Schulterschmerzen – Ursachen und Behandlung

  14.03.2023 Aktuell, Foto, Gesellschaft, Region

Am Donnerstag, 23. März 2023, 19.00 Uhr, findet im Kurslokal des Spitals Emmental in Burgdorf der vierte Publikumsvortrag dieses Jahres statt. Der Titel lautet: «Schmerzen in der Schulter. Wann braucht es ein künstliches Gelenk?» Referent dieses öffentlichen Vortrags ist Dr. med. Mathias Hoffmann, Leitender Arzt Orthopädische Klinik. Danach besteht die Möglichkeit, dem Experten beim Apéro unter vier Augen Fragen zu stellen. Eine Anmeldung ist möglich, aber nicht obligatorisch. Diese kann unter der Telefonnummer 034 421 18 52 erfolgen. Interessierte können sich auch online einschreiben: www.spital-emmental.ch/
­publikumsvortraege.

«D’REGION»: Welche Ursachen haben Schulterschmerzen, und welche Bereiche der Schulter können betroffen sein?
Dr. Hoffmann: Die Schulter ist das beweglichste Gelenk des menschlichen Körpers. Dies verdankt sie ihrer besonderen Bauweise. Anders als beim Hüftgelenk bedeckt die Gelenkpfanne nur etwa einen Viertel der Gelenkkugel des Oberarmknochens. Damit das sehr bewegliche Gelenk dennoch stabil ist, ist es umgeben von einer sehr komplexen Konstruktion aus Gelenkkapsel, Sehnen, Bändern und Schleimbeuteln. Darüber hinaus gibt es noch kleinere Nebengelenke, die für die reibungslose Funktion des Schultergelenks ebenso von grosser Bedeutung sind wie die übrigen Strukturen. Die enorme Beweglichkeit mit Beteiligung vieler unterschiedlicher Strukturen macht die Schulter aber auch anfällig für Verletzungen und Verschleiss – von einer Entzündung des Schultergelenks über eine Schädigung der Muskel-Sehnen-Kappe bis hin zu rheumatischen Erkrankungen oder Arthrose. Eine häufige Ursache ist die sogenannte «frozen shoulder» – also eine schmerzhafte Kapselentzündung des Schultergelenks, welche die Beweglichkeit stark einschränkt. Das Tragen hoher Lasten, Hausarbeiten, aber auch vermeintlich harmlose Sportarten wie Tennis, Golf, Kraft- und Kampfsport, belasten das Gelenk enorm und führen zu schmerzhaften Verschleisserscheinungen. Auch mangelnde Bewegung, falsche Ernährung mit der Folge von Stoffwechselerkrankungen – wie zum Beispiel Diabetes – und berufliche Überlastungen führen zu schmerzhaften Veränderungen des Schultergewebes. Brennend stechende Oberarm- und Schulterschmerzen sind meist ernste Symptome für entzündliche Veränderungen der Sehnen oder Sehnenrisse der Rotatoren­manschette, wichtige Muskeln für die Bewegungen der Schulter. Ein vorderer Schulterbewegungsschmerz ist häufig in zunehmendem Alter über 50 Jahren mit Problemen der langen Bicepssehne verbunden. Aber auch ein Knorpelverschleiss mit Entwicklung einer Arthrose und schmerzhaften Bewegungseinschränkungen können Ursache von Schulterschmerzen sein.

«D’REGION»: Wie gehen Sie vor, um Patientinnen und Patienten mit Schulterschmerzen richtig therapieren zu können?
Dr. Hoffmann: Die richtige Diagnose zu stellen ist der anspruchsvollste Schritt einer Schulterbehandlung. Wenn Patientinnen und Patienten bei Hausärzten über akute Schmerzen in der Schulter klagen, veranlassen diese oft ein Röntgen in einer Ebene oder ein Nativ-MRI, welches im Gegensatz zum sogenannten Arthro-MRI – mit Kontrastmittel – leider nur wenig Informationen über mögliche Erkrankungen gibt. Aber auch das Arthro-MRI zeigt uns bedauerlicherweise nicht immer die ganze Wahrheit, sondern nur etwa 60 Prozent. Bei einer umfassenden Anamnese nimmt der Schulterspezialist die Vorgeschichte, die Art der Beschwerden und die bisherige Therapie auf. Zum Ablauf gehören ein Gespräch, eine körperliche Untersuchung und allenfalls weitere bildgebende Verfahren wie ein Arthro-MRI, Röntgen oder eine spezielle CT-Diagnostik. Bei sogenannten Provokations-Schultertests versucht der Spezia­list, die Spezialistin herauszufinden, was die Ursache der Schmerzen ist. Auch eine sogenannte diagnostische Spritze – Kortison-Infiltration – kann nicht nur mehr Klarheit bringen, sondern die Beschwerden sogar schon erheblich lindern. Somit kommen wir der Schmerzursache Schritt für Schritt näher.

«D’REGION»: Welche Symptome zeigen sich bei einer fortgeschrittenen Arthrose des Schultergelenks?
Dr. Hoffmann: Schulterprobleme sind für Patientinnen und Patienten nicht nur sehr schmerzhaft, sie leiden oft auch unter der massiv eingeschränkten Beweglichkeit. Nächtliche Schmerzen sind oft erste Anzeichen einer Erkrankung oder Entzündung. Plötzlich kann auch das morgendliche Anziehen oder Haarekämmen zum schmerzhaften Kraftakt werden. Der Entwicklung einer Arthrose gehen häufig jahrelange mal mehr oder weniger ausgeprägte Schulterschmerzen voraus. Die eigentliche primäre Arthrose des Schultergelenks ist im Vergleich zur Arthrose des Hüft­gelenks eher selten. Hierbei besteht eine primäre Schädigung des Knorpels mit Deformität des Oberarmkopfs und der Gelenkfläche, was zu erheblichen schmerzhaften Bewegungseinschränkungen mit Gelenkerguss und hörbaren Krepitationen – Knirschen – führt. Die Rotatorenmanschette ist bei dieser Form der Arthrose sehr häufig noch intakt. Im Gegensatz dazu steht die sogenannte sekundäre Arthrose des Schultergelenks, welche durch den Verlust der Muskelmanschette – Rotatorenmanschette – entsteht. Dieser Form der Arthrose gehen häufig schleichend zunehmende schmerzhafte Funktions- und Kraftverluste mit eingeschränkter Beweglichkeit voraus. Oftmals verlaufen die Schmerzen intervallartig und strahlen sehr häufig in den Oberarmbereich aus. Schmerzen im Bereich des Schulterblattes oder der oberen Schulterregion beziehungsweise des Nackens haben hingegen sehr oft ihre Ursache in Erkrankungen der Halswirbelsäule.

«D’REGION»: Welche Massnahmen können ergriffen werden, um eine Operation herauszögern oder gar umgehen zu können?
Dr. Hoffmann: Die häufigsten Stellen des Schmerzes kann man kontrolliert lokal mit Kortison und einem Betäubungsmittel unter Röntgenkontrolle anspritzen. Verschwinden die Schmerzen im Verlauf bei den Provokationstests, bestehen meist nur entzündliche Veränderungen. Eine Operation ist oftmals nicht nötig. Bei rund zwei Dritteln der Fälle reicht eine medikamentöse Behandlung oder gezielte Physiotherapie, um die Schmerzen zu lindern und die Beweglichkeit wiederherzustellen. Bei einigen Erkrankungen, massiv strukturellen Verletzungen oder degenerativen Veränderungen muss man aber operieren. Ignoriert man längere Zeit allerdings die Warnsignale des Körpers nach dem Motto «… das ist das Alter, das wird schon wieder …», so besteht die Gefahr, dass man Rotatorenmanschetten-Läsionen verpasst und diese erst viel zu spät diagnostiziert, wenn die Defizite zu gross sind und das Gewebe zugrunde gegangen ist. Dann kann man nichts mehr rekonstruieren oder nähen. Bei fortgeschrittener schmerzhafter Arthrose oder dem Endstadium einer grossen Rotatorenmanschettenruptur mit Arthrose kann man nur noch ein künstliches Schultergelenk einsetzen, um den Patientinnen oder Patienten im Alltag wieder eine akzeptable Beweglichkeit mit Schmerzreduktion zu geben.

«D’REGION»: Wann ist eine Operation und der Einsatz eines künstlichen Gelenks unerlässlich, und wie sieht es hier mit den Risiken aus?
Dr. Hoffmann: Wenn der Oberarmkopf keine Muskulatur mehr zum Führen des Gelenkes hat, dezentriert das Gelenk und wird schrittweise zerstört. Die Spätfolge sind massivste schmerzhafte Bewegungseinschränkungen bis hin zur Pseudolähmung mit Entwicklung einer Arthrose. In dieser Situation kann man den Patienten nur noch über die Implantation einer sogenannten «inversen Schulterprothese» helfen. Durch das Vertauschen von Kugel und Pfanne kann so ein besserer Drehpunkt und Kraftarm für die äussere Muskulatur geschaffen werden, der den Patientinnen und Patienten hierdurch wieder eine bessere Beweglichkeit ermöglichen kann. Je mehr Restmuskulatur vorhanden ist, desto besser ist auch das Ergebnis und die Beweglichkeit. Allerdings gibt es auch die sogenannte primäre Arthrose, bei der die Muskelmanschette noch völlig intakt, aber der Knorpelbelag völlig zerstört ist. In diesen Fällen baut man eine sogenannte «anatomische Prothese» ein. Hier werden Gelenkpfanne und Kopf 1:1 anatomisch ersetzt.

«D’REGION»: Wie lebt es sich mit einem künstlichen Schultergelenk punkto Beweglichkeit, Lebensqualität und so weiter?
Dr. Hoffmann: Die Entwicklung der inversen Prothese hat in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Durch die Verlagerung des Drehzentrums wird der Arm etwas länger und nach innen verlagert, was die typische Schultersilhouette nach der Operation erklärt. Hierdurch kann der Verlust von Sehnen beziehungsweise eine insuffiziente Rotatorenmanschette gut kompensiert werden, und es wird  den Patientinnen und Patienten wieder ein aktives schmerzfreies Anheben des Arms ermöglicht. Heutzutage ist die inverse Schulterprothese aus dem schulterchirurgischen Behandlungskonzept nicht mehr wegzudenken, da sie für viele Probleme hervorragende technische Lösungen bietet. Die klinischen Ergebnisse sind hervorragend und reproduzierbar, die Überlebenszeiten mittlerweile beeindruckend lang. Mittlerweile gibt es sehr viele Erfahrungen mit der Implantation von inversen Schulterprothesen und deren Komplikationen, die weitestgehend durch technische Neuerungen und Verbesserung der Verfahren erfolgreich behandelt werden konnten. Moderne virtuelle Technologien oder «mixed reality» beziehungsweise personalifizierte Schulterinstrumentarien – PSI, die Abkürzung für Patient-Specific Instrumentation – mit computerassistierten 3-D-Planungssystemen ermöglichen es heutzutage dem Schulterspezialisten, das exakte Implantat und die optimale Platzierung für die beste Beweglichkeit und höchste Stabilität auszuwählen. Mit diesen Planungstools ist es möglich, bereits vor der Operation die Bewegungsumfänge abzuschätzen und in der Operation die Prothese auf den Millimeter genau zu platzieren. Damit konnte die Gefahr einer frühzeitigen Prothesenlockerung bei ungenauer Platzierung nochmals um ein Vielfaches reduziert werden. In Bezug auf Schmerzreduktion, Funktions- und Bewegungsverbesserung stellt die Implantation einer inversen Schulterprothese mit all ihren technischen Konzepten daher heute eine zuverlässige Behandlungsmethode mit guten Ergebnissen bei hoher Patientenzufriedenheit und niedrigen Komplikationsraten dar. Auch in der primären Frakturversorgung, der Revision und Tumorchirurgie profitieren die Patienten/-innen heute wesentlich von dieser ausgereiften Therapieform. In Abhängigkeit der primären Diagnose zeigen sich nach zehn Jahren Prothesen-Überlebenszeiten von 90 Prozent. Bewegungsumfänge und Kraft nehmen nach rund acht Jahren etwas ab, jedoch bleibt die Patientenzufriedenheit dabei sehr hoch. Aufgrund der guten Ergebnisse besteht aktuell eine Tendenz, diese Behandlungsoption auch bei jüngeren Patienten/-innen bereits unter 60 Jahren erfolgreich einzusetzen.


Hans Mathys


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