Schlafstörungen können viele Gründe haben

  01.04.2014 Aktuell, Gesellschaft

«Schlaf und Schlafstörungen» heisst der Publikumsvortrag von übermorgen Donnerstag, 3. April, 19 bis 20 Uhr, im Kurslokal des Spitals Emmental in Burgdorf. Die beiden Referenten sind Prof. Dr. med. Johannes Mathis (FMH Neurologie, Leiter am Schlaf-Wach-Zentrum des Inselspitals Bern) sowie Dr. med. Markus Riederer (FMH Pneumologie und Allgemeine Innere Medizin, Leitender Arzt am Spital Emmental). Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung nicht erforderlich. Nach dem Vortrag wird traditionsgemäss ein kleiner Aperitif offeriert, bei dem die Referenten für Gespräche und Fragen zur Verfügung stehen.

«D’REGION»: Wie werden Sie den Vortrag gestalten?
Dr. Riederer: Der Abend wird dreigeteilt. Professor Mathis wird über «zu viel und zu wenig Schlaf» sprechen – über Ein- und Durchschlafstörungen sowie über unruhige, zappelige Beine im ersten Teil und über die «schläfrige Depression» sowie die Fahreignung im dritten Teil. Dazwischen werde ich über das gefährliche Schnarchen mit Atemaussetzern während des Schlafens referieren.

«D’REGION»: Werden Ihnen die Patienten meist von Hausärzten zugewiesen?
Dr. Riederer: Ja. Allerdings geben oft auch die Partner – meist Partnerinnen – den Anstoss für einen Arztbesuch. Dann nämlich, wenn sie nachts durch lautes Schnarchen am Schlafen gehindert werden oder wenn sie beobachtet haben, dass der Partner bei Autofahrten kurz einnickte. Es kommt auch vor, dass die Polizei nach einem durch Sekundenschlaf verursachten Autounfall zu ärztlichen Abklärungen rät.

«D’REGION»: Wie viel Stunden Schlaf braucht der Mensch?
Dr. Riederer: Das ist sehr individuell. Tatsache aber ist, dass der Schlaf lebensnotwendig ist. Das haben Versuche mit Nagetieren gezeigt, die bei übermässigem Schlafentzug gestorben sind. Das Gehirn benötigt, wie eine in «Nature» zitierte Studie von 2013 zeigt, den Schlaf, um Abfallsubstanzen – Amyloide – herauszuwaschen. Es findet also eine Art von «Gehirnwäsche» statt. Diese Reinigungsfunktion des Gehirns tritt auch nach einer durchzechten Nacht ein.

«D’REGION»: Schnell einschlafen, friedlich schlummern, am Morgen ausgeruht erwachen. Das ist der Ideal­fall. Was tun, wenn das Gegenteil der Fall ist?
Dr. Riederer: Das grösste Problem in westlichen Ländern ist, dass die Menschen zu wenig schlafen. Sie sind tags berufstätig und abends weiter aktiv, indem sie Anlässe besuchen oder sich sportlich betätigen. Wichtig ist auch, abends nicht mehr üppig zu essen, auf Koffein und Alkohol zu verzichten sowie auf die Schlafhygiene zu achten. Kaum einschlafen kann, wer kalte Füsse hat oder ganz generell friert. Bettsocken und Kappe können Abhilfe schaffen. Häufig ist ein oberflächlicher, unruhiger Schlaf mit zappeligen Beinen. Auch eine Depression kann den Schlaf beeinträchtigen.

«D’REGION»: Welches sind die wichtigsten Krankheiten mit Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus?
Prof. Dr. Mathis: An krankhaften Schlafstörungen, welche regelmässig mit Schlafmitteln behandelt werden, leiden bis zu zehn Prozent der Frauen und fünf Prozent der Männer. Sporadische Schlafstörungen betreffen bis zu 30 Prozent der Bevölkerung. Das Restless-Legs-Syndrom betrifft rund vier Prozent der Frauen und etwa zwei Prozent der Männer. Ungefähr vier Prozent der berufstätigen Männer und zwei Prozent der berufstätigen Frauen leiden unter einem gefährlichen Schnarchen, der sogenannten Schlafapnoe. Andere Ursachen von Tagesschläfrigkeit sind die Narkolepsie und die Depression.

«D’REGION»: Können Schlafstörungen familiär vererbt sein?
Prof. Dr. Mathis: Ja. Bei den meisten Schlaf-Wach-Störungen besteht zumindest eine genetische Veranlagung.

«D’REGION»: Ist es sinnvoll, sich vor dem Schlafengehen einen alkoholhaltigen Schlummertrunk zu genehmigen?
Dr. Riederer: Nein. Das ist sogar kontraproduktiv und fördert das Schnarchen. Der Schlaf stellt sich nach einem Schlummertrunk zwar meist schneller ein, die Schlafqualität ist aber schlechter, und man erwacht schnell wieder, weil die Abbauprodukte des Alkohols einen Weckeffekt haben.

«D’REGION»: Wie gefährlich ist das Schnarchen und das Aussetzen der Atmung während des Schlafens?
Dr. Riederer: Das kann lebensgefährlich sein. Vor allem, wenn diese Aussetzer über zehn Sekunden oder sogar über eine Minute dauern. Fünf Atempausen pro Stunde und mehr sind nicht normal. Gefährlich leben jene Leute, die dreissig oder mehr Aussetzer haben. Oft sind es Übergewichtige. Sie leiden häufiger an Herz-Kreislauf-Erkrankungen und das Risiko ist grösser, an einem sogenannten Herzschlag zu sterben. Viele Atempausen bewirken, dass die Betroffenen am Morgen müde sind und die Gefahr eines Sekundenschlafs erhöht ist. Wer nachts schnarcht und tagsüber extrem müde ist, sollte abklären lassen, ob eine Schlafapnoe vorliegt.

«D’REGION»: Wie kann man das Schnarchen und Atempausen unterbinden?
Dr. Riederer: Bei einer leichten Schlafapnoe reicht es manchmal aus, den Lebensstil zu ändern. Beim Schnarchen und bei leichter Schlafapnoe kann auch das tägliche Spielen des australischen Nationalinstruments Didgeridoo helfen, weil es die Muskeln der oberen Luftwege stärkt. Sind die Symptome nicht zu beseitigen, ist das dauerhafte Tragen einer Atemmaske während des Schlafs die aktuell erfolgreichste Therapie und die bisher wirksamste Behandlungsmethode. Sollte diese Therapie aber nicht toleriert werden, kommen die Anpassung einer Bissschiene oder ein operativer Eingriff durch den Hals-Nasen-Ohren-Arzt infrage. Eine Alternative gegen das Schnarchen ist die Gaumenspange. Sie hebt das Gaumensegel an. Die Spange ist kein sicheres Mittel gegen Schlafapnoe. Sie hilft aber gegen Schnarchen und möglicherweise auch bei leichter Schlafapnoe.

«D’REGION»: Welchen Einfluss auf den Schlaf hat Schichtarbeit?
Dr. Riederer: Schichtarbeit ist nachweislich nicht gesund – und vor allem ist ein steter Schlafzeiten-Wechsel Gift für einen erholsamen Schlaf. Damit haben viele Leute Mühe.

«D’REGION»: Empfehlen Sie Baldrian-Tropfen zur Beruhigung und zum schnelleren Einschlafen?
Dr. Riederer: Weder Baldrian-Tropfen noch «Klosterfrau Melissengeist» sind empfehlenswert, weil diese hochprozentigen Alkohol enthalten. Wer nicht einschlafen kann, sollte dieses Problem primär mit schlafhygienischen Massnahmen angehen. Helfen kann auch, dass man nicht ruhelos im Bett liegt, sondern bei Einschlafproblemen kurz aufsteht und beispielsweise eine Honigmilch trinkt.

«D’REGION»: Verordnen Sie auch Schlafmittel?
Dr. Riederer: Während Spitalaufenthalten bei akuten Krankheiten ja, ansons­ten in der Regel nicht. Mit Schlafmitteln sollte man sehr zurückhaltend sein, weil sie zu einer Abhängigkeit führen können.

«D’REGION»: Wie behandelt man die übrigen Schlaf-Wach-Krankheiten?
Prof. Dr. Mathis: Die chronische Insomnie wird am besten mit einer Verhaltenstherapie behandelt – beim Restless-Legs-Syndrom entweder mit Eisengabe oder mit Medikamenten. Bei der Narkolepsie und anderen Krankheiten mit ausgeprägter Tagesschläfrigkeit setzt man Antidepressiva oder Stimulanzien wie zum Beispiel Ritalin ein.

«D’REGION»: Verfügt das Spital Emmental über ein Schlaflabor?
Dr. Riederer: Nein. Wir führen in einem ersten Schritt nach einer genauen Befragung ambulante Schlaf­untersuchungen durch. Sollten diese keine genaue Diagnose ermöglichen, weise ich die Patienten dem Schlaflabor des Inselspitals Bern zu. Diese Abteilung führt eine interdisziplinäre Sprechstunde und findet in der Regel heraus, warum jemand schläfrig ist. Zudem bietet das Inselspital auch Insomnie-Sprechstunden an.
Das Regionalspital Emmental gibt Interessierten auch ein Blatt mit «guten Schlafgewohnheiten» ab. Unter Punkt 3 (von 5) ist dort die «Gestaltung des Schlafzimmers» aufgeführt: «Reduzierte Raumtemperatur im Schlafzimmer. Angenehme, beruhigende Atmosphäre in einem schönen Schlafzimmer. Bequemes Bett und angenehme Nachtbekleidung. Das Schlafzimmer sollte Schlafen und Sexualität vorbehalten sein.»

Zu den Personen
Prof. Dr. med. Johannes Mathis ist Leiter am Schlaf-Wach-Zentrum des Inselspitals Bern. Besondere Schwerpunkte und Spezialisierungen sind die Schlafmedizin, vor allem das Restless-Legs-Syndrom und Schläfrigkeit/Müdigkeit, Sekundenschlaf und Fahreignung. Er war von 2009 bis 2011 Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Schlafforschung, Schlafmedizin und Chronobiologie sowie von 2003 bis 2013 Präsident der Schweizerischen Restless-Legs-Selbsthilfegruppe. Seit 1992 ist er ärztlicher Beirat der Schweizerischen Narkolepsie-Gesellschaft.

Dr. med. Markus Riederer ist Leitender Arzt am Spital Emmental, FMH Pneumologie und Allgemeine Innere Medizin. Er ist 49-jährig, verheiratet und Vater zweier inzwischen im Jugendalter stehender Kinder. Er lebt mit seiner Familie in Koppigen. Am Spital Emmental ist er seit Juni 2001 tätig.

Hans Mathys




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