine sind jedoch Calciumoxalatsteine. Hierbei gilt es vor allem, eine oxalsäurearme Diät durchzuführen. Deshalb sollten Lebensmittel vermieden werden, die viel Oxalsäure enthalten. Dies sind beispielsweise Walnüsse, Spinat, Schokolade, Rhabarber und Kakao.

«D’REGION»: Gibt es verschiedene Arten von Nierensteinen?
Andy Höft: Es gibt viele verschiedene Harnsteinarten. Die häufigsten sind Calciumoxalatsteine mit etwa 75 Prozent. Nachfolgend Harnsäuresteine mit etwa 10 Prozent, Struvitsteine/Infektsteine mit rund 5 Prozent und Calciumphosphatsteine mit ebenfalls rund 5 Prozent Häufigkeit – sowie seltene Formen wie Zystinsteine oder Xanthinsteine. Nicht selten sieht man auch Mischsteine unterschiedlicher Zusammensetzung.

«D’REGION»: Welchen Einfluss hat Stress auf die Bildung von Nierensteinen?
Dr. Voepel: Haben wir nicht alle Stress? Spass beiseite. Ich glaube, dass Stress überbewertet wird. Jeder hat sein Päckchen zu tragen, jeder hat unterschiedliche Sorgen – keine Frage. Was Ihre Frage eventuell impliziert, ist, dass sich Stress negativ auf das Essverhalten auswirkt. Dauergestresste Menschen werden sich sicherlich nicht ausreichend bewegen oder ausgewogen ernähren und eher auf ungesunde Nahrungsmittel mit viel Zucker zurückgreifen – oder zu sogenanntem Fastfood. Diese Überzuckerung – sie ist ebenfalls als Volkskrankheit zu deklarieren – führt tatsächlich zu mehr Nierensteinen. (Hier lächelt Dr. Voepel und witzelt: «Aber wir Urologen müssen ja auch von irgendetwas leben.»)

Hans Mathys


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