Was tun bei Hallux und anderen Fussproblemen?

  01.09.2015 Aktuell, Bildung, Burgdorf, Gesellschaft

Die beiden Referenten sind Dr. med. Bernard Chappuis, Leitender Arzt Diabetologie / Endokrinologie (gemeinsame Leitung interdisziplinäre Fusssprechstunde) und pract. med. Falko Herold, Oberarzt orthopädische Chirurgie, Spezialgebiet Fusschirurgie.
 
«D’REGION»: Wer wird am Vortrag worüber sprechen?
Dr. Chappuis: Wie dem Untertitel «Von Hallux, Hammerzehen und Fersensporn bis zu Fussproblemen bei Diabetes» zu entnehmen ist, werden wir über ein breites Spektrum von Fussleiden sprechen. Mein Kollege Falko Herold erklärt in einem ersten Teil die Anatomie und Funktion des gesunden Fusses und stellt dann einige chirurgische Fussleiden vor. Im zweiten Teil werde ich über medizinische Probleme am Fuss berichten. Den Schwerpunkt lege ich auf die Füsse beim Diabetiker. Ich informiere auch über andere Erkrankungen wie zum Beispiel verschiedene Arten der Fussgelenksentzündung – Arthritis.

«D’REGION»: Welche Fussprobleme gibt es – mit welchen Beschwerden kommen Patienten zu Ihnen?
Dr. Chappuis: Unsere Füsse tragen uns wie selbstverständlich tagtäglich von einem Ort zum anderen, und wir sind uns dessen kaum bewusst. Deren Wichtigkeit für Mobilität und Freiheit realisieren wir erst, wenn wir plötzlich Schmerzen haben. Diese sind denn auch das häufigste Leitsymptom, welches Patienten zum Arztbesuch veranlasst. Die Ursachen hierfür sind mannigfaltig und gehen von Fehlbelastungen bis hin zu eingewachsenen Zehennägeln. Ein Spezialfall ist der diabetische Fuss, bei dem Wunden ohne Schmerzen auftreten und zu gravierenden Komplikationen führen können.

«D’REGION»: Wie kommt es zu einem Hallux valgus, und wie macht sich dieser bemerkbar?
Falko Herold: Die Ursachen für die Entstehung einer Hallux-valgus-Deformität sind vielseitig. Hauptrollen spielen eine erbliche Veranlagung und ein über Jahre getragenes zu enges Schuhwerk mit hohen Absätzen. Die Grosszehe weicht langsam von der Körpermitte nach aussen ab, und es bildet sich das sichtbare und manchmal auch schmerzhafte «Überbein» – auch Ballenzehe genannt. Es ist kein wirkliches Überbein, sondern das prominente Köpfchen des ersten Mittelfussknochens. Der über dieses Köpfchen laufende Zehennerv kann dann im engen Schuh gereizt werden und typische brennende und stechende Schmerzen oder ein unangenehmes Taubheitsgefühl der Grosszehe auslösen. Bei zunehmender Deformität kann es dann zusätzlich zu Fehlstellungen der Kleinzehen, wie Hammerzehen, Krallenzehen, oder auch zu Abrollschmerzen unter dem Vorfuss, der sogenannten Metatarsalgie, kommen.

«D’REGION»: Welche konservativen Massnahmen gibt es bei Fussproblemen – und welche Therapiemöglichkeiten?
Falko Herold: Mit konservativen Massnahmen versuchen wir vor allem Schmerzen zu lindern oder drohende Probleme zu vermeiden. Dazu gehören zum Beispiel  Einlagen, Polster oder Schienen, aber auch physiotherapeutische oder fusspflegerische Behandlungen. Über Schuhzurichtungen wie beispielsweise Sohlenversteifung oder Abrollhilfen lassen sich zusätzlich Beschwerden verringern. Erst in einem späteren Stadium kommen auch Infiltrationen von zum Beispiel arthrotischen Gelenken zur Anwendung. Bei schweren Fehlstellungen können massgefertigte orthopädische Schuhe zum Erhalt der Gehfähigkeit beitragen.

«D’REGION»: Ab wann sollte man über eine Operation nachdenken?
Falko Herold: Wenn konservative Therapien nicht die gewünschte Beschwerdelinderung erzielen oder die Beschwerden gar zunehmen, muss der Schritt zur Operation besprochen werden. Die häufigsten Indikationen zur Operation finden sich beim schmerzhaftem Hallux valgus, bei Hammerzehen-Fehlstellungen oder Arthrosen. Auch der schmerzhafte erworbene Plattfuss oder der durch eine entzündlich-rheumatische Erkrankung deformierte Fuss bedürfen der operativen Korrektur, wenn andere Massnahmen versagen.

«D’REGION»: Diabetes-Patienten haben öfters Problemfüsse als «Normalpatienten». Weshalb?
Dr. Chappuis: Eine gefürchtete diabetische Spätkomplikation ist die Schädigung der Nerven am Fuss, diabetische Neuropathie genannt. Diese führt unter anderem zum Verlust der Sensibilität und damit einem wichtigen Schutzreflex am Fuss. Dadurch werden Druckstellen bei zu engem Schuhwerk nicht bemerkt, und es kann eine Wunde entstehen. Diese Situation nennt man das diabetische Fusssyndrom. Meist besteht gleichzeitig eine verminderte Durchblutung wegen arteriosklerotisch verengter Gefässe, was die Wundheilung verhindert. Die Wunde chronifiziert, kann infizieren. Im schlimmsten Fall droht die Amputation.

«D’REGION»: Wie kann ein Diabetiker ein diabetisches Fusssyndrom verhindern?
Dr. Chappuis: Präventive Massnahmen stehen im Zentrum. Nebst einer guten Blutzuckereinstellung ist auf eine sorgfältige und fachgerechte Fusspflege zu achten. Bei eingeschränkter Sensibilität sollte diese durch eine podologisch geschulte Person erfolgen. Wichtig ist auch die Wahl der Schuhe, die keineswegs zu eng sein dürfen. Mit Fussweichbettungen und speziell durch den orthopädischen Schuhmacher angefertigtem Schuhwerk können Risikofüsse zusätzlich geschützt werden.

«D’REGION»: Welche Aufgaben übernehmen Schuheinlagen?
Falko Herold: Schuheinlagen sollen den Fuss stützen oder durch gezielte Weichbettung überlastete Stellen entlasten. Sie können aber auch die Muskulatur stimulieren, indem sie Druckreize an bestimmten Stellen setzen und beim wachsenden Skelett das Wachstum des Fusses positiv beeinflussen. Beim Erwachsenen dienen sie im Wesentlichen der Linderung vorhandener Symptome. Leider ist nicht jeder Schuh für Einlagen geeignet, so dass hier oft nur eine Kombination aus Einlagen und geeignetem Schuhwerk den gewünschten Erfolg erzielt.

«D’REGION»: Worauf ist beim Schuhkauf zu achten – was kann man prophylaktisch tun?
Falko Herold: Man sollte darauf achten, bequemes, ausreichend grosses und weites Schuhwerk zu tragen. Der Fuss verändert sich im Laufe der Zeit, sodass die Fusslänge und -breite zum Beispiel durch natürliches Absenken des Längsgewölbes zunehmen. Schuhe mit hohen Absätzen verursachen eine grosse Belastung für den Fuss, weshalb man diese wenn möglich nur stundenweise tragen sollte, um dem Fuss Zeit zur Erholung zu geben. Orthopädie-schuhmacher und Orthopädiefachgeschäfte bieten auch eine Schuhberatung an, welche vor allem für Patienten mit Fehlstellungen oder Diabetes mellitus zur Vermeidung von Druckstellen und Wunden wichtig sein kann. Aber auch für den sportlich aktiven Patienten ist zum Beispiel eine Laufbandanalyse für den Kauf eines stimmigen Laufschuhs empfehlenswert. Wichtig ist neben dem richtigen Schuhwerk natürlich auch die regelmässige Kontrolle der Füsse, um Verletzungen, übermässige Hornhautbildung oder Druckstellen rechtzeitig zu erkennen.

«D’REGION»: Weshalb haben viele Leute kalte Füsse – und was kann man dagegen tun?
Dr. Chappuis: Kalte Füsse sind mehrheitlich auf eine verminderte Blutzirkulation zurückzuführen. Ist es draussen kalt, ziehen sich die Gefässe zusammen, um den Wärmeverlust zu verhindern. Dies ist normal. Das Rezept heisst: Warme Socken anziehen und die Füsse bewegen. Auch seelische Belastungen können die Regulation der Blutgefässe beeinflussen. Von daher kommt auch der Ausdruck «kalte Füsse bekommen», wenn man in einer Situation Angst bekommt. Relevant ist, wenn kalte Füsse auf eine verminderte Blutversorgung wegen arterosklerotisch verengter Arterien zurückzuführen sind. Weitere mögliche Ursachen sind beispielsweise ein tiefer Blutdruck, hormonelle Störungen oder eine Schädigung der Fussnerven – Neuropathie –, bei welcher die Person eine Kälte in den Füssen verspürt, obwohl sich diese warm anfühlen.

«D’REGION»: Nebst der normalen orthopädischen Sprechstunde für Fussprobleme haben Sie vor ein paar Jahren eine interdisziplinäre Fusssprechstunde ins Leben gerufen. Weshalb – und für welche Patienten ist diese gedacht?
Dr. Chappuis: Gewisse Krankheiten der Füsse sind derart komplex, dass sie einer gleichzeitigen Behandlung durch verschiedene Fachkräfte bedürfen. Ein Paradebeispiel ist der diabetische Fuss. Um bei Wunden die letztendlich drohende Amputation zu verhindern, ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit wichtig, weshalb wir diese Sprechstunde gegründet haben. Nebst uns Ärzten wird unser Team ergänzt durch eine Wundexpertin und einen orthopädischen Schuhmachermeister. Auch stehen wir in enger Zusammenarbeit mit dem Gefässspezialisten und anderen medizinischen Fachkräften.

Zur Person
Dr. Bernard Chappuis arbeitet seit 2006 als Leitender Arzt Diabetologie / Endokrinologie am Spital Emmental, wo er bereits 1998 und 1999 als Assistenzarzt tätig war. Die weiteren beruflichen Stationen des 44-Jährigen: St. Gallen, Münchenbuchsee, Insel Bern, Cambridge (England). Er lebt mit seiner Ehefrau und dem gemeinsamen 5-jährigen Sohn in Bern, wo er auch aufgewachsen ist.
Falko Herold wurde am 20. Januar 1974 in Deutschland geboren. Er ist verheiratet und lebt seit 2003 in der Schweiz. Sein Wohnort ist Liebefeld. Seit Januar 2015 arbeitet er wieder in Burgdorf. Seine Erfahrungen zur Fuss- und Sprunggelenkchirurgie sammelte er bei Professor Dr. Beat Hintermann in Liestal und bei Privatdozent Dr. med. Martin Weber am Zieglerspital Bern.

Hans Mathys


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