19. Burgdorfer Energie-Symposium in der Aula Gsteighof

  28.06.2023 Aktuell, Foto, Bildung, Wirtschaft, Burgdorf, Gesellschaft, Region, Politik

«Wasser, Wind und Sonne – reicht das für Wärmepumpen und Elektromobilität?» Die Frage ist berechtigt: Rasch weg von fossiler Energie – hin zu nachhaltig ökologischer Stromversorgung. Der Weg ist klar, die Ziele hoch. Bis 2050 will man in der Schweiz die Null-Emission erreicht haben. Ist die Stromproduktion durch Solar, Wind und Wasser realistisch? Und vor allem: Wird es reichen? «Es wird», sagt Michael Frank, Direktor Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen VSE.

Volles Haus in der Aula Gsteighof
Augenzwinkernd gab es im Vorfeld Behauptungen, dass das Publikum jeweils vorwiegend wegen der Verlosung in die Aula pilgert, weil die Localnet AG wie jedes Jahr an ihrem Energie-Symposium unter den Besuchenden ein E-Bike verschenkt. Diese Behauptung lässt sich kaum überprüfen, stellt sich aber sowieso als Mythos dar, auch wenn der dem Anlass entsprechende Gedanke jedes Einzelnen, weg vom Zwei- oder Vier-Takter hin zum E-Bike, lobenswert ist. Spass beiseite, zu ernst das Thema, zu interessant die eingeladenen Referenten.
In der proppenvollen und sommerlich sehr warmen Aula begrüsst Marcel Stalder (Geschäftsleitung Localnet, Leiter Marketing und Verkauf) die zahlreichen Gäste. Er nutzt die Gelegenheit, nochmals zu informieren, dass Urs Gnehm nach fast 24 Jahren die Leitung der Localnet AG in Burgdorf per Ende 2023 abgeben wird. Der anwesende und künftige Chef und neue CEO Pascal Kirchhofer stellt sich gleich selber «als neues Teammitglied der Localnet per 1. Januar 2024» vor. Der 40-Jährige aus dem solothurnischen Bellach ist ein bestens ausgewiesener Energiespezialist.

Stromversorgung Schweiz neu lanciert
Das Klimaschutz- und Innovationsgesetz wurde von Herrn und Frau Schweizer am 18. Juni 2023 mit 59 Prozent angenommen, in der Gemeinde Burgdorf gar mit 68 Prozent. Das Energie-Symposium knüpft auch an diese Abstimmung an. Moderatorin Sonja Hasler, Schweizer Radio und Fernsehen SRF, führt die Gäste mit üblichem Geschick und ihrem situationsbezogenen, treffenden Humor durch den Abend.
Die Stromsorgen sind nicht abzustreiten. Auch die Localnet AG als Energieversorgerin steht im Spannungsfeld zwischen CO2-Neutralität und Garant der Versorgungssicherheit.
Gastreferent Michael Frank, Direktor Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen VSE, schöpft Hoffnung und verkündet: «Wird es reichen? Es wird.» Das grosse ABER folgt sogleich: «Es gibt einige Stolpersteine auf dem Weg dahin!» Eine grosse Herausforderung sei der Faktor Zeit. Zu lasche und lange Abklärungen verzögern Bauvorhaben und Projekte und verhindern positive Baubewilligungsentscheide. Man muss eine Beschleunigung der mittlerweile realen, technologischen Möglichkeiten fördern. Einsprachen auf allen Ebenen behindern und verhindern die angegangenen Projekte zum raschen Erreichen einer Versorgungssicherheit. «Manchmal, so glaube ich», enerviert sich Michael Frank, «kommen mir die Einsprachen wie die fünfte Landessprache vor.» Ein Umdenken lohnt sich und die ganze Schweiz dürfte sich einig sein, dass niemand gegen Versorgungssicherheit oder gegen Klimaneutralität plädiert. Der Weg aus der fossilen Variante führt nur über die Elektrifizierung. Und unser Wohlstand beruht auf einer gesicherten Energieversorgung.

Podiumsdiskussion deckt auch Mängel im System auf
Die Podiumsdiskussion bietet abwechslungsreiche Voten und Wortwechsel. Gesprächsteilnehmer/innen auf der Bühne sind Marianne Zünd (Leiterin Medien und Politik, Bundesamt für Energie BFE), Simon Michel (CEO Ypsomed Burgdorf und FDP-Kantonsrat Kanton Solothurn, Nationalratskandidat 2023), Jürg Grossen (Nationalrat und Präsident GLP, Präsident Swissolar) sowie Michael Frank (Direktor Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen VSE) und Moderatorin Sonja Hasler (SRF). Das etwas geschehen muss und zwar auf der Stelle, darin sind sich alle einig. Aber es gibt die verschiedenen Ausgangspunkte. Marianne Zünd sieht Fortschritte und versichert, dass die Schweiz auf dem richtigen Weg sei. Mit einer möglichen Inbetriebnahme des Reservekraftwerks Birr AG habe man auf die unbestätigte Mangellage richtig reagiert. Das Kraftwerk wird nur im Notfall betrieben und bis Ende des Jahres 2026 wieder abgebaut. Im besten Fall wird es – ausser für den Testbetrieb – gar nie laufen. Weitere bestehende Gaskraftwerke sollen für den Krisenfall unter Vertrag genommen werden. Gedacht sei dies als Notfallmassnahme, nicht als zukünftige oder endgültige Problemlösung.
Dieser Notfallversorgung kann Michael Frank nicht viel abgewinnen: «Nur von Krisenbewältigung zu Krisenbewältigung zu gehen, ist keine Lösung. Der Aufbau eines Systems zur Versorgungssicherheit muss rasch umgesetzt werden, damit es die Notfallmassnahmen gar nicht mehr braucht.» Marianne Zünd spricht ihrerseits den Mantel­erlass an, der bevorsteht, und genau diese Möglichkeiten offenbaren wird. Doch gibt sie zu bedenken: «Und da höre ich, dass eben diese Exponenten, die die angeblichen Stromfressergesetze bekämpft haben, im Herbst bei der Verabschiedung durch das Parlament das Referendum ergreifen wollen.»
Simon Michel stellt klar: «Als verantwortungsvolles Unternehmen unterstützen wir den jetzigen Entscheid zum Energie- und Innovationsgesetz. Das setzten wir schon lange vor dieser Abstimmung um, nicht weil es die Politik so wollte, sondern weil Investoren, Kunden/-innen und Mitarbeiter/innen das erwarten.» Auch der Burgdorfer Unternehmer sieht im Faktor Zeit das grösste Problem. «In erster Linie ist es mir als Konsument wichtig, dass ich den Strom garantiert erhalte. In der Schweiz ist diese Garantie zu unsicher.» Michel erläutert deshalb, dass Fabrikbauten tendenziell in Deutschland, China und Mexiko erfolgen würden, ganz einfach, weil dort die Umsetzung schnell möglich ist und der Strom auf lange Sicht und ganzjährig garantiert sei. Das Unverständnis betreffend «Flucht ins Ausland» folgte seitens Zünd und Grossen umgehend. Michel konterte: «Ich habe in unserem Unternehmen die Verantwortung für 2500 Familien. 10 Millionen Menschen brauchen jeden Tag unsere Produkte. Denken, glauben und meinen, dass ganzjährig Strom vorhanden ist, nützt mir nichts; ich muss es wissen.» Nur so sei die Planungssicherheit umsetzbar. Und zum Gedanken von Swissness: «Ausserdem schaffen wir in der Schweiz auch in diesem Jahr 200 neue Arbeitsstellen.»
Nationalrat Jürg Grossen sieht sich mit seiner «Roadmap Grossen», einer umfassend erarbeiteten Übersicht über die Ergebnisse und Ziele erneuerbarer Energien, bestätigt. «Eine sichere Schweizer Stromversorgung aus komplett erneuerbaren Quellen ist machbar und günstiger als ‹weiter wie bisher›. Die sichere Stromversorgung aus komplett erneuerbaren Energien funktioniert auch im Winter und das gar günstiger als auf dem bisherigen Weg.» Ein langer Weg stehe allerdings bevor, würden doch beispielsweise zwei Drittel der Dächer der Schweiz mit Photovoltaik-Anlagen belegt werden müssen, zusätzlich brauche es für die Versorgung im Winter die Wasserkraft aus Gewässern. Die Technologie würde heute aber auch eine Speicherung der Energie für den Winter möglich machen.
Michael Frank hakt nach: «Wir scheitern nicht an der Technologie, sondern an unserer Gesellschaft: Partikularinteressen, also die Interessen von Einzelnen und wenigen, Behördenwahnsinn und Einsprachen nach Jahren der Ausarbeitung führen zu weiteren Jahren der Verhinderung.»
Es gibt weiterhin viel zu tun.

Paul Hulliger

 


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