Allergien – das ganze Jahr aktuell
03.10.2016 Aktuell, Region, Burgdorf, GesellschaftBei Menschen, die allergisch auf Pollen, Lebensmittel, Tierhaare oder Hausstaub reagieren, ist die Lebensqualität stark eingeschränkt. Am Publikumsvortrag im Spital Emmental in Burgdorf von übermorgen Donnerstag, 6. Oktober 2016, 19 bis 20 Uhr, legt Dr. med. Katrin Bergmann-Hug den Fokus auf solche Allergien. «Ich gebe einen Abriss über die wichtigsten Allergien und gehe den Fragen nach, was eine Allergie ist, welche Abklärungen zu treffen sind und weshalb Allergien häufiger als früher sind», verrät die Fachärztin. Weitere Themen sind: Allergien der Atemwege (Pollen, Tierhaare, Hausstaubmilben), Ekzeme (zum Beispiel Neurodermitis), Nahrungsmittelallergien (harmloses orales Allergiesyndrom, gefährliche Allgemeinreaktionen, beispielsweise auf Erdnüsse und Soja, Fischallergien, Insektengiftallergien, Nesselfieber. Dr. med. Katrin Bergmann-Hug nennt interessante Zahlen. Danach weisen über 35 Prozent der Schweizer Bevölkerung Sensibilisierungen gegenüber Allergenen auf, und rund 20 bis 25 Prozent leiden unter Allergiesymptomen. «Es ist also eine häufige Krankheit», folgert sie.
«D’REGION»: Können Sie uns eine Art «Hitparade» der in unserer Region häufigsten Allergien geben – wird diese vom Heuschnupfen angeführt?
Dr. Bergmann: Ja, gefolgt von Erkrankungen, welche den Heuschnupfen häufig begleiten, wie zum Beispiel Asthma und Neurodermitis. Auch Insektengiftallergien scheinen im Emmental recht häufig zu sein.
«D’REGION»: Welche Altersgruppe leidet besonders häufig an Allergien?
Dr. Bergmann: Jugendliche und junge Erwachsene sind am häufigsten betroffen. Grundsätzlich kann aber in jedem Lebensalter eine Allergie neu auftreten.
«D’REGION»: Welche Rolle spielt bei Allergien die Vererbung?
Dr. Bergmann: Kinder von Eltern mit Allergien sind häufiger selber von Allergien betroffen. Leiden beide Elternteile unter Allergien, beträgt das Risiko für das Kind sogar bis 60 Prozent.
«D’REGION»: Studien belegen, dass Lebensmittelallergien bei Kindern markant häufiger als bei Erwachsenen auftreten. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Dr. Bergmann: Das hat mit der Unreife der Darmschleimhaut und des Immunsystems zu tun. Lebensmittel sind für unser Immunsystem Fremdstoffe. Beim ersten Kontakt muss das Immunsystem tolerant werden. Wenn diese Toleranzinduktion versagt, entstehen bei Kleinkindern Lebensmittelallergien, die sie in der Regel im Laufe der Zeit wieder verlieren. Bei Jugendlichen und Erwachsenen treten Lebensmittelallergien in der Regel als Folge einer Pollenallergie auf – als sogenannte Kreuzallergien.
«D’REGION»: Es gibt auch Studien, wonach Kinder auf dem Land wesentlich seltener an einer Allergie erkranken als Stadtkinder. Wie lässt sich dies begründen?
Dr. Bergmann: Dieses Phänomen beruht zumindest teilweise auf der Hygienehypothese. Es wird angenommen, dass das Immunsystem weniger mit natürlichen Feinden – zum Beispiel Dreck, Würmer, Bakterien, Viren – in Kontakt kommt und zu wenig trainiert wird. In der Folge kann es auf harmlose Eiweisse – Allergene – überreagieren.
«D’REGION»: Weshalb hat sich in den letzten Jahrzehnten die Zahl der Allergiker in industrialisierten Ländern mindestens verdoppelt?
Dr. Bergmann: Unser westlicher Lebensstil – Hygienehypothese –, aber auch Umweltfaktoren wie Klimaerwärmung und Luftverschmutzung tragen dazu bei.
«D’REGION»: Heuschnupfen ist zwar lästig, aber wohl relativ harmlos im Vergleich zu Allergien, die Atemnot oder Kreislaufprobleme auslösen. Welche Allergien sind als lebensgefährlich einzustufen?
Dr. Bergmann: Gefährliche allergische Reaktionen treten bei Erwachsenen am häufigsten nach Insektenstichen oder der Einnahme von Medikamenten oder Lebensmitteln auf. Bei Kindern sind Lebensmittel die häufigsten Auslöser von bedrohlichen allergischen Reaktionen.
«D’REGION»: Was sind typische Symptome für eine gefährliche allergische Reaktion?
Dr. Bergmann: Klassisch ist ein Beginn der Reaktion mit Juckreiz an Handflächen, Fusssohlen, in den Achselhöhlen oder im Intimbereich. Der Juckreiz kann sich auf den ganzen Körper ausdehnen und ist meist begleitet von einem Nesselausschlag. Zudem schwellen das Gesicht oder die Zunge an. Diese Symptome können gefolgt werden von Bauchkrämpfen, Erbrechen, Atemnot und / oder Kreislaufkollaps.
«D’REGION»: Werden Ihnen die Patienten meist durch deren Hausarzt zugewiesen?
Dr. Bergmann: Ja, in der Regel erfolgt die Zuweisung über den Hausarzt oder direkt über die Notfallstation des Spitals. Grundsätzlich können sich die Patienten auch selber anmelden. Aber es ist gut, wenn sie zuvor den Hausarzt konsultieren.
«D’REGION»: Führen Sie bei an Heuschnupfen Leidenden Haut- oder Bluttests durch, um festzustellen, welche Pollen zur Allergie führen – und welches sind die dann folgenden Massnahmen?
Dr. Bergmann: Die Abklärung erfolgt mit Hauttesten mit verschiedenen Allergenen – ungefähr 25. Bluttests mit Nachweis von spezifischen Allergie-Antikörpern werden gezielt veranlasst. Je nach Testresultaten und Leidensdruck wird die symptomatische Behandlung des Heuschnupfens besprochen, wie beispielsweise der Einsatz von Antihistaminika, Nasenspray oder Augentropfen. Eine weitere Möglichkeit stellt die spezifische Immuntherapie oder Desensibilisierung dar. Dabei wird das Immunsystem mit Spritzen, Tabletten oder Tropfen wieder an die Pollen gewöhnt. Die Erfolgsrate der Immuntherapie beträgt bis 80 Prozent.
«D’REGION»: Haben Sie auch schon Patienten mit Nussallergie oder Nesselfieber behandelt – und wenn ja: wie gefährlich sind diese unbehandelt?
Dr. Bergmann: Eine Nussallergie kann in der Tat gefährlich sein. Deshalb ist eine gute Information des Patienten notwendig. Hier gibt es nur eines: entsprechende Nüsse meiden und Notfallmedikamente auf sich tragen. Nesselfieber kann als akute Manifestation einer allergischen Reaktion auftreten. Häufig verläuft das Nesselfieber aber chronisch und ist nicht Ausdruck einer Allergie. Chronisches Nesselfieber beeinträchtigt die Lebensqualität zum Teil massiv, was eine konsequente Behandlung sehr wichtig macht.
«D’REGION»: Welche Medikamente verordnen Sie im Kampf gegen Allergien am häufigsten?
Dr. Bergmann: Am häufigsten werden Antihistaminika-Tabletten verordnet. Im Weiteren kommen Kortison-Nasenspray oder Asthmaspray mit Kortison zum Einsatz. Bei Hautproblemen wird der Fokus auf eine rückfettende Hautpflege gelegt. Selten – zum Beispiel bei schwerem allergischem Asthma oder bei schwerem chronischem Nesselfieber – wird eine Therapie mit Anti-IgE-Antikörpern durchgeführt.
«D’REGION»: Können Sie heisse Tipps abgeben, wie die Allergie-gefahr zu reduzieren ist?
Dr. Bergmann: Als wichtige präventive Massnahme gilt Stillen während mindestens 4 bis 6 Monaten. Ist das Stillen nicht möglich, wird empfohlen, Babys mit erhöhtem Allergierisiko hydrolysierte – HA – Milch zu geben. Ein wichtiger Punkt ist zudem der Rauchstopp bereits während der Schwangerschaft und auch wenn das Baby da ist. Nach heutigem Kenntnisstand müssen bei der Einführung der festen Kost keine Lebensmittel gemieden werden. Es gibt sogar Hinweise, dass ein frühes Einführen zum Beispiel von Erdnüssen das Allergierisiko vermindert. Der frühe Kontakt mit Haustieren scheint sich weder positiv noch negativ auf das Allergierisiko auszuwirken.
Zur Person
Dr. med. Katrin Bergmann-Hug ist Fachärztin für Allergologie und klinische Immunologie. Sie arbeitet seit dem 1. Mai 2016 am Spital Emmental in Burgdorf als Leitende Ärztin der Medizin und führt eine Allergie-Sprechstunde.
Ihr bisheriger beruflicher Werdegang: Staatsexamen im Jahr 2000, Weiterbildungsstellen in Chirurgie in Solothurn, Innerer Medizin und Allergologie im Spital Bern Ziegler, Allergologie und Rheumatologie am Inselspital. 2011 bis 2015 als Oberärztin der Allergiestation im Spital Bern Ziegler und seit 2015 an der Allergologisch-Immunologischen Poliklinik des Inselspitals. Dort arbeitet sie weiterhin mit einem kleinen Pensum. Sie hat lange in Bern gewohnt, lebt aber seit 2013 in Burgdorf. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder im Alter zwischen fünf und neun Jahren.
Hans Mathys