Die Erinnerung an Minger Ruedi
08.10.2014 Aktuell, GesellschaftWer in Mülchi nach dem bekanntesten Bürger fragt, der je hier gelebt hat, kann nur eine Antwort erhalten: «Minger Ruedi». Politiker Rudolf Minger, geboren am 13. November 1881 in Mülchi, war von 1930 bis 1940 Bundesrat, 1935 Bundespräsident. Er setzte sich 1939 vehement dafür ein, dass sein Freund Henri Guisan durch die Bundesversammlung zum General für den Zweiten Weltkrieg gewählt wurde. Vor ihm gab es kaum einen Bundesrat, über den so viele Witze zirkulierten wie über Minger. «Konkurrenz» erhielt er erst nach seinem Tod von Adolf Ogi, Bundesrat von 1987 bis 2000, der dort wohnt, wo Minger als Jugendlicher die Sekundarschule besuchte – in Fraubrunnen. «Minger Ruedi» war Gründer der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB), der Vorgängerpartei der SVP. Nach der Heirat zog
Minger zu seiner Frau nach Schüpfen, wo er das landwirtschaftliche Heimwesen übernahm. Minger blieb zeitlebens stark mit Mülchi verbunden, das ihm eine Gedenktafel an der «Mühle» widmete. «In diesem Haus lebte Bundesrat Rudolf Minger von 1883 – 1907» steht darauf. Infolge Wassermangels wurde der Mühlebetrieb vor über 100 Jahren eingestellt. Münger starb am 23. August 1955.
Typisches Bauerndorf
Mülchi, am 1. September 1773 von einer Feuersbrunst heimgesucht, der 22 Gebäude zum Opfer fielen, ist ein typisches Bauerndorf. Das Wappen von Mülchi ist die Hagrose. Eine solche schmückt das «Gemeindehaus Mülchi», das 1984 erbaut wurde und an dem jetzt ein «wichtiger Hinweis» angebracht ist: «Der Briefkasten der Gemeindeverwaltung Etzelkofen/Mülchi wird ab dem 18. Dezember 2013 nicht mehr geleert. Bitte werfen Sie keine Briefe ein. Am 1. Januar 2014 startet die fusionierte Einwohnergemeinde Fraubrunnen mit ihren Ortsteilen Büren zum Hof, Etzelkofen, Fraubrunnen, Grafenried, Limpach, Mülchi, Schalunen und Zauggenried in die gemeinsame Zukunft.» Die Busstation hier nennt sich «Mülchi Spritzenhaus». Der Kurs 883 der Regionalverkehr Bern-Solothurn (RBS) führt die Passagiere zum Bahnhof Bätterkinden oder – in die entgegengesetzte Richtung – auf den Dorfplatz Messen, Kanton Solothurn.
Mülchi könnte man «Dorf der vermissten Katzen» nennen, denn bei der Busstation Spritzenhaus lenken mehrere Fotos vermisster Katzen die Aufmerksamkeit auf sich: Charly, Cleo, Uno und Baldi. Geht es nach der Redensart «nomen est omen», sollte sich vor allem der zweijährige «Baldi» auf ein «baldiges» Wiedersehen mit Herrchen oder Frauchen freuen dürfen. Daumen drücken. Gleich neben den Katzen-Fotos wird für die TV-Sendung «Bauer, ledig, sucht…» geworben. Dass das Bauerndorf Mülchi diesbezüglich mehr Potenzial hat als eine bauernlose Grossstadt wie Zürich oder Bern ist einleuchtend. «Sei mit dabei und bewirb dich jetzt für die Liebe deines Lebens», steht geschrieben – mit der Aufforderung «Nutze auch du deine Chance». Von den total neun Abreisszetteln mit Mail-Adresse und Telefonnummer des Senders sind drei weg. Drei Mülchi-Bauern demnächst am TV? Abwarten.
Fehlendes Ortsschild
Mit Messen ist das 3,8 Quadratkilometer grosse Mülchi auch kirchlich verbunden, denn es ist der reformierten Kirchgemeinde Messen angeschlossen – wie die Berner Dörfer Etzelkofen, Scheunen und Ruppoldsried, das am 1. Januar 2013 mit Rapperswil fusionierte. Obschon Mülchi keine eigene Kirche hat, gibt es hier einen Chilchacher. Mülchi ist ein Dorf mit Durchblick. Diese Feststellung macht, wer Mülchi von Messen her auf der Hauptstrasse erreicht. Hier ist zwar auf der rechten Strassenseite die rot-weisse, runde Tafel «generell 50» angebracht, das Ortsschild Mülchi darunter fehlt jedoch. Drei Dinge sind möglich. Erstens: der Malermeister hat die Ortstafel abmontiert, um sie neu zu streichen. Zweitens: ein inzwischen auswärts wohnhafter Heimweh-«Mülchianer» hat das Schild als Souvenir mitgenommen. Drittens: ein Dieb hat die Ortstafel entwendet und versucht, dieses Objekt der Begierde für viel Geld an einer Auktion zu veräussern.
Mülchi ist nicht nur ein Dorf mit Durchblick, sondern auch eines, das jederzeit auf der Höhe ist. Blauen Tafeln mit weisser Schrift ist nämlich zu entnehmen, dass es hier sowohl eine «Hoehe» (weshalb nicht mit «ö» geschrieben?) als auch eine «Breite» gibt. Die Höhe über Meer von Mülchi ist übrigens 476 Meter. Die Beziehung Mülchis zum Holz manifestiert sich in Namen wie Eichholz, im Holz und Oberholz (Wald). Nicht von der Hand zu weisen ist der Verdacht, dass – zumindest einige – Bewohner von Mülchi unfolgsam sind. An der Hauptstrasse gibt es nämlich einen Holzschuppen, auf dem der Vermerk «Plakatieren verboten» steht. Trotzdem sind hier gleich mehrere Plakate angebracht. Beworben werden unter anderem der Mülchi-Flohmarkt vom 18. Oktober 2014 und die Winter-Ausstellung Mülchi vom 15./16. November 2014.
Wunderschönes Wandergebiet
In Mülchi – als Mulnheim 1272 erstmals urkundlich erwähnt – gibt es sechs Vereine: Samariter, Schützen, Männerchor Limpach-Mülchi, Hornusser, Froue-Träff und Rosendornzunft. Letztere, gegründet vor 27 Jahren, engagiert sich mit der Gugge «MüuchiFäger» dafür, dass Mülchi eine «Fasnachtshochburg» – wenn auch im überschaubaren Rahmen – ist und bleibt. «Löwen» und «Bären» heissen die Beizen. Auf «Minger’s Hofmärit» – Nachfahren von Minger Ruedi? – werden Salate, Zucchetti, Pflaumen, Alpkäse und als Besonderheit blaue Kartoffeln angeboten. Der Dorfplatz ist das Epizentrum von Mülchi, das im Limpachtal liegt, über ein wunderschönes Wandergebiet verfügt und im Norden sowie im Westen an den Kanton Solothurn grenzt. Hier ist einem Wegweiser zu entnehmen, dass Fraubrunnen in einer Stunde und zwanzig Minuten zu erwandern ist. In der Gegenrichtung ist für Büren an der Aare eine Zeit von zwei Stunden und fünfzig Minuten vorgesehen.
Im Moos, unweit der Stelle, wo der Mülchibach in den kanalisierten Limpach fliesst – Letzterer bildet die Grenze zum Kanton Solothurn – frönen die Mitglieder der Hornussergesellschaft Mülchi ihrem Hobby. Im 1988 erbauten Hornusserhaus weist der Verein auf 13 A4-Blättern – mit je einer Zahl oder einem Buchstaben auf jedem Blatt – auf einen tollen Erfolg hin: «Aufstieg 2. Liga». Wer auf Mülchi blicken will, tut dies vorzugsweise entweder vom solothurnischen Oberramsern oder von der Etzelkofenstrasse aus, wo es unter einem Schatten spendenden Baum Ruhebänke gibt – und einen Gedenkstein. Dieser weist auf die «Entwässerung und Güterzusammenlegung Mülchi 1941 – 1948» hin. Auf dem Stein steht: «Lueg nid verby, bedänks e chly. Das Land, wo vor dir lyt hei mir entwässeret i schwärer Zyt. 569 Parzälle hei 124 ge gäh, wo alli ungere Pflueg chasch näh. Mir danke Gott u hoffe jetz derby, das grosse Wärk wärd üs e Säge sy.»
Hans Mathys