«Die Irre von Chaillot» im Casino Theater

  25.02.2014 Aktuell, Kultur, Burgdorf, Vereine

Es ist ein zeitloses Theaterstück, das man mit minimen Änderungen bei den Kostümen und in der Technik sowohl in den Anfängen der Menschheit als auch in den folgenden Jahrtausenden bis zum heutigen Tag ansiedeln könnte. Trotz dramatischer Momente agieren die Figuren auf der Bühne voller Humor, oftmals Galgenhumor, blitzen Liebe, Güte und Menschlichkeit auf, auch wenn von anderen Akteuren Gier, Skrupellosigkeit, Diebstahl und Mord als erstrebenswert gelebt werden. Das Bühnenbild von Heinz Egger besticht durch die Farbe und passend zur Handlung durch die wechselnden Elemente.

Abgrundtief und hoffnungsvoll
Die Theatergruppe Burgdorf (TGB) hat sich mit «Die Irre von Chaillot» hohe Ziele gesteckt und diese auch erreicht. Marie-Louise van Laer als Irre, von den Profiteuren und Halsabschneidern im teuren Kleidern als lächerliche Figur verspottet, beweist als die von den im Leben zu kurz Gekommenen als «Gräfin» bezeichnete und hochgeachtete Persönlichkeit des Pariser Vorortes Chaillot Verstand und Mut: Mit Hilfe der Rechtlosen und Ausgebeuteten findet eine Gerichtsverhandlung statt, in welcher der Lumpensammler die Argumente der Wirtschaftsgangster und Betrüger vorbringen kann, während das Blumenmädchen, die Küchenhilfe, der Bettler, der Schuhbandverkäufer, die Stumme und andere in ihren Anklagen von Demütigungen, Betrug, Diebstahl und alltäglichem Elend berichten, verursacht durch Präsident, Baron, Makler und Prospektor.

Letztere vier stehen, überheblich und höhnisch das Elend ihrer Mitmenschen verspottend, für raffgierige Unternehmer, kriminelle Banker, bankrotten Geldadel und fortschrittsgläubige Technokraten, die dem erhofften Geldregen Kultur, Anstand und Menschenwürde opfern wollen. «Nicht ich bete das Geld, sondern das Geld betet mich an», hält der Präsident fest. «Das Geld liebt die Intelligenz, läuft mir daher nach, lässt mich nicht los. Wir Reichen tragen keine Schuld an unserem Vermögen.» Seine 40 Milliarden wird er einfach nicht los, obwohl er dem Bettler einmal im Quartal ein Almosen gibt. Dafür bestiehlt er den Schuhputzer, «denn gefundenes Geld gehört immer den Reichen. Und erst die Frauen...» Der Präsident wendet sich ans Publikum: «Die Dünnen ködere ich mit einem Nerz, die Dicken mit Perlen. Kaviar lieben sie alle, und wenn ich sie erst in meinem Rolls-Royce habe, gehören sie mir.»

Der süsse Duft des Geldes
Wie oft im Leben verändern Geld und Macht einen Menschen; auch der Lumpensammler wächst in seine Rolle als stellvertretender Angeklagter hinein und findet bei der fiktiven Gerichtsverhandlung durchaus Gefallen an den Annehmlichkeiten eines unmoralischen und kriminellen Lebens. Genüsslich schildert er die Möglichkeiten zur Befriedigung seiner Begierden, die er dank seines Reichtums und der lustvoll gelebten Skrupellosigkeit bei weiteren Betrügereien und Morden scheinbar ohne Ende ausleben kann. Am Ende verurteilen die Irre und ihre Freunde die vier Geschäftsleute zum Tod, sie sollen von der Bühne des Lebens verschwinden. Der Theater-crew gelingt es überzeugend, sowohl die hemmungslosen Geschäftsleute als auch die nicht einfachen Figuren der auf der Schattenseite des Lebens stehenden und bisweilen mutlosen Unterdrückten zu zeichnen: Hoffnungslosigkeit, Naivität und Unterwürfigkeit wird ebenso Platz gegeben wie aufflackernder Liebe, Mut und Raffinesse. Vor allem Letzteres benötigt Aurélie, die Irre, welche die nach Erdöl unter den Strassen von Paris suchenden kriminellen Wirtschaftsbosse in einen Schacht mit der angeblichen Ölquelle steigen lässt und sie dort für die Ewigkeit konserviert.

Freundlich lächelnd wendet sich die Irre ans Publikum: «Eine vernünftige Frau genügt, damit die Verrücktheit der ganzen Welt sich an ihr die Zähne ausbeisst.»

Gerti Binz

Die Daten der weitere Vorführungen sowie Informationen unter www.tgburgdorf.ch


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