100 Jahre Bewährungshilfe im Kanton Bern

  30.09.2011 Aktuell, Politik, Region, Burgdorf, Gesellschaft

Vor 100 Jahren wurde die staatliche Bewährungshilfe im Kanton Bern per Dekret ins Leben gerufen. Zu diesem Jubiläum hat die kantonale Militär- und Polizeidirektion das Historische Institut der Universität Bern beauftragt, die Geschichte der Bewährungshilfe im Kanton Bern aufzuarbeiten. Daraus entstand der Sammelband «Zwischen Aufsicht und Fürsorge». Zudem thematisierte die Wanderausstellung «bedingte Freiheit», die in Bern, Thun, Biel und Burgdorf gastierte, die Arbeit der heutigen Bewährungshilfe. «D’REGION» unterhielt sich zu diesem Thema mit Pia Neuhaus, der Leiterin der Regional­stelle Emmental-Oberaargau der Abteilung Bewährungshilfe und alternativer Strafvollzug (ABaS).

«D’REGION»: Risikoorientierung ist ein zentraler Begriff in der heutigen Bewährungshilfe. Können Sie diesen erläutern?
Pia Neuhaus: Risikoorientierung meint, dass in der Umgebung der Klientel nach Faktoren gesucht wird, die einen Rückfall begünstigen, und nach Schutzfaktoren, die einen solchen unwahrscheinlicher machen. Das Thema ist nicht ganz neu. Was sicher neu ist, ist die systematische Erfassung in einem Formular mit normierten Fragen. Je besser die Risikoeinschätzung gemacht werden kann, desto besser ist der Schutz für die Gesellschaft. Die Bewährungshilfe trägt sehr viel zur öffentlichen Sicherheit bei. Ich finde wichtig, dass sich die Gesellschaft dessen bewusst ist.

«D’REGION»: Nebst der angeordneten Bewährungshilfe bieten Sie noch soziale Unterstützung an, die freiwillig genutzt werden kann. Warum dies?
Neuhaus: Gemäss Art. 96 des Strafgesetzbuches haben die Kantone eine soziale Betreuung für jede Person, die sich in einem Strafverfahren oder im Straf- und Massnahmenvollzug befindet, anzubieten. Gerade in der Untersuchungshaft nehmen sehr viele Leute die Hilfe von aussen in Anspruch. Wir haben dort das Glück, dass uns eher Vertrauen entgegengebracht wird als dem internen Personal. Auch Personen im Straf- und Massnahmenvollzug können Bewährungshilfe freiwillig in Anspruch nehmen. Der Gedanke dort ist, möglichst früh ins Mandat einzusteigen.

«D’REGION»: Wie wichtig ist die Freiwilligenarbeit bei der Wiedereingliederung der Klientel in die Gesellschaft?
Neuhaus: Diese hat einen recht grossen Stellenwert. Die Freiwilligen sind oftmals die ersten Personen, die mit unserer Klientel in Kontakt treten und die nicht Amtspersonen sind. Es ist eine Brücke ins zivile Leben. Die Freiwilligen müssen bereit sein, den Menschen und nicht das Delikt zu sehen. Sie sind für die Straffälligen wichtige Bezugspersonen. Zu merken, da ist jemand in der Gesellschaft, der mir Zeit schenkt und der mich wichtig nimmt. Das wirkt oftmals sehr.

«D’REGION»: Die Regionalstelle Emmental-Oberaargau wird ja in das neue Verwaltungszentrum im Neumattquartier umziehen. Erleichtert diese Zentralisierung und die Nähe zum ebenfalls dort untergebrachten Regionalgefängnis Ihre Arbeit?
Neuhaus: Oh ja. Für uns entstehen da sicherlich gute Synergien und Erleichterungen in der Zusammenarbeit.
Wir gehen alle 14 Tage ins Regionalgefängnis und bieten Sprechstunden an. Das neue Gefängnis wird mehr Plätze haben und die Bewährungshilfe wird dort präsenter sein. Auch die Nähe zu den Gerichten sehe ich als Vorteil.

«D’REGION»: Was schätzen Sie besonders an Ihrer Arbeit?
Neuhaus: Den Umgang mit ganz verschiedenen Personen. Ich habe mit den unterschiedlichsten Charakteren zu tun. Das gefällt mir sehr.

«D’REGION»: Was bereitet Ihnen am meisten Mühe bei Ihrer Arbeit?
Neuhaus: Die Feindlichkeit gegenüber Fremden und gegenüber allem, was etwas aus der Reihe tanzt, bereitet mir sehr viel Mühe. Und die Meinung, dass mit härteren und längeren Strafen mehr erreicht werden könnte, ist für mich eine Verzerrung der Wirklichkeit.
60 Prozent aller begangenen Straftaten sind Vergehen gegen das Strassenverkehrsgesetz. Die ganz schweren Delikte machen rund 10 Prozent aus. Ich will nichts kleinreden. Auch ein Einbruchdiebstahl kann für jemanden traumatisch sein, aber es sind rechtlich gesehen nicht die schwersten Delikte.
In meiner persönlichen Rolle im Kontakt mit den Straffälligen macht mir am meisten Mühe, meine eigenen Grenzen zu akzeptieren. Ich kann jemandem eine gewisse Hilfe anbieten, meine Zeit etwas verlängern, aber irgendwann sind meine Möglichkeiten ausgeschöpft. Markus Hochuli\n

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