Zeckenstiche – Vorsicht, aber keine Panik

  25.04.2023 Aktuell, Foto, Gesellschaft

Am Donnerstag, 4. Mai 2023, 19.00 Uhr, findet im Kurslokal des Spitals Emmental in Burgdorf der Publikumsvortrag «Zeckenstiche: kein Grund zur Panik – aber zur Vorsicht» statt. Dieser Anlass wird von den beiden Referenten Dr. med. Martin Egger (Chefarzt Medizin Langnau) und Dr. med. Gabriel Waldegg (Leitender Arzt Medizin) gestaltet. Wissenswertes und eine Übersicht über Zecken wird Dr. Egger liefern. Zudem wird er über Borreliose berichten und für eine Zusammenfassung besorgt sein. Dr. Waldegg seinerseits wird sich im Vortrag primär den Themen Frühsommer-Meningoenze­phalitis (FSME) und Tularämie widmen. Im Anschluss an den Publikumsvortrag besteht die Möglichkeit, den Experten beim Apéro unter vier Augen Fragen zu stellen. Eine Anmeldung ist möglich, jedoch nicht obligatorisch. Diese kann unter der Telefonnummer 034 421 18 52 erfolgen. Interessierte können sich auch online einschreiben: www.spital-emmental.ch/publikumsvortraege.

«D’REGION»: Zeckenstiche können ernsthafte Krankheiten übertragen. Welches sind die häufigsten Folgen und wie schwerwiegend sind diese?
Dr. Egger: In der Schweiz übertragen Zecken im Wesentlichen drei Krankheiten: die Borreliose, auch Lyme-Krankheit genannt, die Frühsommer-Meningoenzephalitis FSME und die Tularämie, auch Hasenpest genannt. Dabei handelt es sich um sehr unterschiedliche Krankheitsbilder. Die Borreliose wird durch ein eher langsam wachsendes Bakterium verursacht, das entfernt verwandt ist mit dem Erreger der Syphilis und daher auch einige Parallelen im Krankheitsverlauf zeigt. Erreger der FSME ist ein Virus, das sich früher auf sogenannte Naturherde beschränkte, heute aber fast in der ganzen Schweiz vorkommt. Die Hasenpest wird durch ein recht aggressives Bakterium verursacht, das auch Biowaffen-Potenzial hat.

«D’REGION»: Welche Symptome lassen sich nach einem Zeckenstich bei Betroffenen beobachten – und wie lange dauert es, bis sich überhaupt Symptome zeigen?
Dr. Egger: Eine Infektion mit Borrelien verläuft in den meisten Fällen völlig symptomlos. Bei den weit unter 30 Prozent symptomatischen Infektionen können verschiedene Stadien unterschieden werden. Das erste und bekannteste Stadium ist die Wanderröte – Erythema migrans –, bei dem sich fünf oder mehr Tage nach einem Zeckenstich eine sich langsam ausdehnende, schmerzfreie Rötung entwickelt. Nach symptomfreien Intervallen können als spätere Stadien Gesichtslähmungen, Nervenschmerzen oder Entzündungen grösserer Gelenke auftreten.
Dr. Waldegg: Bei einer Infektion mit dem FSME-Virus kommt es bei einem Teil der Infizierten nach einigen Tagen bis zwei Wochen zu einer grippeähnlichen Erkrankung und – wiederum nur bei einem Teil der Betroffenen – anschliessend zu einer Hirn- und/oder Hirnhautentzündung mit Kopfschmerzen, Bewusstseinstrübung, Verhaltens­änderungen und eventuell Krampfanfällen. Bei der Tularämie kommt es im Lymphabflussgebiet des Zeckenstichs innert einiger Tage zu einer entzündlichen Lymphknotenschwellung und zu Fieber. Die durch Zecken übertragene Form der Tularämie ist unter den Tularämie-Varianten die ungefährlichste. Sie kann auch gut diagnostiziert und behandelt werden. Daneben können Zeckenstiche zu Hautinfektionen mit Allgemein­symptomen oder ohne Allgemeinsymptome führen, wenn auf der Haut vorhandene Krankheitserreger wie Streptokokken oder Staphylokokken den Stich als Eintrittspforte ins Gewebe nutzen.

«D’REGION»: Sind Zeckenstiche so gefährlich, wie dies viele Menschen glauben?
Dr. Egger: Gemessen an den unzähligen Zeckenstichen, die Menschen in der Schweiz jedes Jahr erleiden, ist eine schwere Erkrankung als Folge eines Zeckenstichs extrem selten. Bei der Borreliose weiss man aufgrund von Antikörperbestimmungen, dass rund 10 Prozent der Schweizer Bevölkerung und in manchen Bevölkerungsgruppen – Waldarbeiter, Outdoor-Sportler… – bis über 30 Prozent mit Borrelia burgdorferi infiziert wurden. Von diesen hatten aber weniger als 1 Prozent eine borrelientypische Erkrankung. Die Infektion mit Borrelien ist also häufig, führt aber nur sehr selten zu Symptomen, von denen zudem die meisten gut zu behandeln sind.
Dr. Waldegg: Übertragungen des FSME-Virus sind in der Schweiz mutmasslich am Zunehmen. Auch hier erkranken bei einer Infektion weniger als 1 Prozent der Betroffenen schwer. Für diese gibt es dann aber leider keine gezielte Behandlung. Bei dieser Infektionskrankheit liegt der Schwerpunkt daher klar auf der Prävention durch Impfung. Die Tularämie hat in den letzten Jahren mehr Aufmerksamkeit erfahren. Ob sie auch häufiger wird, ist unklar. Sie ist jedenfalls nach wie vor die seltenste der drei erwähnten zeckenübertragenen Infektionskrankheiten. Eine Ansteckung führt hier wohl meist zur Krankheit. Die zeckenübertragene Variante der Hasenpest ist aber nicht gefährlich. Von Ärztinnen und Ärzten, die das Krankheitsbild kennen, ist sie relativ leicht zu diagnostizieren und kann gut behandelt werden. Lokale Hautinfektionen sind meist harmlos und leicht zu behandeln.


«D’REGION»: Wann empfiehlt es sich, nach einem Zeckenstich einen Arzt, eine Ärztin aufzusuchen?
Dr. Egger: Die wichtigste Botschaft: Man soll wegen eines Zeckenstichs in der Regel weder eine Notfallstation noch eine Hausarztpraxis anrufen oder aufsuchen! Eine leichte Rötung, eine geringfügige Schwellung und etwas Juckreiz in der Umgebung eines Zeckenstichs sind kein Grund zur Besorgnis, solange sich die Reaktion auf einige Millimeter beschränkt. Eine zunehmende Rötung von mehreren Zentimetern, Schmerzen, eine Lymphknotenschwellung oder Fieber über 38 Grad Celsius nach einem Zeckenstich sind Gründe für eine umgehende Arztkonsultation.

«D’REGION»: Welche präventiven Mass­nahmen sind möglich, um Zecken­stichen und dabei übertragenen Infektionen vorbeugen zu können?
Dr. Egger: Da Aktivitäten draussen viele gesundheitsfördernde Aspekte haben, ist es nicht sinnvoll, sie zu meiden, obschon dies Zeckenstichen vorbeugen würde... Für eine solche Empfehlung sind Zeckenstiche viel zu harmlos! Mit langen Kleidern kann man Zeckenstichen bis zu einem gewissen Grad vorbeugen. Das ist allerdings unzuverlässig, weil Zecken mit ihrer Hinterhalt-Strategie es oft trotzdem auf die Haut schaffen: Sie warten auf Gräsern und Büschen auf Tiere und Menschen und lassen sich auf sie fallen oder sich von ihnen im Vorbeigehen abstreifen und suchen dann rasch warme Körperstellen mit weicher Haut auf. Repellentien – «Zeckensprays» – haben im Gegensatz zum Nutzen bei Mückenstichen auch nur einen beschränkten Effekt. Am besten ist das Absuchen des Körpers nach Aktivitäten draussen und die rasche Entfernung. Eine Infektion mit Borrelien kann durch eine Entfernung der Zecke innert weniger als 24 Stunden fast zu 100 Prozent verhindert werden, weil bei einer Blutmahlzeit der Zecke am Menschen die Borrelien zuerst in die Speicheldrüsen der Zecke wandern müssen, bevor sie übertragen werden können.
Dr. Waldegg: Für die Verhinderung einer FSME ist allen Menschen in der Schweiz, die nicht reine Stubenhocker sind, die aktive Impfung mit drei Dosen zu empfehlen, die zu weit über 95 Prozent vor einer Infektion schützt. Die passive Immunisierung mit spezifischen Antikörpern, die bis in die 90er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts praktiziert wurde, ist unwirksam bis kontraproduktiv und daher nicht mehr verfügbar. Für die seltene Tularämie gelten die oben beschriebenen allgemeinen Massnahmen zur Verhinderung eines Zeckenbisses und der damit einhergehenden Infektionen. Es gibt keine Impfung gegen Borreliose und Tularämie.

«D’REGION»: Wie entfernt man eine Zecke am besten, wenn man gestochen wurde?
Dr. Waldegg: Über das «Wie» lässt sich diskutieren. Wichtig ist, dass die Zecke möglichst rasch entfernt wird. Ob man das mit einer Pinzette, einer Zeckenzange, einer Zeckenkarte im Kreditkartenformat oder gar mit den Fingernägeln macht, ist nicht entscheidend. Wichtig ist, dass alle diese «Instrumente» sauber sind. Eine anschliessende Desinfektion ist zu empfehlen – falls zur Hand. Sonst helfen auch Seife und Wasser. Keine Panik ist angesagt, wenn allenfalls ein Teil des Zecken­kopfs stecken bleibt: Desinfizieren und abwarten. Manchmal gelingt die Entfernung dann nach ein bis zwei Tagen problemlos. Sonst kann man immer noch einen Arzt aufsuchen.

«D’REGION»: Gibt es Mythen rund um Zeckenstiche, die Sie in Ihrem Vortrag widerlegen möchten?
Dr. Egger: Der hartnäckigste Mythos ist, dass Zecken allgemein sehr gefährlich sind. Wie bereits erwähnt, sind Zeckenstiche in den allermeisten Fällen harmlos. Sie erfordern aber ein bisschen Aufmerksamkeit, weil es in Einzelfällen doch zur Übertragung von Mikroorganismen mit Krankheitsfolge kommen kann. Panik ist aber fehl am Platz. Gehen Sie trotzdem hinaus!

Hans Mathys


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