Das Burnout-Syndrom als Infarkt der Seele

  26.01.2016 Aktuell, Bildung, Burgdorf, Gesellschaft

Übermorgen Donnerstag, 28. Januar 2016, 19 bis 20 Uhr, findet im Kurslokal des Spitals Emmental in Burgdorf der erste öffentliche Vortrag des Jahres 2016 statt. «Haben wir alle ein Burnout?», darüber spricht Dr. med. Daniel Bielinski, Chefarzt Psychiatrie am Spital Emmental in Burgdorf und Langnau.

«D’REGION»: Sie sind Chefarzt Psychiatrie am Spital Emmental. Was hat sich seit Ihrem Amtsantritt vor rund einem Jahr geändert?
Dr. Bielinski: Ziel ist es, den Psychia­trischen Dienst trotz Sparmassnahmen patientennah weiterzuentwickeln. Also eine leicht zugängliche psychiatrische Versorgung für alle Patienten – speziell auch für ältere und chronisch psychisch kranke Menschen im ganzen, vor allem auch im oberen Emmental. Unser Angebot im Gesundheitszentrum Eggiwil oder die Eröffnung einer Memory Clinic – zur ambulanten Abklärung von Gedächtnisstörungen – stehen ebenso für diese Entwicklung wie der niederschwellige Zugang zu unseren Leistungen über eine Telefonnummer für hilfesuchende Patienten und Zuweiser: 034 421 27 27.

«D’REGION»: «Haben wir alle ein Burnout?», so ist Ihr öffentlicher Vortrag von übermorgen betitelt. Wie wird dieser aufgebaut sein?
Dr. Bielinski: Ziel ist es, besser über Burnout – das arbeitsbezogene Erschöpfungssyndrom – zu informieren und zu sensibilisieren. Die Arbeitswelt ist geprägt von Zeitdruck, Aufgabenvielfalt und stetig neuen Anforderungen. Immer mehr Menschen sind überfordert, ausgebrannt, total erschöpft. Der Vortrag soll empfängerorientiert über die Frühwarnsymptome des Burnout-Prozesses, aber auch über den Weg «weg vom Stress» hin zu einer Strategie der Alltagsbewältigung «in aller Ruhe» – also die Methoden gegen Stressabbau – berichten.

«D’REGION»: Kommen Patienten mit Burnout-Verdacht via Hausarzt zu Ihnen?
Dr. Bielinski: Burnout ist eine chronische Überlastung – hervorgerufen durch chronischen, arbeitsbedingten Stress. Am Ende dieser Stresssituation kommt es zu einer Depression. Dieser Burnout-Prozess wird begleitet von psychosomatischen Beschwerden wie Muskelverspannungen oder Herzbeschwerden. Entsprechend der Stossrichtung, unsere Angebote möglichst niederschwellig zur Verfügung zu stellen, melden sich zunehmend Menschen direkt bei uns. Meistens melden sich aber Burnout-Betroffene mit körperlichen «Frühwarnsymptomen» in der Hausarztpraxis. Die Hausärztin oder der Hausarzt bleiben die Hauptansprechpersonen für Menschen mit körperlichen und psychischen Problemen. Sie sind unsere wichtigsten Partner in der Vernetzung.

«D’REGION»: Wie verlaufen in der Regel Ihre Abklärungen, ob jemand an Burnout leidet?
Dr. Bielinski: Abklären heisst in der Psychiatrie Erheben einer Krankengeschichte und Festhalten der objektiven Befunde zur Funktionsweise der Psyche – analog dem Körperstatus beim Hausarzt. Es wird dann eine Diagnose gestellt und auf der bio-psycho-sozialen Grundlage sowie nach für die Schweiz gültigen Behandlungsempfehlungen behandelt. Therapie-Empfehlungen zur Behandlung von Burnout werden diesen Frühling von der Fachgesellschaft für Psychiatrie veröffentlicht.

«D’REGION»: Welche Dienstleis­tungen bezüglich Burnout bietet das Spital Emmental an?
Dr. Bielinski: Ein umfassendes ambulantes Angebot von der diagnostischen Zuordnung bis zur psycho-therapeutischen Begleitung und zum Erlernen von Entspannungstechniken in Gruppen – beispielsweise Stressbewältigung durch Achtsamkeit – steht zur Verfügung. Die verschiedenen Berufsgruppen arbeiten dabei eng für den einzelnen Patienten zusammen – Stichwort interdisziplinärer Ansatz.

«D’REGION»: Schreiben Sie Berufstätige mit Burnout-Diagnose gleich für einige Monate krank – oder wie ist hier das weitere Vorgehen bis zur angestrebten «Heilung»?
Dr. Bielinski: Ein Puzzle von individuell abgestimmten Massnahmen bringt den Erfolg. Dabei kann es hilfreich sein, bei der Arbeit vorübergehend kürzerzutreten oder für eine befristete Zeit ganz aus dem Arbeitsprozess herausgenommen zu werden. Ziel muss immer die Reintegration am Arbeitsplatz sein. Arbeit ist wichtig. Sie strukturiert den Tag, bringt soziale Kontakte, Wertschätzung und Verdienst.

«D’REGION»: Gibt es bestimmte Berufsgruppen, die besonders Burnout-gefährdet sind?
Dr. Bielinski: Gefährdet sind Menschen mit einem hohen Grad an Pflichtbewusstsein, mit hoher Leistungsbereitschaft und starker Identifikation mit der eigenen Arbeit. So leidet ein Drittel der medizinischen Grundversorger an einem leichten bis schweren Burnout- Syndrom.

«D’REGION»: Sind Ihre Burnout- Patienten oft solche, die gemobbt werden?
Dr. Bielinski: Mobbing am Arbeitsplatz gilt als extreme Form einer sozialen und emotionalen Stresssituation. Unsichere Arbeitsverhältnisse und Arbeitslosigkeit gehören mit zu den stärksten Stressfaktoren. Allgemein sind monotone Arbeit, mangelnde Anerkennung, fehlende Entscheidungsfreiheit gepaart mit Ehrgeiz und Perfektionismus sowie der Unfähigkeit, sich abzugrenzen – Nein sagen zu können – die Verursacher eines Burnout-Prozesses.

Zur Person
Der 57-jährige Dr. med. Daniel Bielinski trägt den Titel «Master of Health Administration» (M.H.A.). Er ist Facharzt FMH für Psychiatrie sowie Psychotherapie und seit 1. Februar 2015 neuer Chefarzt Psychiatrie am Spital Emmental. Er trat die Nachfolge von Dr. med. Thierry de Meuron an, der den psychiatrischen Dienst zuletzt interimistisch geführt und diesen mit dem langjährigen Chefarzt Dr. med. Jürg Zühlke aufgebaut hatte. Von 2009 bis Ende Dezember 2014 war Dr. med. Daniel Bielinski Chefarzt der Klinik Königsfelden und Mitglied der Geschäftsleitung der Psychiatrischen Dienste Aargau. Von 1999 bis 2009 war er Chefarzt Psychiatrische Diens­te Kanton Solothurn und dort ab 2006 stellvertretender Spitaldirektor sowie Mitglied der ärztlichen Direktion. Ebenfalls von 1999 bis 2009 amtete Dr. med. Daniel Bielinski als Präsident der Stiftung Solodaris, einer Einrichtung für psychisch behinderte Menschen im Bereich Wohnen, Arbeit und Freizeit. Seinen beruflichen Werdegang hatte er von 1978 bis 1986 mit dem Medizinstudium an den Universitäten Bern und Fribourg begonnen.
Dr. med. Daniel Bielinski ist verheiratet, Vater einer inzwischen erwachsenen Tochter und wohnt in Oberdorf im Kanton Solothurn.

Hans Mathys

 

Dr. med. Daniel Bielinski am Radio SRF 1

Nicht zum «Burnout», sondern zum Thema «Ärzte haben weniger Zeit für Patienten» äusserte sich Dr. med. Daniel Bielinski, psychiatrischer Chefarzt am Spital Emmental und Vizepräsident der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie, vor wenigen Tagen in der Mittags-Informationssendung «Rendez-vous» von Radio SRF 1.

Dabei ging es um eine aktuelle Untersuchung des Ärzteverbandes FMH, die aufzeigt, dass Mediziner, die eigentlich möglichst viel Zeit mit den Patienten verbringen sollten, immer mehr Zeit für administrative Arbeiten aufwenden. Mehr Bürokratie bedeutet mehr Zeitdruck und Stress für die Ärzte. Gemäss FMH-Befragung hat der Stress am stärksten bei den Psychia­tern zugenommen. Dr. med. Daniel Bielinski überrascht das nicht: «Wir haben unsere Leistungen jeden Tag minutiös zu erfassen. Wir müssen Qualitätsstatistiken ausfüllen. Die Patienten selbst werden bei Ein- und Austritt befragt.» Zudem müssten die Psychiater «eine überbordende Menge an Kos­tengutsprachen und Arztberichten zuhanden der Versicherungen» erledigen. Deshalb setzt sich Bielinski dafür ein, dass man künftig etwas pragmatischer handelt: «Das heisst, mutigerweise Leistungserfassungen zu reduzieren, Qualitätsstatistiken zu beschränken und mit den Versicherungen übereinzukommen, dass man hier einfachere Lösungen finden kann.» Dies sei im Interesse von Psychiatern und Patienten, ist der Chefarzt Psychiatrie am Spital Emmental überzeugt.

hml


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