Schloss aus dem 12. Jahrhundert als Wahrzeichen

  29.01.2016 Aktuell, Jegenstorf, Region

Wer Jegenstorf hört, denkt meist sofort an das Schloss aus dem 12. Jahrhundert mit dem prächtigen Park. An diesem eiskalten Montag ist hier auf den grünen Sitzbänken erwartungsgemäss kein einziges kuschelndes Liebespärchen auszumachen. Die einzigen Lebewesen im idyllischen Park sind 30 Enten, die sich im Teich auf der Südseite des Schlosses tummeln. Der nicht zugefrorene Teil des Teichs ist klein, das Gedränge im Wasser entsprechend gross. Drei Enten nehmen Reissaus und watscheln auf der dünnen Eisschicht in Richtung einer barbusigen Frau. Es ist eine Statue aus Stein. Dem Künstler, der diese erschaffen hat, kann man den Sinn für Ästhetik nicht absprechen. Sehenswert auch die prächtigen, alten, zurzeit laublosen Bäume mit den bizarren Astgabeln, durch welche die Wintersonne blinzelt.
Das Schloss, 1175 erstmals als Burg erwähnt, wurde 1720 zum barocken Landsitz umgestaltet. Es war bis 1934 in Privatbesitz und beherbergt heute das Museum für bernische Wohnkultur. Dass sich die Strasse, die zum Schloss führt, General-Guisanstrasse nennt, kommt nicht von ungefähr. Hierher verlegte der populäre und charismatische General Henri Guisan im Oktober 1944 seinen Kommando­posten, und von hier aus lenkte er bis zum Kriegsende die Geschicke der Schweizer Armee. Im Park lud er am 19. August 1945, am Ende des Zweiten Weltkrieges, zum letzten Armeerapport.
Bloss einen Steinwurf vom Schloss entfernt befindet sich die Bahnstation des Regionalverkehrs Bern – Solothurn (RBS) mit Kiosk. Die Bahnhofgebäude auf der Strecke zwischen der Bundes- und der Ambassadorenstadt stammen vom gleichen Architekten. Sie ähneln sich wie ein Ei dem anderen. Sogar der Schriftzug an den Gebäuden – ob in Grafenried, Fraubrunnen, Büren zum Hof oder eben Jegenstorf – ist identisch. Soeben hält ein oranger RBS-Zug. Passagiere steigen aus und einige wieder ein – in den nebenan wartenden RBS-Bus 871 Zuzwil–Iffwil. Wer vom Bahnhof aus zu Fuss nach Grafenried will, muss gemäss Wegweiser mit einer Stunde rechnen, nach Bätterkinden mit drei Stunden.

Eine der grössten gotischen Dorfkirchen im alten Bern
Mitten im 5658-Seelen-Dorf steht auf einem kleinen, künstlich aufgeschütteten Hügel die 500 Jahre alte Kirche der reformierten Kirchgemeinde Jegenstorf Urtenen. Sie gehört zu den grössten gotischen Dorfkirchen im alten Bern. Es ist Nachmittag, aber die Zeiger der Turmuhr zeigen alle an, dass es 12 Uhr sei. Die Vorfreude ist gross, im Chor der Kirche die prächtigen Glasgemälde zu bestaunen, die als schönste und älteste des Kantons gelten. Schade, die Eingangspforte ist geschlossen und selbst durch gefühlvolles Manipulieren nicht zu öffnen. Da eilt jemand herbei, der sich für die irrtümlich noch verschlossene Kirchenpforte entschuldigt: Hauswart Martin Haller. Er verrät, dass die Turmuhr zurzeit einer Revision wegen keine aktuelle Zeit anzeigt, und stellt dem Fremdling das neue Taufbecken vor, in das jede Minute ein Wassertropfen aus einem darüber hängenden Gefäss fällt. Die Kirche wurde 1514 anstelle des alten Kirchleins zu «Yegistorf» errichtet, das 1275 erstmals urkundlich erwähnt ist.

«Dorfmitti»
Nicht nur die Kirche steht mitten im Dorf. «Dorfmitti» steht an einem stattlichen Gebäude, einem Ort für Begegnung und Austausch. «Welcome – we are open», heisst es an der Eingangstüre. Ob sich hier – im «Bistrafé» genannten früheren Restaurant Kreuz – vorwiegend Englischsprechende aufhalten? Auf dem nahen Brunnen von 1900 thront eine Bronzefigur – eine Frau, die in der linken Hand ein Schwert und in der rechten eine Waage hält. «An dieser Stätte sprachen einst unsere Väter Recht – Gerechtigkeit zu wahren ziemt jeglichem Geschlecht», ist in den Brunnen eingraviert. Wenige Schritte entfernt – gegenüber dem nicht nach Rom führenden Römerweg – kommen himmlische Gefühle auf: «Hoflädeli im Himmelreich». Hier gibt’s Produkte direkt vom Bauern.
Beim Gasthof zum Löwen prangt ein züngelnder, seine Pranken zeigender Löwe. Die Zahl 1694 darüber zeigt an, dass hier schon seit dem 17. Jahrhundert Speis und Trank serviert werden. «Wir bieten freie Lehrstelle 2016», steht bei der Mühlen-Apotheke. Am 1963 erbauten Gemeindehaus ist eine Wetterstation angebracht. Ob dieser entnommen werden kann, wenn drinnen mal dicke Luft herrscht? An der Iffwilstrasse 1 fallen zahlreiche Kinderwagen auf, die vor dem Gebäude geparkt sind – umflattert von Dreieck-Fahnen. Hier werden in der «Kinderwelt Jegenstorf» Kitaplätze angeboten. Auch auf der anderen Strassenseite fällt ein grosser Wagenpark auf – mit zehn Kleinautos der Spitex Grauholz. Hauptversammlung am Stützpunkt Jegenstorf? Auf dem Trottoir kreuzen sich Bekannte. Die Frau erkundigt sich beim Herrn, einem sportlichen Senior, ob er wieder dem Langlauf fröne. «Wenn es noch einen Schub Schnee gibt schon», lautet dessen Antwort.

1131 erstmals als «Igistorf» urkundlich erwähnt
Ein Helikopter fliegt über das Schulhaus Säget und die einstige Mosterei, seit 2005 Heimat der renommierten Remise Bühni Jegenstorf, die Walter Fankhauser 1977 ins Leben gerufen hat und die seither Kleintheater vom Feinsten bietet. Vom Jungfrauweg aus – selbstverständlich liegt dieser in der Nähe des Eiger-, des Mönch- und des Alpenwegs – geniesst man einen Blick auf das mit Schnee überzuckerte Jegens­torf mit den Alpen im Hintergrund. Jegenstorf, 1131 als «Igistorf» erstmals urkundlich erwähnt, liegt 12 Kilometer von der Hauptstadt Bern entfernt und umfasst neben der Siedlung Holzmühle auch das ländliche Ballmoos (seit 2010) sowie Münchringen und Scheunen (seit 2014). Eigentlich gäbe es in Jegenstorf noch viel zu entdecken, doch schon bald bricht die Dämmerung herein. Einen letzten Halt gibt’s beim ehemaligen Akutspital, wo jetzt die Stiftung Rotonda eine Senio­ren-Residenz mit Restaurant sowie ein Wohn- und Pflegezentrum anbietet. Im Angebot stehen Residenzkonzerte und kulinarische Höhenflüge. Das beweist: Jegenstorf hat auch für die ältere Generation einiges zu bieten. Ein sympathisches Dorf.

Hans Mathys


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