Die Spitalstandortinitiative im Fokus

  18.10.2016 Aktuell, Bildung, Wirtschaft, Burgdorf, Gesellschaft, Region, Politik

Der Förderverein «gesund i. E.» unter dem Copräsidium von Thomas Mössinger, eidg. dipl. Spitalexperte, und Patrik Walther, Geschäftsführer Alterszentrum Sumiswald AG, lud am 13. Oktober 2016 zur Podiumsdiskussion «Die Spitalstandortinitiative – nützlich oder schädlich fürs Emmental?» in die Aula nach Sumiswald ein. Als Referenten im Vorfeld der Diskussion traten Dr. Markus Bieri, Hausarzt, Langnau i. E., und Vorstandsmitglied im Initiativkomitee, sowie Tony Schmid, CEO Spital Emmental, Burgdorf, auf. Im Anschluss stellten sich auf der Kontra-Seite Eva Jaisli, CEO PB Swiss Tools, Wasen i. E., und Verwaltungsratspräsidentin Spital Emmental, und Patrik Walther sowie auf der Pro-Seite Dr. Markus Bieri und Walter Sutter, SVP-Grossrat und -Gemeinderat, Langnau i.E., den Fragen von Moderator Simon Keller, Radio neo 1.

Von der Vergangenheit in die Zukunft
«Ich habe für mein Referat den grösstmöglichen Weitwinkel gewählt, nämlich die Gliederung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft», äusserte sich Dr. Markus Bieri eingangs. Die Vergangenheit sei für ihn die Zeit seines Studiums vor rund 30 Jahren gewesen. Als Unterassistent im Spital Wolhusen LU habe er einen 50-jährigen Patienten erlebt, der wenige Stunden vor Spitaleintritt einen Herzinfarkt erlitt und trotz allem Menschenmöglichen unter den Händen der Ärzte verstarb. «Die Grenzen der Medizin waren damals durch das Können der tüchtigsten Ärzte bestimmt», so Bieri. «Der Patient würde heute dank eines intrakardialen Defibrillators, der ungefähr 70 000 Franken kostet, möglicherweise überleben. Die Technik und die Naturwissenschaft haben die Medizin revolutioniert.» Dadurch entstünden aber neue Probleme, nämlich die Kosten und damit die gerechte Zuteilung der begrenzt verfügbaren Mittel. Im Geist der 90er-Jahre habe sich in der Gegenwart die Vorstellung verfestigt, alle Probleme könnten mit Marktwirtschaft gelöst werden. Der Wettbewerb solle rationalisieren, so müsse nicht rationiert werden. «Genau nach diesem Motto wird heute die Spitalpolitik betrieben. Aber im Gegensatz zur freien Marktwirtschaft ist der Preis im Gesundheitswesen fix und nicht die Folge von Angebot und Nachfrage», so Bieri.

Falsche Anreize  
«Das ist die Rechnung einer ambulanten Behandlung unseres Sohnes am Inselspital: Konsultation weniger als fünf Minuten, kein Röntgen, kein Labor. 140 Franken. Wäre die Rechnung gerechtfertigt gewesen, hätte sich der Arzt 40 Minuten mit dem Fall beschäftigt», liess Bieri wissen. Kürzlich sei in der Sonntags-Zeitung veröffentlicht worden, dass die Inselverwaltung doppelt so häufig wie andere Universitätsspitäler den Tarifpunkt «ärztliche Leistung in Abwesenheit des Patienten» verrechne. Nebst diesem Anreiz zu Schummel erwähnte Bieri den Anreiz zur Mengenausweitung (je grösser das Spital, desto grösser die Bereitschaft, viele Diagnosen zu stellen, immer wieder zu kontrollieren und aufwändig zu therapieren) und den Anreiz zu gefährlichem Aktivismus
(wie im «Bund» zu lesen war, werden im Kanton Bern 50 % mehr Hüftprothesen eingesetzt als im Kanton Zürich). «Je stärker der Konkurrenzdruck – in Bern sind vier grosse orthopädische Kliniken –, desto grösser die Bereitschaft, im Zweifelsfall zu operieren», erläuterte Bieri weiter.

Zustand belassen
«Die Zukunft ist bekanntlich weiblich», deshalb habe er für den letzten Teil des Referats die amerikanische Nobelpreisträgerin für Wirtschaft im Jahr 2009, Elinor Ostrom, ausgewählt, erklärte Bieri. Sie habe sich intensiv mit dem Funktionieren von Systemen befasst. Ostrom erwähne, dass auch das Gesundheitswesen ein Allgemeingut verwalte, nämlich das Geld, das eine Gesellschaft für diesen Zweck zur Verfügung stelle. Deshalb wage er, ihre Aussagen aufs bestehende Spitalwesen zu übertragen. Die Nutzung des Allgemeinguts könne entweder planwirtschaftlich zentral verwaltet werden oder sie werde dem freien Markt überlassen. Das führe immer zur Übernutzung und bedrohe dadurch langfristig den Fortbestand des Allgemeinguts. «Genau das passiert heute in unserem Spitalwesen. Damit sind wir bei der Spitalstandort­initiative angelangt. Diese will nichts anderes, als den Zustand einmal für acht Jahre so zu belassen, wie er Anfang 2013 gewesen ist», hielt der Hausarzt fest. Durch diesen «Marschhalt» werde überhaupt die Voraussetzung geschaffen, um im Spitalwesen vernünftige Regeln für einen nachhaltigen Umgang mit dem Allgemeingut Gesundheitskosten zu schaffen. Die Spitalstandortinitiative wolle nie und nimmer eine Planwirtschaft im Spitalwesen, aber dreierlei müsse damit erreicht werden: 1. eine kontrollierbare gegenseitige Information, 2. eine gerechte Abgeltung der gemeinwirtschaftlichen Leistungen und 3. ein konsequentes Unterbinden von Fehlanreizen.

«Modern. Menschlich. Mittendrin.»
Tony Schmid, CEO Regionalspital Emmental AG, sagte in seinem Referat, dass die Initianten und die Gegner langfristig gesehen grundsätzlich die gleichen Ziele vor Augen hätten. «Wir wollen ein tragbares Gesundheitswesen, eine Grundversorgung vor Ort sicherstellen.» Eine seiner Fragen an die Zuhörer in der Aula lautete: «Was glauben Sie? Glauben Sie, dass das Spital Emmental mit mehr Einfluss der öffentlichen Hand so dynamisch und schnell hätte investieren können? So kostenbewusst, wirtschaftlich und teamorientiert arbeiten könnte? Seine Angebote so schnell hätte umsetzen können? Noch über so interessante Arbeitsplätze verfügen würde? Wir glauben an eine Zukunft mit möglichst wenig staatlichen Interventionen.» Kurzfristiger Protektionismus hemme die Zukunftsentwicklung, liess Schmid wissen. Das Spital Emmental mit seinem Slogan «Modern. Menschlich. Mittendrin.» verfüge über das Potenzial (Angebot, Qualität, Mitarbeitende, Infrastruktur, Wirtschaftlichkeit, Finanzen), um die Unterversorgung im Emmental zu korrigieren. Es erneuere aus eigener Kraft teilweise uralte Infrastrukturen – am Standort Langnau für 11,5 Mio. und am Standort Burgdorf für 111 Mio. Franken.

Diskussionsauszüge
«Inwieweit ist die Spitalstandortinitiative auch eine emotionale Angelegenheit für Sie?», wollte Simon Keller von Grossrat Walter Sutter wissen. Sehr wohl sei sie emotional gefärbt für ihn als Langnauer. Er habe Angst davor, dass durch die Bettenaufstockung in Burgdorf plötzlich Patienten in Langnau abgezogen würden. Patrik Walther als Geschäftsführer des Alterszentrums Sumiswald blickte in die Zukunft und liess wissen, dass bereits in 15 Jahren im Langzeitbereich doppelt so viele 80-Jährige lebten wie heute. Während heute für 16 % aller 80-Jährigen ein Bett bereitstehe, würde es in 15 Jahren noch für 8 % reichen. Eva Jaisli gestand ein, dass im Kanton Bern wahrscheinlich ein wichtiger Moment verpasst worden sei, ein Konzept zu «Welche Versorgung ist wo nötig?» zu erarbeiten. Sonst gäbe es nicht diese unausgeglichene Situation zwischen der Spitaldichte im Zentrum und der Unterversorgung, die im Emmental bestehe.

Die kantonale Volksabstimmung erfolgt am 27. November 2016. Der Grosse Rat empfiehlt die Initiative zur Ablehnung.

Barbara Schwarzwald

 

Der Initiativtext
Die Spitalstandortinitiative (Gesetzesinitiative) verpflichtet den Kanton Bern in einem neuen Gesetz dazu, an 14 Standorten Spitäler mit einem bestimmten Leistungs­angebot aufrechtzuerhalten. «1. Zweck: Das Gesetz bezweckt, für Stadt und Land und die gesamte Bevölkerung eine ausreichende, qualitativ gute und wirtschaftliche Spitalversorgung mit angemessener Anzahl Spitäler im ganzen Kanton sicherzustellen. 2. Regionale Standorte: Der Kanton stellt sicher, dass die öffentlichen Spitäler an den nachfolgend aufgeführten Standorten betrieben werden und die kantonalen und eidgenössischen Vorgaben an die Spitalversorgung erfüllen. Hauptstandorte: Bern, Biel, Burgdorf, Interlaken, Langenthal, Thun. Regionale Standorte: Aarberg, Frutigen, Langnau i.E., Moutier, Münsingen, Riggisberg, St-Imier, Zweisimmen. 3. Umfassende Grundversorgung: Die Spitäler an den regionalen Standorten müssen in der Lage sein, eine umfassende Spitalgrundversorgung anzubieten. Dazu gehören die Gewährleistung einer akutsomatischen Notfallversorgung rund um die Uhr sowie insbesondere die Leistungen der Fachbereiche Innere Medizin, Chirurgie und Gynäkologie/Geburtshilfe, soweit diese bisher angeboten wurden» (Auszug des Fördervereins aus dem Initiativtext).


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