(K)ein Herz für Hunde und mittellose Halter
30.12.2014 Aktuell, Politik, Burgdorf, GesellschaftEigentlich ist eine Stadt und deren Parlament zu beglückwünschen, wenn an der letzten Stadtratssitzung derart viel Zeit für die Totalrevision des Hundereglements aufgewendet werden kann. Als erheiternd darf ein aufmerksamer Zuhörer erkennen, dass Millionen für die Erhellung der Strassen und Plätze – und vielleicht auch für die Köpfe der Benutzer – durchgewunken werden, hingegen 30 Franken mehr oder weniger für die vierbeinigen Freunde des Menschen – seien es letzte «Ansprechpartner» von Randständigen oder sozial wertvolle Begleiter Einsamer oder Kranker zu «Endlos-Grundsatz-Diskussionen» führen.
Positive Überraschung
Aber der Reihe nach. Eigentlich besteht ein gewisser Handlungs- und Tempobedarf, da im Anschluss an die früh angesetzte Sitzung das gemeinsame Schlussessen winkt. Folglich passieren die Kreditabrechnungen für die Sanierung und Schulwegsicherung Brunnmattstrasse/Einschlagweg mit Kosten von knapp drei Millionen Franken und Minderkosten von 44 600 Franken sowie die Sanierung und Stadtentwässerung des gleichen Abschnitts mit Kosten von 640 000 sowie Minderkosten von 160 000 Franken einstimmig. Auch die Kreditabrechnung für die Sanierung der Bernstrasse (Jungfraustrasse bis Gebrüder-Schnell-Terrasse) schliesst mit Kosten von 1,09 Mio. Franken und Minderkosten von 730 000 Franken sowie bei der Sanierung der Kanalisation mit Kosten von 276 000 Franken und Minderkosten von 379 000 Franken ab. Die aussergewöhnlich hohen Minderkosten begründet Gemeinderat Hugo Kummer (Tiefbau/Werkbetriebe) mit dem Umstand, «dass zu Beginn der damaligen Planungsarbeiten grosse Unsicherheiten auf dem Baumarkt geherrscht hatten und die eingereichten Offerten bis zu 62 Prozent Preisdifferenzen aufwiesen.» Der Rat genehmigt die Abrechnungen einstimmig.
Auch die Teilrevision des Entschädigungsreglementes passiert einstimmig.
Wer soll das bezahlen?
Doch dann wird der Ton bissig. Sehr schnell zeigt sich, dass die Meinungen von links bis rechts gemacht sind. Gemeinderat Peter Urech (Finanzen) begründet das angepasste Hundereglement bezüglich Hundetaxe und Hundehaltung mit dem neuen kantonalen Hundegesetz, das per 1. Januar 2013 in Kraft getreten ist. Dadurch werden viele Bestimmungen des heutigen städtischen Reglements überflüssig, der Umfang kann praktisch halbiert werden. Vorgeschrieben ist allerdings die kostendeckende Finanzierung des Hundewesens in jeder Gemeinde. Laut Urech hat die Finanzdirektion die Gesamtkosten für 2013 zusammengetragen und kommt zum Schluss, dass bei Vollkosten von 77 500 Franken für rund 600 Burgdorfer Hunde und Einnahmen von 59 000 Franken ein Defizit von 18 500 Franken resultiert, das heute aus Steuergeldern finanziert wird. Das muss sich ändern!
Folglich sollen alle Personen, die Hunde halten, in ihrer Funktion als städtischer Kostenverursacher künftig kostendeckend 130 Franken pro Tier bezahlen. Voll Eifer plädiert er «für 130 000 Franken pro Tier und Jahr», was ihm anhaltendes Gelächter im Saal einbringt. Im Reglement sei die Hundetaxpflicht sowie das Kostendeckungs-Prinzip als Bemessungsrahmen, nicht aber die konkrete Höhe der Hundetaxe zu verankern. Künftig kann der Gemeinderat die Höhe aufgrund des tatsächlichen Aufwandes festlegen. Urech bestätigt, dass die Hundetaxe für 2015 noch 100 Franken beträgt, da der Stadtrat diese Summe an der November-Sitzung zusammen mit dem Budget 2015 bereits genehmigt hat. Er betont noch, dass «der Gemeinderat an der bisherigen sozialpolitischen Haltung festhalten will», was reduzierte Taxen für gewisse Bevölkerungskreise bedeutet.
Ein Herz für Finanzschwache
Die SVP verlangt bereits bei Artikel 1 Absatz 3 des Reglements die Streichung eines Wortes: «Der Gemeinderat kann die Hundetaxe für Bezüger/innen von Ergänzungsleistungen reduzieren (von Sozialhilfebeiträgen sei zu streichen).» Da es sich bei der Hundetaxe um eine Gebühr handle, führt der SVP-Sprecher aus, sollten auch diese – bisweilen Randständigen – keine Sonderbehandlung erfahren: «Jede Person, die einen Hund ihr eigen nennt, muss alle Kosten bezahlen können.» Dann geht die Diskussion erst recht los. Hermann Dür (FDP) erinnert an den hohen therapeutischen Wert, den Hunde beziehungsweise Tiere im allgemeinen in gewissen Lebenssituationen mit sich bringen können. Oft sind sie der einzige «Ansprechpartner» einsamer Menschen. «Haustiere sind auch ein öffentlicher Nutzenfaktor und beugen Vereinsamung und Depressionen vor.» Er bezweifelt, ob die städtische Kostenerhebung mit jährlich 50 000 Franken für Personal, Verbrauchsmaterial, Verbrennungs- und Fahrzeugkosten überhaupt stimmen kann.
Werner Weber (BDP), laut eigenen Worten selber Halter eines «Kampfhundes» (Dackels), weist ebenfalls auf die positiven sozialen Aspekte eines solchen Haustieres hin und empfiehlt, den SVP-Antrag abzulehnen. Gemeinderätin Charlotte Gübeli (Soziales) wehrt sich für ihre Klienten und fragt, warum finanzschwache Sozialhilfebezüger jetzt plötzlich voll zahlen sollen. Hier gebe es verschiedene Härtefälle, denen man Rechnung tragen müsse.
Disziplinierung der Süchtigen
Maja Burri (SP) spricht Klartext: «Für mittellose und süchtige Menschen sind ihre Hunde vielfach der letzte Bezugspunkt.» Sie spricht von 27 Sozialhilfebezügern mit Hund, die bei einer voll bezahlten Hundetaxe gerade mal 2000 Franken mehr in die Stadtkasse bringen würden.
Seit Jahren geistern durch Burgdorfs Strassen Storys über «genaue Kenntnisse Ungenannter darüber, dass Süchtige mit Hund zusätzliche Beträge aus der Stadtkasse erhalten, mit denen sie nicht ihre Hunde füttern, sondern Drogen und Alkohol kaufen.»
Marcel Meier (SVP) beharrt darauf, dass Taxen wie die für Hunde auch für Sozialhilfeempfänger nicht aus Steuern bezahlt werden können: «Ein Erlass wäre rechtswidrig.» Er wisse von keiner Berner Gemeinde, die solche Reduktionen gewähre. Tobias Kälin (GLP) nennt den SVP-Streichungsantrag kleinlich, der in der anschliessenden Abstimmung mit 23 Nein zu 13 Ja bei 4 Enthaltungen deutlich abgelehnt wird.
Nachdem sich der Gemeinderat mit der Streichung von Artikel 5 «Orte mit Leinenpflicht oder Zutrittsverbot» einverstanden erklärt hat, passiert das neue Hundereglement mit 17 Ja zu 12 Nein bei 11 Enthaltungen. Rot-Grün zeigt sich zufrieden, das bürgerliche Lager weniger.
Viel Geld in kurzer Zeit
Mit 39 Ja zu einem Nein genehmigt der Stadtrat den Investitionskredit Sanierung und Erneuerung der öffentlichen Beleuchtung Burgdorf in der Höhe von 2,38 Mio. Franken, welcher dem fakultativen Referendum unterliegt. Als erste und mit hoher Dringlichkeit auszuführende Massnahme müssen die veralteten 650 Quecksilberdampf-Hochdrucklampen ersetzt werden, da diese nächstes Jahr vom Markt genommen werden. Mit dem Ersatz durch Energie effizientere LED-Leuchten kann jährlich Energie von ca. 60 Prozent respektive 20 800 Franken eingespart werden. In den folgenden Jahren ist der Ersatz der übrigen alten Leuchten vorgesehen.
Burgdorf weist ein Gemeindestrassennetz von ca. 56 km Länge und ein Fuss- und Radwegnetz von zirka 10 km Länge auf. Alles ist beleuchtet. Im Mai 2014 betreibt die Stadt 2320 öffentliche Lichtpunkte. Rund die Hälfte soll ersetzt werden.
Einstimmig wählt der Stadtrat Bruno Rosser (SVP) zum Stadtratspräsidenten 2015, Yves Aeschbacher (SP) zum Vize 2016 und Christoph Wyss (BDP) zum 2. Vize 2017, Martin Aeschlimann (EVP) zum Vize-Stadtpräsidenten für 2015 sowie Larissa Fankhauser (JF) und Anna de Quervain (Grüne) zu Stimmenzählerinnen. Roland Dubach (SVP) und Mirjam Muhmenthaler werden nach je zehn Jahren Mitgliedschaft im Stadtrat mit Dank verabschiedet.
Später muss sich Finanzchef Peter Urech noch fragen lassen, ob er mit der «leicht erhöhten Hundetaxe von 130 000 Franken pro Tier» den städtischen Schuldenberg von 107 Mio. Franken abbauen wolle. Trotz der Finanzlage geniessen alle das gemeinsame Weihnachtsessen im Restaurant Orchidee.
Gerti Binz