Die Fische leiden dieses Jahr ganz besonders

  25.07.2023 Aktuell, Foto, Burgdorf

Wer von den Brücken in Burgdorf und Kirchberg auf die Emme hinunterblickt, sieht derzeit statt schäumende Wellen vor allem Kiesbänke, grössere und kleinere, bisweilen das gesamte Flussbett bis auf ein schmales Rinnsal zudeckend. Die heissen, niederschlagsfreien Wochen im Juni und Juli bedeuten, dass die Emme immer weniger Wasser führt und auf der Höhe von Aefligen wie in vergangenen Jahren teilweise unter der Flusssohle verschwindet. Für Wandernde ein ungewohnter Anblick, denn nach einigen Hundert Metern tritt die Emme wieder ans Tageslicht und fliesst wie gewohnt in ihrem Bett flussabwärts. Allerdings nicht als schäumendes Wildwasser, sondern mit reduziertem Wasservolumen. Hans-Peter Oberhänsli, dipl. Bauingenieur ETH aus Lyssach, erinnert daran, dass die Emme laut Chroniken in früheren Zeiten auf manchen Abschnitten mehrere Hundert Meter breit und je nach Saison ein lebensgefährlich reissender Fluss war.

Emme ist ein Wildwasser
Hans-Peter Oberhänsli stellt erst einmal fest: «Man muss wissen, dass die Emme ein Wildwasser ist und ausschliesslich durch Quellen gespeist wird. Die Emme kann nicht von Gletschern profitieren, die laufend Schmelz­wasser abgeben. Das Quellwasser ist infolge der Hitzeperiode ebenfalls zurückgegangen. Dazu kommt, dass wir in den vergangenen Wochen wenige Gewitter mit bedeutenden Regenfällen im Emmental ge­habt haben. Das führt dazu, dass wir in unserer Region mit bedeutend weniger Emme-Wasser rechnen können.»
Der Grund, warum das Emme-Bett trockenfällt, ist folgender: Das Wildwasser der Emme bewegt bei normalen Wassermengen dauernd die Steine auf der Flusssohle, aber ganz besonders bei Hochwasser ab 200 Kubikmeter pro Sekunde. Durchschnittlich transportiert die Emme jährlich 10 000 bis 20 000 Kubikmeter Steine bis zur Aare. Das bedeutet, dass das Emme-Flussbett dauernd in Bewegung ist und nach und nach Kies zum Zusammenfluss von Emme und Aare verlagert. Dort werden Kies und grössere Brocken direkt bei der Einmündung herausgenommen und kommerziell verwendet. So wird verhindert, dass die Emme die Aare regelrecht zuschüttet.
Die grosse Steinmenge und das ewige Bewegen des Emme-Flussbettes hält Letzteres nach unten hin offen. Das verhindert eine Verschlammung wie in der Aare, wo sich mit der Zeit ein dichtes Flussbett ergeben hat. Die Emme profitiert von der ewigen Umschichterei des Geschiebes und bleibt entsprechend nach unten hin offen.

Wechselspiel zwischen Fluss- und Grundwasser
Im Bereich Burgdorf tritt die Emme in ein Grundwassergebiet ein, daher weiter flussabwärts auch die Bezeichnung Wasseramt. In diesem Bereich hat sich die Emme so tief in ihr Bett eingegraben, dass ihr Wasser dem Grund­wasser zufliesst. Es gibt Abschnitte, wo die Emme höher als das Grundwasser fliesst und Wasser an Letzteres verliert. Ab Kirchberg bis zwei, drei Kilometer oberhalb von Utzenstorf handelt es sich um einen derartigen Abschnitt, wo die Emme eigentlich ins Grundwasser versickert. Beim Wehr, wo der Kanal abzweigt, beträgt der Höhenunterschied rund drei Meter. Oberhalb fliesst die Emme noch über dem Grundwasser, unterhalb fliesst die Emme im Grundwasser. Wenn also das Grundwasser hoch ist, fliesst es höher als die Emme und gibt laufend Wasser in die Emme ab. Je nach Höhenunterschied fliessen also 1,5 bis 2 Kubikmeter Wasser pro Sekunde in die Emme. Sobald das Grundwasser tief steht, fliesst entsprechend weniger Wasser in die Emme zurück.
Hans-Peter Oberhänsli bestätigt, dass im Oberlauf der Emme Wasser für die Stadt Bern abgeleitet wird. Der derzeitige Wassermangel sei aber nicht auf eine ungebremste Entnahme zurückzuführen, sondern habe seine Ursachen in den vorbeschriebenen Ereignissen. Er spricht von Probebohrungen im oberen Flusslauf, weil dort Grundwassermengen vermutet werden, die dem Grossraum Bern zugeführt werden könnten.

Wasser für kommerzielle Nutzung
Mitverantwortlich für die geringe Wassermenge in der Emme ist die Tatsache, dass vom Flusslauf für Bäche, Kanäle, teilweise auch für Kraftwerke, Wasser abgeleitet wird. Rund um Burgdorf fliesst nicht wenig Emme-Wasser durch das hiesige Kanalnetz, Wasser, das zum Teil versickert oder verduns­tet. Der von Burgdorf herkommende Bach quert an der Grenze zu Lyssach mittels Düker die Emme (ein Düker ist eine Druckleitung zur Unterquerung einer Strasse, eines Tunnels, eines Flusses usw.), fliesst durch Kirchberg und nicht mehr in die Emme zurück. Das meiste Wasser mündet schliesslich in die Aare, ohne je wieder in die Emme zu gelangen. Nur ein Teil quert als Mühlebach die hiesigen Felder und fliesst beim Einlauf der Urtenen in die Emme zurück ins ursprüngliche Flussbett.
Beim Einlauf der Urtenen beginnt der Kanal des Kraftwerks bis unterhalb Utzenstorfs, wo die Seite gewechselt wird. Der Kanal quert die Emme beim Stauwehr, circa 800 Meter unterhalb der Brücke von Utzenstorf, und fliesst auf die andere Seite bis zum Stahlwerk Gerlafingen. Dieses Wasser fehlt der Emme auf dem Abschnitt des Kanals. Das zeigt deutlich, dass die Emme auf Quellwasser und Quellbäche angewiesen ist, die im Emmental verschiedentlich vorkommen. Wenn allerdings eine längere Trockenperiode infolge grosser Hitze auftritt, versiegen auch diese Zuläufe teilweise oder ganz. Das Wasser in der Emme wird entsprechend weniger und weniger. Bei ausreichend Wasser realisiert man kaum, dass im Bereich Kirchberg–Utzenstorf Wasser versickert.

Umdenken nach Schäden
Laut Hans-Peter Oberhänsli sind die früher viel gelobten Begradigungen der Emme in der Zeitspanne ab 1870 erfolgt. «Die Emmeschlaufen wurden trockengelegt und kanalisiert, mit grossen Blöcken verbaut und mit Weiden bepflanzt. Die Emme hat sich durch die Kanalisierung in den Untergrund eingegraben, was zu Problemen bei den Ufern und Brücken führte. Dies versuchte man mit dem Einbau von Schwellen zu verhindern. Die Nachteile sind im Lauf der Jahre unübersehbar, die Schäden durch Hochwasser teilweise beträchtlich.»
Er kommt auf die vor Jahren begonnenen Arbeiten für die Renaturierung der Emme zu sprechen («D’REGION» berichtete mehrfach). «Während früher das Credo lautete: ‹Flüsse und Bäche kanalisieren›, hat bei den Verantwortlichen aufgrund der gemachten Erfahrungen und durch die entstandenen Schäden ein Umdenken stattgefunden. Soweit immer möglich werden heute den Fliessgewässern die benötigten Überflutungsräume gewährt beziehungsweise neu erstellt, um Lebensraum für Flora und Fauna zu schaffen. Das gilt auch für den oben genannten Abschnitt der Emme, der in einem von Fussgängern viel besuchten Auengebiet von nationaler Bedeutung liegt.»
Bisweilen fragen sich Wanderer und Spaziergängerinnen nach dem Sinn der Massnahmen, da ja die Emme dann noch breiter wird. Das Ziel der Renaturierung besteht nicht in der ausschliesslichen Verbreiterung der Emme, sondern der Fluss soll laut Hans-Peter Oberhänsli wieder mäandrieren. Das bedeutet, dass der Fluss alle 150 bis 300 Meter immer wieder die Seite wechselt.

Bewährte gesamtschweizerische Massnahmen
«Beim Mäandrieren gräbt sich die Emme jeweils entlang des Ufers zwei bis drei Meter tief ein. Wenn diese «Unterstände» auch noch im Schatten liegen, bieten sie den Fischen einen willkommenen Unterschlupf. Die tiefen Stellen hinter dem Wehr stellen bei grosser Trockenheit eine Gefahr für die Fische dar, denn diese sind im abgeschlossenen Tossbecken (tiefe Stellen hinter dem Wehr) gefangen. Das Wasser wärmt sich auf, die Fische haben zu wenig Sauerstoff.» Natürlich werde versucht, diese Stellen auszufischen, aber das gelingt nicht immer.
Wenn die Emme schmal fliesst, ist das gesamte Flussbett knapp bedeckt. Wenn sie mäandriert, bildet sie tiefe Stellen am Ufer. Aus diesem Grund werden mittlerweile bei allen Schweizer Flüssen Renaturierungsmassnahmen vorgenommen.
Beim Mäandrieren eines Flusses entstehen immer wieder grosse Kiesbänke, die teilweise sogar überwachsen und so Lebensraum für Büsche und Pflanzen sowie Insekten und kleines Getier bieten. Bei Hochwasser werden diese Inseln teilweise überflutet und tauchen später wieder aus der Emme empor; hier kann sich eine eigene Fauna entwickeln. Dieser Kreislauf ist beabsichtigt.

Unverständliches Zögern
Bezüglich des Kanals, der oberhalb von Utzenstorf anfängt, besteht laut Hans-Peter Oberhänsli ein Vertrag mit dem Kanton, in dem aber – seltsamerweise – kein Restwasser für den Fortbestand der Fische bei Trockenheit festgelegt worden ist. Derzeit läuft wenig Wasser über die Fischtreppe, aber auch dieses geht zurück. Es ist nicht definiert worden, was passiert, wenn überhaupt kein Wasser mehr die Emme hinunterfliesst. «Die unbedingt nötige Restwassermenge ist nie klar festgelegt worden.» Bemerkenswert ist, dass dieser nicht klar definierte Vertrag noch 20 bis 30 Jahre läuft.
Der Bund hat laut Hans-Peter Oberhänsli den Kanton beauftragt, endlich mal Nägel mit Köpfen zu machen, was aber bis heute nicht möglich gewesen ist. «Mit den Kanalbesitzern müsste die Restwassermenge ausgehandelt werden. Da es hier aber schnell um sehr viel Geld geht – die Rede ist von Millionen – kommen die Gespräche seit Jahren nicht voran.»
Im Bündnerland sind die Beteiligten zu einer Einigung gekommen, wie viel Restwasser zugunsten der Fische definiert werden muss. Nur im Kanton Bern ziehen sich die Verhandlungen hin.

Gute Zusammenarbeit
Paul Kauz, dipl. Maschinenbauingenieur HTL und langjähriger Präsident der Genossenschaft Wasserkraftwerke Burgdorf (GWKB), äussert sich zu den hiesigen Restwassermengen wie folgt: «Die GWKB hat eine Konzession zur Entnahme von 5 Kubikmetern Wasser aus der Emme pro Sekunde. In der Emme muss eine Restwassermenge von 2,2 Kubikmeter pro Sekunde verbleiben. Da der Gewerbekanal, weiter unten auch Grüttbach genannt, bis weit in den Kanton Solothurn reicht und wertvollen Lebensraum beinhaltet, darf dieser unter keinen Umständen trockenfallen. Das bedeutet, dass in sehr trockenen Perioden der Fischereiaufseher zusammen mit der GWKB eine circa hälftige Wasseraufteilung zwischen Emme und Gewerbekanal vornimmt.»

Gerti Binz

 


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