«Patientensicherheit ist Teil des Spitalalltags»

  19.09.2015 Aktuell, Region, Burgdorf, Gesellschaft

«D’REGION»: Weshalb macht das Spital Emmental hier mit, und wo­rüber wird am Donnerstag gesprochen?
Ruth Schneider: Die Patientensicherheit ist Teil des Spitalalltags und somit ein dauerndes internes Thema. Es ist wichtig, dass unsere Patientinnen und Patienten erfahren, welche Massnahmen wir täglich treffen, um die Sicherheit im ganzen Behandlungsprozess zu gewährleisten. Wir sprechen am Vortrag darüber, welche Fehler im Spital geschehen können, was das Spital Emmental zur Fehlerminimierung und zur Verbesserung der Patientensicherheit unternimmt, welche Massnahmen das Spital trifft, wenn ein Fehler passiert ist, was der Patient zu seiner eigenen Sicherheit beitragen kann und welche Rechte er hat.

«D’REGION»: Stichwort Spitalinfektio­nen – was unternimmt das Spital, damit sich Patienten nicht anstecken?
Dr. Egger: Patienten, von denen bekannt ist oder vermutet wird, dass sie mit besonders ansteckenden oder besonders resistenten Erregern infiziert oder besiedelt sind, werden isoliert, damit die Mikroorganismen nicht auf andere Patienten oder Mitarbeitende übertragen werden können. Weil man das nicht immer weiss, sind die so genannten Standardmassnahmen der Hygiene fast noch wichtiger – Vorsichtsmassnahmen zur Verhinderung beziehungsweise Reduktion von Keim-Übertragungen, die immer und bei allen Patienten eingehalten werden müssen. Dazu gehört die Händedesinfektion vor und nach Patientenkontakten, aber auch das Tragen von Gesichtsmasken bei der Betreuung von Patienten mit Anzeichen von Atemwegs­infektionen – unabhängig davon, ob man den Erreger kennt oder nicht.

«D’REGION»: Was kann ich als Patient dazu beitragen, damit ich mich im Spital nicht anstecke?
Dr. Egger: Patienten können Abstand halten zu Mitpatienten, dies schützt vor der Übertragung von Erregern über die Atemwege. Es ist aber nicht angebracht, in ständiger Furcht vor Zimmernachbarn zu leben. Da Infektio­nen viel häufiger über die Hände des Spitalpersonals übertragen werden, besteht einzig die Möglichkeit, dass Sie Ärzte und Pflegende darauf aufmerksam machen, sich die Hände zu desinfizieren – falls sie das nicht bereits getan haben. Auch Nichtrauchen, das Vermeiden von Übergewicht und eine ausgewogene Ernährung reduzieren das Infektionsrisiko im Spital und ausserhalb. Diese Faktoren können Sie aber nur langfristig beeinflussen.

«D’REGION»: Weshalb gibt es nicht überall die Möglichkeit, die Hände vor dem Verlassen des Spitals zu desinfizieren?
Dr. Egger: Diese Möglichkeit gibt es im Spital Emmental. Sie finden in jedem Patientenzimmer neben der Tür einen Wandspender mit Händedesinfektionsmittel. Es ist sinnvoller, die Händedesinfektion dort vorzunehmen als erst beim Ausgang. So tragen Sie dazu bei, dass keine Keime von den Patienten, die Sie besuchen, auf Türfallen und damit über die Hände von anderen Personen wieder zu Patienten gelangen. Das Medizinalpersonal macht es genau gleich und desinfiziert die Hände nicht erst beim Verlassen des Spitals. Im Übrigen sollten sich Besucher nicht zu grosse Sorgen machen wegen der Spitalkeime. Diese sind in der grossen Mehrzahl nicht besonders aggressiv und konkurrenzfähig. Es sind gerade deshalb Spitalkeime, weil sie nur geschwächte Personen besiedeln und infizieren können.

«D’REGION»: Muss das Spital Spitalinfektionen melden – und tut es dies auch immer?
Dr. Egger: Die bernischen Spitäler sind im Rahmen der Qualitätsvorgaben des Kantons verpflichtet, eine Überwachung von Wundinfektionen nach chirurgischen Eingriffen vorzunehmen und die Infektraten mit anderen Spitälern zu vergleichen. Natürlich kann diese Überwachung aus Kapazitätsgründen nicht für alle Operationsarten durchgeführt werden, sondern nur für wichtige ausgewählte Indikator-Eingriffe. Das Spital Emmental erhebt an beiden Standorten Zahlen zu Hüft- und Knietotalprothesen, Dickdarm- und Enddarm-Eingriffen, Gallenblasenoperationen und Blinddarmentfernungen bei Kindern. Seit Ende 2014 sind diese Zahlen über die Website von ANQ, dem nationalen Verein für Qualität im Gesundheitswesen, öffentlich zugänglich. Bei den ausgewählten Eingriffen müssen strikte alle Patienten erfasst werden. Es können also keine ungünstig verlaufenen Operationen verheimlicht werden. Periodisch gibt es dazu Überprüfungsaudits.

«D’REGION»: Welche Massnahmen trifft das Spital, dass ein Patient beis­pielsweise nicht am falschen Bein operiert wird?
Dr. Hiltebrand: Das Spital Emmental arbeitet an beiden Standorten seit mehreren Jahren mit so genannten Checklisten. Dabei wird bereits vor dem Transport des Patienten in den Operationssaal auf der Abteilung kontrolliert, ob der auf dem Operationsplan vorgesehene Eingriff inklusive Seitenangabe mit dem übereinstimmt, was der Patient weiss. Ausserdem wird die Operationsstelle markiert. Sollte bei einem orthopädischen Patienten aus irgendeinem Grund die Markierung fehlen oder gar falsch sein, kommt der Patient gar nicht erst in den Operationsbereich. Hat er aber diese erste Kontrolle überstanden, erfolgt in der Operationsvorbereitung eine zweite Kontrolle. Dabei werden die Personalien, die geplante Operation, nötige Medikamente und Blutprodukte sowie die Betriebsbereitschaft der Anästhesiegeräte kontrolliert. Häufig wirken Patienten verunsichert, wenn wir sie nach ihren Personalien oder der geplanten Operation fragen. Sie sind sich nicht bewusst, dass dies hilft, mit dem Anästhesieteam sicherzustellen, dass der richtige Patient für die richtige Operation im richtigen Operationssaal liegt. Wir sind dankbar, wenn unsere Patienten mithelfen, aktiv ihre Sicherheit zu verbessern. Eine dritte Kontrolle erfolgt zusammen mit dem verantwortlichen Operateur, der nochmals kontrolliert, ob es der richtige Patient ist, bei dem die entsprechende Operation vorgesehen ist, ob alle nötigen Instrumente vorhanden sind und die Antibiotika zur Vermeidung von Infektionen verabreicht wurden. Insgesamt werden also mindestens drei standardisierte Prüfungen mit jeder betreuenden Berufsgruppe durchgeführt, bevor die Operation beginnt. Gibt es bei einer der drei Kontrollen Unklarheiten, wird die Operation ausgesetzt – denn die Sicherheit für den Patienten ist oberstes Gebot.

«D’REGION»: Kommt es vor, dass ein Assistenzarzt während der Operation einen Fehler des Chefarztes feststellt, jedoch schweigt, weil er Konsequenzen für die eigene Karriere befürchtet?
Dr. Hiltebrand: Hierarchien können im Spital ein Problem sein. Dies wurde längst erkannt und man hat Massnahmen ergriffen. Am Spital Emmental wurde vor zwei Jahren das elektronische System CIRS – Critical Incident Reporting System – eingerichtet, bei dem Fehler oder Zwischenfälle anonym gemeldet werden können, ohne dass die meldende Person Angst vor Konsequenzen haben muss. Schliesslich wollen alle, Ärzte und Pflegende, das Beste für unsere Patienten. Ausserdem ist ein Operateur immer in einem Team von mehreren Spezialisten tätig, die den Ablauf einer Operation ebenfalls kennen und überwachen helfen. Am Ende jeder Operation wird in einem weiteren Routine-Check nochmals die durchgeführte Operation kommuniziert, die Anzahl der Tücher und Tupfer gezählt sowie die weitere Behandlung besprochen und festgelegt. Für meine Abteilung darf ich behaupten: Unsere Fehler-Kultur ist so, dass jedem meiner Mitarbeiter klar ist, dass kritische Ereignisse bei allen, auch beim Chefarzt, vorkommen können. Ziel ist es, dass alle aus Zwischenfällen lernen und durch die Kenntnis der Umstände sowie des Auftretens gemeinsam Massnahmen implementiert werden, die helfen, diese kritischen Zwischenfälle künftig zu verhindern. So lernen wir aus jedem Zwischenfall dazu. So werden alle Mitarbeiter meiner Abteilung zu Qualitäts- und Sicherheitsbeauftragten. Sie helfen mit, die Sicherheit für unsere Patienten täglich zu gewährleisten und wo nötig weiter zu verbessern. In einem solchen Arbeitsklima sollte kein Assistenzarzt Konsequenzen des Chefarztes befürchten. Im Gegenteil: Aufmerksamkeit und aktive Mitarbeit sind wichtige Qualitäten unserer Assistenzärzte und werden von mir aktiv unterstützt.

«D’REGION»: Was unternimmt das Spital, damit der Patient die richtigen Medikamente erhält?
Heidi Friedli: Wenn ein Patient ins Spital eintritt, bekommen wir vom Hausarzt eine Liste jener Medikamente, die schon vor dem Spitaleintritt vom Hausarzt verordnet sind. Auch Spitex oder Heime geben eine solche Liste mit, wenn Medikamente verordnet sind. In unserer Spitalbroschüre, die alle Patienten vor einem geplanten Eintritt bekommen, machen wir darauf aufmerksam, dass die Patienten alle Medikamente, die sie zu Hause regelmässig einnehmen, möglichst in der Originalverpackung und dazu auch die Medikamentenkarte mitbringen sollen. Im Spital werden diese Informationen im elektronischen System hinterlegt. Sie bilden die Basis für die weitere Behandlung. Der Arzt verordnet nun für den Aufenthalt im Spital die nötigen Medikamente. Dies geschieht im elektronischen System und hat den Vorteil, dass die Pflege, welche in der Regel die Medikamente verabreicht, die Verordnung ohne Probleme lesen kann und nicht die Gefahr besteht, das falsche Medikament zu wählen. Zudem haben wir im Spital elektronische Medikamentenschränke. In diesen Schränken sind alle Medikamente in einzelnen Fächern gelagert. So kann keine Unordnung entstehen. Die Auswahl der Medikamente wird elektronisch unterstützt. So wird vermieden, dass ein falsches Medikament oder ein Medikament in der falschen Dosierung herausgenommen wird. Zudem werden die Medikamente von jener zuständigen Pflegeperson vorbereitet, welche den Patienten gut kennt. Dies geschieht kurzfristig, damit allfällige Anpassungen oder neue Verordnungen nicht vergessen gehen. Diese Massnahmen helfen, dass die Patienten die richtigen Medikamente erhalten. Zudem sind wir darauf angewiesen, dass die Patienten uns informieren, welche Medikamente sie einnehmen und ob allenfalls unerwünschte Wirkungen damit verbunden sind. So kann die weitere Behandlung auf einer sicheren Basis erfolgen oder angepasst werden.

«D’REGION»: Was kann ich tun, wenn ich mich im Spital nicht mehr sicher fühle – bei Nacht und Nebel flüchten?
Heidi Friedli: Das empfiehlt sich nicht und ich gehe davon aus, dass dies auch nicht nötig ist. Wir machen die Erfahrung, dass die Patienten grosses Vertrauen in uns und unsere Arbeit haben. Wir sind uns dessen bewusst und setzen alles daran, diesem Vertrauen gerecht zu werden, indem wir unsere Arbeit fachlich kompetent und wo möglich in Absprache mit den Patienten machen. Falls es wider Erwarten dazu kommt, dass sich ein Patient im Spital nicht mehr sicher fühlt, empfehle ich, unbedingt das Gespräch zu suchen, Fragen zu stellen – auszudrücken, was die Unsicherheit auslöst. Fragen stellen ist sehr erwünscht und hilft uns, weil wir so erkennen, was unsere Patienten oder ihre Angehörigen beschäftigt und wie wir sie allenfalls unterstützen können. Es gibt nebst der Bewältigung der Krankheit und ihrer Folgen viele Informationen und Eindrücke zu verarbeiten. Schon dies allein kann verunsichern. Deshalb: Vertrauen ist gut – Nachfragen ist besser.

«D’REGION»: Was hat das Spital Emmental letzthin getan, um die Patientensicherheit zu verbessern?
Ruth Schneider: Seit weit über 10 Jahren erfassen und bearbeiten die Mitarbeitenden am Spital Emmental kritische Zwischenfälle – speziell solche, die, wenn nichts unternommen würde, auch zu Fehlern führen könnten. Die Erfassung und Bearbeitung von kritischen Zwischenfällen im CIRS – Critical Incident Reporting System – ist schweizweit verbreitet und an unserem Spital mit klaren Prozessen und Strukturen umgesetzt. Auch auf nationaler Ebene werden solche Zwischenfälle gesammelt, analysiert und wo nötig Empfehlungen entwickelt. Zudem betreiben wir verschiedene Zertifizierungssysteme, die uns in einer kontinuierlichen Regelmässigkeit verpflichten, unsere Prozesse zu prüfen und anzupassen. Auch führen wir Qualitätsmessungen durch und leiten daraus Verbesserungsmassnahmen ab. Diese ganze Palette von Systemen und Aktivitäten trägt zur Patientensicherheit und Weiterentwicklung der Qualität unserer Leistungen bei.

«D’REGION»: Welche Massnahmen trifft das Spital, wenn ein Fehler passiert?
Ruth Schneider: Sollte wider Erwarten ein kritisches Ereignis eintreten oder gar ein Fehler passieren, haben wir am Spital Emmental eine klare Ablaufbeschreibung sowie ein transparentes internes und externes Vorgehen. An erster Stelle steht immer das Wohl der Patienten. Dazu wird alles nur Mögliche unternommen, um negative Auswirkungen zu verhindern. Auch ist für uns eine sofortige Kommunikation mit den Betroffenen – den Patienten und Angehörigen – selbstverständlich.

«D’REGION»: Welche Rechte habe ich als Patient, wenn ein Fehler passiert ist?
Ruth Schneider: Die Patienten und Patientinnen haben klare Rechte. Wenn ein Verdacht auf einen Fehler entsteht, leitet das Spital Emmental eine interne Untersuchung ein. Sollte der Patient oder sollten Angehörige der Ansicht sein, dass ein Behandlungsfehler passiert ist, können sie dies jederzeit mit den zuständigen behandelnden Ärzten und/oder deren Vorgesetzten besprechen. Sie können auch das Beschwerdemanagement am Spital kontaktieren – während oder nach dem Aufenthalt. Es ist uns ein Anliegen, Beschwerden jeglicher Art zeitnah und zur Zufriedenheit der Beschwerdesteller zu bearbeiten. Wenn wir das Problem nicht lösen können, schlagen wir für die weitere Bearbeitung die kantonale Ombudsstelle oder andere zuständige Behörden vor.

Zu den Personen
Privatdozent Dr. med. Luzius Hiltebrand ist seit 2010 Chefarzt Anästhesie am Spital Emmental. Er ist seit 2000 Facharzt für Anästhesie und Reanimation. 2010 Habilitation. Kursdirektor für Reanimationskurse des European Resuscitation Council. Leiter des Dienstleistungszentrums Operationssäle am Spital Emmental.
Dr. med. Martin Egger ist seit 2004 Leitender Arzt am Spital Emmental, seit 2009 Chefarzt-Stellvertreter.  Medizin-Staats-examen 1988 in Bern. Ausbildung zum Facharzt für Allgemeine Innere Medizin an Berner Spitälern und Kliniken. Ausbildung zum Facharzt für Infektiologie am Inselspital in Bern. Facharzttitel Infektiologie 2003. Weiterbildung zum Master of Public Health mit Abschluss 2011. Ab Dezember 2015 Chefarzt Medizin am Standort Langnau.
Heidi Friedli-Wüthrich ist seit 1991 am Spital Emmental. Der Ausbildung zur diplomierten Pflegefachfrau folgte die Weiterbildung Intensivpflege. 2013 Abschluss Master of Science in Pflege. Arbeitet als Leiterin Pflegeentwicklung und ist Mitglied der Pflegeleitung.
Ruth Schneider bildete sich zur diplomierten Pflegefachfrau aus. Leitende Tätigkeiten an verschiedenen Spitälern und Arztpraxen. Weiterbildung in Organisationsentwicklung mit Abschluss MAS (Master of Advanced Studies) 2002. Leitung Abteilung Qualitätsmanagement am Inselspital Bern, anschliessend selbstständige Unternehmensberaterin. Seit 2011 am Spital Emmental als Leiterin Qualitätsmanagement. In dieser Funktion auch für das Beschwerdemanagement zuständig.
Hans Mathys


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