«Der Schatten in mir» – eine neue Selbsthilfegruppe

  17.04.2015 Aktuell, Region, Burgdorf, Gesellschaft

Im November 2014 organisierten die Mitarbeiterinnen des Beratungszentrums Burgdorf eine Podiumsveranstaltung zum Thema «Suizid, ein Tabu?». «Der Anlass, welcher in Zusammenarbeit mit dem Psychiatrischen Dienst Spital Emmental und dem Bündnis gegen Depression stattfand, stiess auf grosses Interesse. Rund 80 Anwesende hörten gebannt dem Dialog zwischen den drei hinterbliebenen Angehörigen und den Fachpersonen auf dem Podium zu. Eindrücklich war die Offenheit vieler anwesender Personen während der anschliessenden Fragerunde – es entstand ein bereichernder Trialog zwischen Publikum, den Angehörigen und den Fachpersonen auf dem Podium», erinnert sich Brigitte Gidl, Mitarbeiterin des Selbsthilfe BE Beratungszentrums Burgdorf.
Die Podiumsveranstaltung hatte noch einen weiteren positiven Aspekt: In Burgdorf soll eine neue Selbsthilfegruppe für hinterbliebene Angehörige nach einem Suizid ins Leben gerufen werden. Die Initiantin, auf deren Anregung hin diese Selbsthilfegruppe mit Unterstützung der Selbsthilfe BE gegründet wird, war ebenfalls anwesend und äussert sich wie folgt:
«Vor eineinhalb Jahren beschloss mein Bruder, nach der Operation eines Hirntumors, seinem Leben ein Ende zu setzen. Es ist sehr schwierig für mich damit umzugehen. Es gibt eine gewisse Zeit, in welcher man als Familie trauern kann, in welcher sich das soziale Umfeld danach erkundigt,
wie es einem geht. Irgendwann ist diese Zeit vorbei und damit auch die Trauer – könnte man meinen. Das Leben geht weiter und der Suizid des Angehörigen wird vom Umfeld als «verarbeitet» betrachtet. Doch die Trauer und die dafür benötigte Zeit sind bei jedem Menschen individuell, ebenso die Art und Weise der Verarbeitung eines solchen Ereignisses. Einige möchten darüber reden, andere ziehen sich ins Schneckenhaus zurück und wieder andere versuchen das Geschehene zu verdrängen. Ich fühlte mich mit meiner Trauer alleine gelassen und war mir bewusst, dass ich dieses prägende Ereignis noch lange nicht verarbeitet hatte. Es wird mich mein Leben lang begleiten. Es war für mich sehr eindrücklich zu hören, wie es Menschen zehn oder zwanzig Jahre nach dem Suizid eines Angehörigen geht. Die Aussage, dass sie sich viel zu spät externe Hilfe geholt hätten, forderte mich auf, früher Unterstützung zu holen und mich mit dem Suizid meines Bruders auseinanderzusetzen. Eine Frau erzählte, dass sie erst richtig trauern konnte, nachdem sie den Ort des Suizids ihres Angehörigen aufgesucht hatte. All diese  Erzählungen und Erfahrungen der Anwesenden zeigten mir, dass meine Gefühle normal sind. Ich merkte, wie wertvoll der gegenseitige Austausch unter betroffenen Hinterbliebenen ist, und so beschloss ich, einer Selbsthilfegruppe beizutreten. Beim Beratungszentrum Burgdorf informierte mich Brigitte Gidl, dass es in Bern eine Selbsthilfegruppe des Vereins «Refugium» gibt. Ich wollte jedoch nicht nach Bern in eine Gruppe, unter anderem auch weil ich weiss, dass es hier in der Region Burgdorf und im Emmental ebenfalls hinterbliebene Angehörige gibt. Darum entschloss ich mich, die Initiative für eine neue Gruppe in Burgdorf zu ergreifen.»

 

 

Was ist eine Selbsthilfegruppe?
«Eine Selbsthilfegruppe besteht meistens aus vier bis zehn Personen, welche sich regelmässig, in selbst bestimmten Abständen, zum Austausch über ihre Erkrankung oder ihre spezielle Lebenssituation treffen. Die Teilnahme in einer Selbsthilfegruppe ist eine wertvolle Ergänzung zur professionellen fachlichen Unterstützung, sei diese medizinisch oder therapeutisch. In der Gruppe werden Erfahrungen und Informationen weitergegeben, es wird über verschiedene Themen, welche die Gruppe selber wählt, diskutiert und mögliche Lösungsstrategien werden besprochen. Jedes Gruppenmitglied ist gleichberechtigt und mitverantwortlich für das Gelingen der Treffen. Im Kontakt mit Gleichbetroffenen kann gelernt werden, wie mit einer schwierigen Lebenssituation besser umgegangen werden kann. Dabei wird auch dem Gefühl, mit seinem Problem alleine dazustehen, entgegengewirkt. Zusammen sein, reden, zuhören, lachen, weinen, sich Rat holen und Tipps geben – das macht gemeinschaftliche Selbsthilfe aus. Die ersten drei bis vier Treffen in einer neuen Selbsthilfegruppe werden jeweils von uns Co-Fachleiterinnen begleitet. Unsere Aufgabe ist es, der Gruppe das nötige Werkzeug mitzugeben, damit die zukünftigen Treffen ohne fachliche Begleitung zur Zufriedenheit aller stattfinden. Als erstes informieren wir über die Grundsätze, wie eine Selbsthilfegruppe funktioniert, und wir sammeln die Erwartungen, Vorstellungen und allfällige Befürchtungen der Teilnehmenden mit dem Ziel, die Gemeinsamkeiten herauszufiltern. Die Vereinbarung von Gruppenregeln, organisatorische Abmachungen wie auch Informationen über die Aufgabe der Moderation sind Inhalte der weiteren durch uns begleiteten Treffen. Idealerweise wird die Moderation zum Beispiel im Turnus übernommen, sodass alle in die Rolle der Moderierenden wie auch der Teilnehmenden schlüpfen können», erklärt Brigitte Gidl.
Die Vorbereitungen zum Start der neuen Gruppe sind getroffen. Was jetzt noch fehlt, sind die Mitglieder… «Auch ich musste mich überwinden mich beim Beratungszentrum Burgdorf zu melden. Aber ich möchte die vor mir liegende Wegstrecke gemeinsam mit anderen Betroffenen gehen. Deshalb hoffe ich, dass sich weitere Personen für diese Gruppe melden. Ich bin überzeugt davon, dass die gegenseitige Unterstützung und der Austausch grosse Chancen bieten und mithelfen, mit dem Erlebten besser zurechtzukommen!», so die Initiantin.


Felix Glauser

Neben der Selbsthilfegruppe für hinterbliebene Angehörige gibt es in Burgdorf noch drei weitere Selbsthilfegruppen im Aufbau:  «Mittendrin», für Frauen im mittleren Alter (zwischen 45 bis 60 Jahre), für pflegende Angehörige sowie für Menschen mit einer Schizophrenie-Erkrankung. Die Selbsthilfe BE bietet zudem neu eine kantonale Workshop-Reihe in Bern an zu folgenden Themen: Gruppengespräche moderieren, 11. Juni; Feedback geben und empfangen. 24. August; Aufnehmen von neuen Mitgliedern, 3. November.
Information und Anmeldung: Selbsthilfe BE, Telefon: 0848 33 99 00, info@selbsthilfe-be.ch, www.selbsthilfe-be.ch oder direkt beim Beratungszentrum Burgdorf, Lyssachstrasse 91, 3400 Burgdorf. Telefon: 034 422 67 05.


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