Wenn die Zeit der entscheidende Faktor ist
10.09.2014 Aktuell, Region, Burgdorf«10 x defibrilliert – mein Leben danach», heisst das Thema des Publikumsvortrages von übermorgen, Donnerstag, 11. September, 19 Uhr, im Spital Emmental in Burgdorf. Den Abend gestalten neben den Kardiologen Dr. med. Max Hilfiker und Dr. med. Dieter Wallmann Narkoseärztin Dr. med. Barbara Schlaeppi, Rettungssanitäterin Mirjam Wiederkehr und Patient Jakob Andres.
«D’REGION»: Welcher Vorfall hat Ihr Leben verändert?
Jakob Andres: Am 17. April 2012 erlitt ich einen Herzinfarkt. Demzufolge kam es zu einem Herzstillstand, und ich wurde während einer Stunde reanimiert.
«D’REGION»: Waren Sie ein Risikopatient für den Herzinfarkt?
Jakob Andres: Ja, eigentlich schon. Nur war mir dies nicht bewusst. Ich rauchte, hatte viel Stress im Job, und über eine gesunde Ernährung machte ich mir wenig Gedanken.
«D’REGION»: Hat der Vorfall Ihre Lebensqualität negativ verändert?
Jakob Andres: Nein, eher positiv. Ich gehe nun alles ruhiger an.
«D’REGION»: Dieser Herzstillstand liegt über zwei Jahre zurück. Wie haben sie das Ganze verarbeitet?
Jakob Andres: Meine Familie gab mir viel Halt und Kraft. Auch hatte ich Gelegenheit, mich mit der Rettungssanitäterin – sie war bei meinem Herzstillstand dabei – auszutauschen. Ich bekam so viele Antworten auf offene Fragen, die für mich im Rahmen der Verarbeitung wichtig waren.
«D’REGION»: Welche Rolle spielt der Faktor Zeit, wenn Sie wegen eines Herz-Kreislaufstillstandes alarmiert werden?
Mirjam Wiederkehr: Die Zeit ist der wichtigste Faktor bei einem Herz-Kreislaufstillstand. Pro Minute, wo keine Herzmassage gemacht wird bis zu unserem Eintreffen mit der Ambulanz sinkt die Überlebenschance um 10 Prozent. Im Emmental haben wir aufgrund der hügeligen Landschaft und abgelegener Bauernhäuser teilweise Anfahrtszeiten von 20 bis 30 Minuten. Demzufolge ist Laienreanimation sehr wichtig.
«D’REGION»: Wieviel Prozent überleben ausserhalb des Spitals einen Herz-Kreislaufstillstand?
Mirjam Wiederkehr: Bei uns im Emmental sind es nur fünf Prozent. Die Gründe sind lange Anfahrtswege der Ambulanz, keine Laienreanimation, nicht erkennen des Herz-Kreislaufstillstandes – oder der Herz-Kreislaufstillstand geschah zu Hause bei Abwesenheit von Angehörigen. Deshalb wurden in diversen Gemeinden im Emmental First Responder-Gruppen gebildet. Diese bestehen aus Angehörigen des Samaritervereins, der Feuerwehr oder Privatpersonen. Sie werden durch unser Projektteam ausgebildet und betreut, sind im Dorf wohnhaft und ortskundig. So sind sie in wenigen Minuten am Einsatzort, beginnen mit der Herzmassage und setzen auch den Defibrillator ein – bis unser Rettungsteam eintrifft. Die First Responders machen ihren Job sehr gut und sind für die Bevölkerung im Emmental wichtig.
«D’REGION»: Wie erkennt man einen Herz-Kreislaufstillstand – und kommt der Defibrillator immer zum Einsatz?
Mirjam Wiederkehr: Das bekannte «GABI» gibt es nicht mehr. Wenn eine Person bewusstlos ist und nicht mehr atmet, handelt es sich um einen Herz-Kreislaufstillstand. Herzmassage ist die erste Massnahme: 30 Herzmassagen gefolgt von zwei Beatmungen. Wenn das Beatmen schwierig oder kein Hilfsmittel vorhanden ist, kann dies weggelassen werden. Der Defibrillator kann durch eine zweite Person geholt und angeschlossen werden und gibt den Ersthelfern klare Anweisungen. Handelt es sich um ein Kammerflimmern, wird vom Defibrillator ein Stromstoss abgegeben oder man wird angeleitet, um den Stromstoss auszulösen und danach sofort wieder Herzmassage zu machen. Bei einer Nulllinie nützt ein Stromstoss nichts und der Defibrillator teilt den Ersthelfern mit, man solle weitermachen mit Herzmassage. Den Defibrillator lässt man angeschlossen. Alle zwei Minuten macht er selbstständig eine Analyse und entscheidet: Stromstoss oder kein Stromstoss.
«D’REGION» Sollte ein Defibrillator nur von einer dafür ausgebildeten Person eingesetzt werden?
Mirjam Wiederkehr: Jeder Laie, ob geschult oder nicht geschult, kann den Defibrillator einsetzen. Klar gibt es einem Sicherheit, wenn man einen BLS-AED-Grundkurs bei den Samaritervereinen oder anderen Anbietern besucht hat. BLS bedeutet Herzmassage, AED Defibrillator. An solchen Kursen lernen die Teilnehmenden nebst der Herzmassage und Bedienung des Defibrillators noch verschiedene Lagerungen, Griffe für andere Notfälle sowie die Krankheitsbilder Herzinfarkt und Schlaganfall kennen. Während einer Defibrillation ist wichtig, dass niemand den Patienten berührt und keine Defibrillation in einer Pfütze oder auf einem leitenden Untergrund stattfindet.
«D’REGION»: Sie und Arztkollege Dr. Wallmann sind Kardiologen. Sie beide befassen sich mit Erkrankungen des Herzens. Arbeiten Sie als Team?
Dr. Hilfiker: Wir bieten als Team die nichtinvasive Kardiologie am Spital in Burgdorf an. Grundsätzlich bieten wir beide die gleichen Dienstleistungen an. Einzig seltenere Untersuchungen wie die Belastungsechokardiographie und Eingriffe wie die Schrittmacherimplantation werden nur von einem Kardiologen durchgeführt. Dadurch können wir höhere Qualitätsstandards erreichen.
«D’REGION»: Welches sind Ihre Hauptaufgaben?
Dr. Hilfiker: Wir bieten den Kollegen des Spitals eine Beratung für alle Fragen, welche die Kardiologie betreffen. Alle nichtinvasiven Untersuchungen können wir in Burgdorf anbieten. Für Herzkatheteruntersuchungen oder für Herzoperationen – mit Ausnahme der Schrittmacherimplantation – werden die Patienten nach Rücksprache mit uns nach Bern überwiesen.
«D’REGION»: Wann setzen Sie den Defibrillator ein, wann nicht?
Dr. Hilfiker: Die Defibrillation hilft, gefährliche Rhythmusstörungen wie Kammertachykardien und Kammerflimmern zu beenden. Das bedeutet, dass nach der Defibrillation in der Regel wieder ein Herzrhythmus besteht, der eine Pump-Funktion des Herzens ermöglicht. Die Defibrillation wird auch bei Vorhofflimmern oder Vorhofflattern eingesetzt und dient in diesen Situationen zur Konversion in einen normalen Sinusrhythmus.
«D’REGION»: Gibt es nach dem Defibrillieren Nebenwirkungen?
Dr. Hilfiker: Es gibt Patienten, die wiederholt defibrilliert werden müssen. Die Defibrillation selbst ist ohne wesentliche Nebenwirkungen. Bei Patienten, die mehrmals defibrilliert werden müssen, besteht aber eine besonders komplizierte und schwierige Situation mit längeren Wiederbelebungsmassnahmen.
«D’REGION»: Wann wird ein Patient weiterhin defibrilliert und wann sind andere Methoden wie eine Bypass-Operation sinnvoll?
Dr. Wallmann: Die Defibrillation dient nur zur Beendigung eines Kammerflimmerns oder einer Kammertachykardie. Mit weiteren Abklärungen – unter anderem einer Herzkatheteruntersuchung – werden die Ursachen der lebensgefährlichen Rhythmusstörungen gesucht. Bei der Mehrzahl der Patienten werden die Rhythmusstörungen durch eine Mangeldurchblutung des Herzmuskels verursacht – Herzinfarkt. Meistens erfolgt eine sofortige Behandlung mit einer Ballondilatation und Stenteinlage in den betroffenen Herzkranzgefässen. Selten ist auch eine notfallmässige Bypass-Operation notwendig.
«D’REGION»: Nehmen das Kammerflimmern und der damit verbundene plötzliche Herztod im Alter zu?
Dr. Wallmann: Das Risiko, einen Herzinfarkt – und damit auch gefährliche Rhythmusstörungen – zu erleiden, steigt mit zunehmendem Alter. Dementsprechend steigt auch das Risiko für einen plötzlichen Herztod. Neben der Erkrankung der Koronararterien gibt es auch andere Herzkrankheiten, bei denen lebensgefährliche Rhythmusstörungen auftreten können. Diese viel selteneren Erkrankungen betreffen häufig jüngere Patienten.
«D’REGION»: Was hat die Pharmaindustrie anzubieten?
Dr. Wallmann: Es gibt Medikamente wie beispielsweise Beta-Blocker und Amiodarone, die Rhyhtmusstörungen verhindern können. Bei Patienten, bei denen das Risiko für gefährliche Rhythmusstörungen längerfristig als erhöht beurteilt wird, besteht die Möglichkeit, ein implantierbares Defibrillationsgerät einzusetzen. Diese Geräte werden ähnlich wie ein normaler Schrittmacher implantiert.
«D’REGION»: Ihr Fachgebiet heisst Anästhesie. Wofür – ausser für Narkosen – sind Sie zuständig?
Dr. Schlaeppi: Unsere Fachgesellschaft nennt sich «Schweizerische Gesellschaft für Anästhesiologie und Reanimation». Dies macht deutlich, dass die Reanimation – inklusive Defibrillation – sehr eng mit unserem Fach verknüpft ist und zu unseren Kernkompetenzen gehört. Unsere tägliche Arbeit beinhaltet wesentlich mehr als «Narkose machen» und schliesst unter anderem Reanimation sowie Defibrillation ein.
«D’REGION»: Was wissen Sie jeweils von den Patienten, wenn diese für einen Eingriff in den Operationssaal gefahren werden?
Dr. Schlaeppi: In vielen Fällen ist uns die Krankengeschichte des Patienten bereits vorher bekannt. Das Allerwichtigste ist jedoch das persönliche Gespräch mit dem Patienten vor der Operation. Dabei werden neben der persönlichen Krankengeschichte mögliche Narkoseverfahren und deren Risiken besprochen. Man kann dann gezielt auf Fragen und eventelle Ängste des Patienten eingehen. So weiss er im Voraus, was am Operationstag mit ihm geschieht und dass er durch uns mit grösster Sorgfalt betreut wird.
«D’REGION»: Wo liegen die Unterschiede des Narkotisierens von damals und heute?
Dr. Schlaeppi: Die Anästhesiologie hat sich in den letzten Jahrzehnten enorm entwickelt. Wer eine «Holzhammer-Narkose» erwartet, wird erstaunt sein, wie vielseitig die Möglichkeiten heute sind, um jemanden schmerzfrei durch eine Operation zu begleiten. Neben Vollnarkosen werden Teilnarkosen oder eine Kombination von beiden durchgeführt, um Patienten in optimaler Weise zu anästhesieren. Der grösste Fortschritt ist jedoch bei der Patientenüberwachung und -sicherheit zu verzeichnen. Ein Mensch ist nie so gut überwacht, wie während einer Narkose.
Zu den Personen
Jakob Andres, geboren am 15. Dezember 1952, ist verheiratet. Er hat zwei Töchter, wohnt in Walkringen und ist Disponent.
Mirjam Wiederkehr ist Rettungssanitäterin am Spital Emmental, wo sie seit 2009 arbeitet und stellvertretende Leiterin Rettungsdienst sowie Notfallstation ist. Sie wurde am 5. Juni 1980 geboren, ist ledig und wohnt in Eriswil.
Dr. med. Max Hilfiker und Dr. med. Dieter Wallmann sind Leitende Ärzte Kardiologie am Spital Emmental, Standort Burgdorf. Sie führen gemeinsam eine kardiologische Praxis und leiten die Kardiologie am Spital in Burgdorf. Hier werden die nichtinvasive Kardiologie angeboten und die invasive Kardiologie – zum Beispiel Herzkatheteruntersuchungen – mit dem Inselspital Bern koordiniert. In Burgdorf wird auch eine ambulante kardiale Rehabilitation angeboten.
Frau Dr. Barbara Schlaeppi ist Fachärztin für Anästhesiologie FMH. Sie wurde am 6. Mai 1961 geboren, wohnt in Heimiswil und ist seit April 2000 am Spital Emmental tätig.
Hans Mathys