Ab über die Fassade und den Sicherheitszaun
06.02.2017 Aktuell, Hindelbank, GesellschaftDie Abmachung lautet, dass die von der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich nach Hindelbank in die Justizvollzugsanstalt zum vorzeitigen Haftvollzug eingewiesene Frau aus Kroatien den Gesundheitsdienst aufsuchen soll. Sie steht wegen Einbrüchen und weiteren Delikten in Strafuntersuchung.
Etwas zu schnell
Doch die Frau entscheidet sich anders: Sie klettert nach dem Verlassen ihrer Wohngruppe aus dem Wohnheim und anschliessend über den Sicherheitszaun. Da dieser bei der Überquerung unmittelbar einen Alarm auslöst, sei die Flucht gemäss Aussagen der Gefängnisdirektorin Annette Keller sofort entdeckt und es sei unverzüglich nach ihr gesucht worden. Da der hausinterne Sicherheitsdienst die Flüchtige nicht finden kann, rechnet man mit einem Fluchthelfer.
Offensichtlich handelt es sich bei der Flüchtigen um eine sportliche Person, denn sie musste sich acht bis zehn Meter aus dem zweiten Stock abseilen, bis sie den Boden erreichte. Vorerst galt es jedoch noch, ein nicht vergittertes, aber verschraubtes Fenster zu öffnen. Für das Überqueren des Sicherheitszaunes benötigte die Frau keine Hilfsmittel.
Da es sich bei der flüchtigen Kroatin um keine gefährliche Anstaltsinsassin handelt, ist – wie in solchen Fällen üblich – auf eine Information der Bevölkerung verzichtet worden. Auskunft erteilt das Amt für Justizvollzug erst auf Anfrage.
Sicherheitszaun veraltet
Keller äussert sich gegenüber den Medien, dass die Verwaltung der Anstalten Hindelbank die Notwendigkeit zusätzlicher Massnahmen überprüfen werde. Die Flüchtige habe davon profitieren können, dass der Sicherheitszaun rund um das Gefängnis nicht mehr den heutigen Bedürfnissen entspreche; die Schutzvorrichtungen sind veraltet. Das einzige Frauengefängnis der deutschsprachigen Schweiz verfügt gemäss der eigenen Website über 107 Plätze in sieben Wohngruppen (inklusive Aussenwohngruppe), wobei die Geflohene in einem geschlossenen Bereich untergebracht gewesen ist. Die hier inhaftierten Frauen kommen aus zirka 25 Nationen. Nach dieser Flucht prüfen die Verantwortlichen finanziell vertretbare Sofortmassnahmen. Im Gegensatz zu anderen (Männer-) Gefängnissen sieht sich die Verwaltung in Hindelbank eher selten mit Ausbrüchen konfrontiert; der letzte geht auf das Jahr 2003 zurück.
Daher verwundert es auch nicht, dass bezüglich der Sicherheit im Frauengefängnis auf der hauseigenen Website zu lesen ist: «Die Sicherheit nach innen und aussen ist rund um die Uhr gewährleistet. Es sind immer mehrere Mitarbeitende des Sicherheitsdienstes im Betrieb anwesend, nachts sind Hundeführer im Einsatz. Das Areal ist umzäunt und wird mit Videokameras überwacht, moderne sicherheitstechnische Anlagen ermöglichen ein rasches Eingreifen in Notfallsituationen.»
Verlegung aufgegeben
Die Berner Regierung hat vor Jahren ein Projekt geprüft, gemäss welchem die Frauen-Vollzugsanstalt in Hindelbank aufzugeben und der Betrieb nach Witzwil im Seeland zu verlegen sei. Vor etwas mehr als drei Jahren hat die Kantonsregierung dieses Projekt abgeblasen und der kantonalen Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion die Planung von Gebäudesanierungen und eventuell einem Neubau in den Anstalten Hindelbank in Auftrag gegeben.
Bis ein diesbezüglicher Entscheid vorliegt, wird es noch einige Zeit dauern. Doch eines steht schon heute fest: Um die Sicherheitsanlagen auf den neusten Stand zu bringen und die Insassinnen von der Aussichtslosigkeit einer Flucht zu überzeugen, sind Investitionen von mehreren Millionen Franken nötig. Also bleiben derzeit nur die bereits erwähnten finanziell vertretbaren Sofortmassnahmen. Hier haben bereits erste Massnahmen gegriffen: Anstaltsdirektorin Keller erklärt der Journalistin mit Hinweis auf den Zaun, vor dem beide stehen: «Seit der Flucht vor einigen Tagen sind Sofortmassnahmen getroffen worden. Aus Sicherheitsgründen können wir aber keine konkreten Informationen darüber bekannt geben.»
Gerti Binz